
 
		freies  Schmelzleistenende  wie  bei  den  vorangehenden  Milchbackenzähnen  gefunden.  Er  zieht  
 daraus  den  Schluss,  dass  die  echten  Molaren  im  wesentlichen  zur  ersten  Dentition  gehören  
 (pag.  110).  Im  Verlaufe  seiner  Darlegung  betont  er,  dass,  „wenn  das  Gebiss  der Säugethiere  zu  
 homologisiren  ist  mit  dem  in  mehreren  Dentitionen  aufeinander  folgenden Gebisse  von  reptilienähnlichen  
 Vorfahren,  wir  für  die  echten Molaren  zu  dem  Schlüsse  kommen,  dass  hier  nur  eine  
 Dentition  zur  vollkommenen  Anlage  kommt,  und  die  ändern  unterdrückt worden  sind,  indem das  
 Material,  aus  dem  sie  sich  hätten  bilden  können,  mit  zur  Bildung  der  einmaligen  Zahnanlage  
 verwandt  worden  ist.“  „Die  echten  Molaren  stellen  ein  Verschmelzungsprodukt  der  Anlagen  
 erster  Dentition  mit  dem Materiale dar,  aus dem sonst die zweite Dentition  ensteht“,  oder  anders  
 ausgedrückt,  „das  Material  (d.  h.  die  Schmelzleiste),  welches  beim  Prämolaren  zur  Bildung  des  
 Schmelzorganes  verwandt  wird,  differenzirt  sich  beim  echten  Molaren  nur  unvollkommen  oder  
 gar  nicht  von  der  Zahnanlage,  sondern  wird  zur  Innenwand  des  Schmelzorganes.“  „Der Hauptunterschied  
 zwischen Molaren  und Prämolaren beruht  darauf,  dass bei letzteren  beide  Dentitionen  
 getrennt  bleiben,  bei  ersteren  verschmelzen.“ 
 Es ist  ohne weiteres verständlich,  dass  die  oben dargelegten Thatsachen  gerade  bei Phoca  
 der  K ükenthal’sehen  Auffassung  nur  zum  Theil  günstig  sind:  anstatt  dass  die  Schmelzleiste  bei  
 Phoca mehr  oder weniger  vollständig  in  den  Molaren  aufgeht,  entwickelt  sich  aus  ihr  ein  völlig  
 normaler  Schmelzkeim  lingualwärts  vom  Zahne.  Vor  allem  ist  den  Aussprüchen  K ükenthal’s  
 gegenüber zu constatiren,  dass der Molar für sich  allein  dem Milchbackenzahne  und nicht dem Verschmelzungsprodukte  
 eines  Milchbackenzahnes  und  eines  Prämolaren  entspricht;  der  von  K ükenthal  
 herangezogene Befund bei Phocaena communis (vergleiche unten)  ändert hieran nichts.  Ferner:  
 wie  geeignete  Stadien  aller  von  mir  untersuchten  Säugethiere  lehren,  ist  das  Fehlen  oder  Vorkommen  
 eines  freien  Schmelzleistenendes  neben  einem  Schmelzkeime  an  und  für  sich  durchaus  
 nicht  entscheidend  für  die  Frage,  zu  welcher  Dentition  eine Zahnanlage  zu  rechnen  ist,  da nach  
 meinen  Untersuchungen1)  alle  Zähne,  w e lc h e r   D e n titio n   s ie   a u c h   a n g e h ö r e n   mögen,  
 in   einem  g e g e b e n e n   E n tw ic k lu n g s s ta d ium   sic h   von  d e r  S c hm e lz le is te   emanci^  
 p i r e n ,  so  d a s s  a u c h   n e b e n '  allen  e in   f r e ie s ,  a l l e r d in g s   v e r s c h ie d e n   s t a r k e s   
 S c hm e lz le is te n e n d e   a u f t r i t t .   Dass  somit  neben M  1  bei  Phoca  in  einem  gewissen Alter  
 ein  freies Schmelzleisten ende  vorhanden  ist,  kann ebenso wenig  als  ein Beweis  für  die Zugehörigkeit  
 der  Molaren  zur  ersten  Dentition  angeführt  werden  wie  das  Vorkommen  eines  freien  
 Schmelzleistenendes  neben  P  1  (vergleiche  oben  pag.  65  und  Fig.  74).  Für  die Auffassung,  dass  
 die  Molaren  der  ersten  oder  „wesentlich“  der  ersten  Dentition  angehören,  hat  also  K ükenthal  
 durch  seinen  Befund  bei  Phoca  keinen  neuen  Beitrag  geliefert.  Ebenso  möchte  ich  schon  hier  
 betonen,  dass  die  von  K ükenthal  wiederholt  und  auch  im  Zusammenhang mit  den  Befunden  bei  
 Phoca  ausgesprochene  Ansicht,  dass  das  Gebiss  der  Säugethiere  zu  homologisiren  ist  mit  der  
 Summe  sämmtlicher  Dentitionen  bei  den  Reptilien.,  resp.  den  „reptilienähnlichen  Vorfahren“  
 wenigstens  in  den  embryologischen  Thatsachen  keine  Stütze  gewinnt.  Auf  das  Principielle  der  
 ganzen  Frage  komme  ich  im  Schlusskapitel  zurück. 
 In  einem  gewissen  Zusammenhänge  mit  dieser  Frage  steht  die  Beurtheilung  des  häufig  
 beobachteten Auftretens eines M 2 bei Phocidae.  Bei keinem der von  mir  untersuchten Embryonen  
 fand  sich  eine  Andeutung  einer  Zahnanlage  hinter  M  1,  was  um  so  mehr  betont  werden muss, 
 ’)  Vergleiche  meine  früheren  Mittheilnngen  III  und  IV  (pag.  137). 
 als  die Schmelzleiste  ein  gutes  Stück  weiter  nach  hinten  läuft.  Dagegen liegen  in  der Literatur  
 zwei  Angaben  von  dem  Vorhandensein  einer  Zahnanlage  hinter M 1  bei  Embryonen  unserer  
 Art  vor.  Die  eine  stammt  von  T aober  (II),  welcher  einen  solchen  überzähligen Zahn  sowohl  im  
 Ober-  als  im Unterkiefer  eines  Embryo  beschreibt.  Aber  bereits  S ahlertz  (II  pag.  17—19)  hat  
 durch  Nachuntersuchung  bewiesen,  dass  T auber’s   M 2  im Unterkiefer  nichts  anderes  als  die  eine  
 Spitze  des M  1  is t1);  und  was  den  oberen M 2  betrifft,  so  ist dieser  an  dem T auber’sehen Exemplar  
 von mindestens  etwas  problematischer  Natur.  K ükenthal  hat  bei  einem  Unterkiefer  seines  
 25 Cm  langen Embryo hinter  M  1  eine  kleine Anschwellung  gefunden,  welche  er wohl mit vollem  
 Rechte  als  M 2  deutet.  Dagegen  kann  ich ihm  nicht  beipflichten,  wenn er  sagt  (pag.  110):  „Der  
 erste Molar  bildet  einen Uebergang  von den  Prämolaren  zu  dem  zweiten  Molaren.  Während  bei  
 dem  zweiten  Molaren  das  freie  Ende  der  Zahnleiste,  aus  welchem  sich  der  Ersatzzahn  bildet,  
 sich  kaum  noch  von  der  Schmelzorgananlage  differenziert,  vielmehr  dessen  innere  Wandung  
 bildet,  ist beim  ersten Molaren  diese Differenzirung  des freien Schmelzleistenendes  viel  deutlicher,  
 wenn auch  nicht  so  weit gehend  wie bei  den  vorausgehenden Prämolaren.“  Diese  Auffassung  ist  
 schon  aus  dem Grunde  nicht stichhaltig,  weil bei  einem  so  frühen Entwicklungsstadium  n iem a ls  
 ein  freies  Schmelzleistenende  vorhanden  sein  kann ;  erst viel  später  emancipirt  sich  der  Schmelzkeim  
 von  der  Schmelzleiste;  im  übrigen  siéhe  die  vorhergehenden  Bemerkungen  (pag.  70). 
 Es  fragt  sich  nun,  wie  dieser  so  oft  bei  den  erwachsenen  Phocidae  auftretende  Zahn,  
 welcher allgemein  als  M 2  und somit  als derselben Dentition  wie M 1  angehörend  gedeutet  wird,  
 aufzufassen  ist.  Auf  Grund  der  von  K ükenthal  gefundenen  Anlage  sowie  des  von  mir  nachgewiesenen  
 Verhaltens,  dass  die  Schmelzleiste  auch  am  ältesten  untersuchten  Embryo  ein Stück  
 hinter  M  1  sich  relativ  gut  entwickelt  erhält,  ist  jedenfalls  die  Anschauung  gesichert,  dass  der  
 überzählige  Zahn  ein M  2,  also  derselben  Dentition  wie M  1  angehörig,  sein  kan n .  Dass  in  
 diesem  Fall  der M 2  dem  sechsten  Backenzahn  der  Otariidae  homolog  is t,  wie  K ükenthal  (III  
 pag.  114)  betont,  kann  wohl  schwerlich  bezweifelt  werden.  Anderseits  haben  wir  aber  die  von  
 mir schon früher (IV pag. 141) angenommene Möglichkeit im Auge zu behalten,  dass der „Ersatzzahnkeim“ 
   des M 1  zur vollen  Reife gelangen kann  und lingualwärts  oder  selbst etwas  hinter M1 Platz  
 finden kann.  Hierzu kommt,  dass nach S ahlertz’s  Untersuchungen (II) bei den Phocidae ein sechster  
 Backenzahn  bei  weitem häufiger  im Ober-  als im Unterkiefer auftritt,  was vielleicht mit der oben  
 nachgewiesenen Thatsache  in Beziehung zu setzen ist,  dass die Anlage des  „Ersatzzahns“ des M1 .bei  
 demselben  Embryo  im  Oberkiefer  viel  weiter  ausgebildet  ist  als  im Unterkiefer.  Von  entscheidender  
 Bedeutung  ist  aber jedenfalls der Umstand,  dass,  wie aus S ahlertz’s  genauer Beschreibung  
 (IIpag. 10) unzweideutig hervorgeht,  b e i  e inem  E x em p la r  v o n   Phoca  h isp id a   d e r   ü b e r z 
 ä h lig e   (se c h s te )  u n te r e   B a c k e n z a h n   n i c h t s   a n d e re s   a ls   e in   zu r  v o lle n  R e ife   
 g e l a n g t e r   E r s a t z z a h n   des  M  1  ist.-  Ferner  kann  es  nicht  zweifelhaft  sein,  dass  für  den  
 kleinen  Zahn  bei  Otaria cinerea,  welchen  Clark  auf  beiden Seiten  im Oberkiefer lingualwärts  vom  
 fünften  Backenzahn  abbildet  (Fig.  4  pag.  192)  das  gleiche  zutrifft.  D ie se   B e fu n d e   b e weisen  
 d emnach  n ic h t  n u r ,  d a s s  d e r   s e c h s te   B a c k e n z a h n   d e r  P h o c id a e   e in e r   
 a n d e re n ,  e in e r   jü n g e r n   D e n t i t io n   a ls  M 1  a n g e h ö r e n   k a n n ,  so n d e rn   a u c h   da ss  
 ein  s o lc h e r   „ E r s a tz z a h n “  d e s  M  1  s e lb s t   d en   O ta r i id a e   n ic h t  f rem d   is t. 
 *)  Kükenthal  (III)  hat  diese  Correctur  übersehen ;  auch  gelten Tauber’s  Untersuchungen  Phoca  groenlandica  
 und  nicht,  wie  K.  (pag.  107  und  113)  angiebt,  Phoca  barbata.