
Phoca groenlandica.
Frühere Untersuchungen.
Es liegen nunmehr in der Literatur so viele Angaben über die Milchzähne der Ptnnipedia
vor, dass man sich wenigstens von dem Wechsel, der Anzahl und der Beschaffenheit besagter
Zähne bei der Mehrzahl dieser Thiere eine ziemlich genaue Vorstellung machen kann. Die
fraglichen Untersuchungen betreffen die Gattungen Otaria, Trichechus, Phoca, Halichoerus, Cystophora
und Macrorhinus. Das allgemeine Resultat dieser Forschungen lässt sich, wenn wir von
dem etwas aberranten Trichechus absehen, etwa folgendermassen präcisiren:
1) Berücksichtigen wir nur die völlig entwickelten, verkalkten Milchzähne, so stimmt
ihre Anzahl, was die J d und Cd betrifft, stets mit derjenigen der zweiten Dentition überein1),
während die Anzahl der P d stets jj- ist, welche Zähne dem 2.—4. Prämolaren entsprechen.
2) Die Milchzähne sind bei verschiedenen Gattungen in verschiedenem Grade schwach,
mehr oder weniger rudimentär.
3) Der Zahnwechsel erfolgt immer sehr frühzeitig und ist bei einigen intra-uterin. Im
folgenden werde ich auf diesen Punkt näher einzugehen haben.
Auf die diese Thatsachen behandelnde Literatur komme ich zum Theil im folgenden zurück.
Auf mikroskopischen Schnittserien ist die Zahnentwicklung bei einem Pinnipedier und
zwar bei vier Entwicklungsstadien von Phoca groenlandica zuerst \von mir (IV) untersucht worden.
Die folgende Darstellung giebt in etwas erweiterter Form und unter Hinzuziehung eines jüngern,
bisher nicht beschriebenen Stadiums die in meiner früheren Publication dargelegten Resultate wieder.
Kurz nachher hat K ükenthal (III) seine ebenfalls an mikroskopischen Schnittserien
gemachten Untersuchungen über die Zahnentwicklung bei Trichechus (ein Embryo) und Phoca
groenlandica (Ober- und Unterkiefer von einem, sowie Unterkiefer von zwei Embryonen) veröffentlicht.
Ich werde auf diese Arbeit im folgenden zurückkommen.
Eigene Untersuchungen.
Meine Untersuchungen sind an Frontalschnitten von folgenden fünf Embryonen der Phoca
groenlandica gemacht:
Stadium A: Völlig nackter Embryo. Länge vom Scheitel zum After 65 Mm.
*) Kükenthal s Angabe (III pag. 98), dass für die Genera Phoca, Halichoerus und Cystophora die Zahnformel
der Jd sein sollte, ist dahin zu berichtigen, dass bei Cystophora (vergleiche Keinhaedt III pag. 83) sowohl in der
ersten wie in der zweiten Dentition nur Schneidezähne vorhanden sind.
Stadium B: Haare nur über den Augen und an der Oberlippe. Länge vom Scheitel zum
After 113 Mm.
Stadium 0 : Ebenso. Länge vom Scheitel zum After 120 Mm.
Stadium D : Kopf mit längeren Haaren. Länge vom Scheitel zum After 195 Mm.
Stadium E: Länge vom Scheitel zum After 290 Mm.
Die Formel der regelmässig verkalkten Zähne erster und zweiter Dentition bei dieser Art ist
1. 2. 3. 1. 1. 2. 3. 4.
1. 2. 3. 1. 2. 3. 4. H
C P M
2. 3. l. 2. 3. 4.
2. 3. 1.
Stadhmi A.
1. 2. 3. 4.
Die Schmelzleiste ist vollständig erhalten, und zwar stehen die beiderseitigen Schmelzleisten
wenigstens des Unterkiefers in der Medianlinie in Verbindung mit einander._ Bezüglich
des allgemeinen Ausbildungsgrades der Milchzähne ist zu bemerken, dass während einige schon
das glockenförmige Schmelzkeimstadium erreicht haben, andere noch auf dem knospenförmigen
stehen; die Zahnanlagen im Oberkiefer sind theil weise weiter entwickelt als die entsprechenden
unteren. Die oberen Id stehen auf der Grenze zwischen kappen- und glockenförmigem Stadium,
während im Unterkiefer Id 2 (der mediale) auf dem kappen- und Id 3 (der laterale) auf dem
knospenförmigen steht. C d hat oben und unten das glockenförmige Stadium erreicht und ist im
Unterkiefer der am weitesten entwickelte Zahn. Im Oberkiefer dagegen ist P d 2 etwas weiter
ausgebildet als Cd.
Hinter Cd ist P I im Oberkiefer kaum, im Unterkiefer etwas deutlicher als eine Verdickung
der verkürzten Schmelzleiste nachweisbar. Dass der folgende, viel weiter ausgebildete
(oben glocken- und unten fast kappenförmige) Schmelzkeim nicht die Anlage des P 1 sein kann,
geht schon daraus hervor, dass der unverkennbare P I beim fast doppelt grössern Embryo
(Stad. B.) noch nicht die Ausbildung erlangt hat, welche der oben gedachte Schmelzkeim beim
vorliegenden Stad. A innehat.
Bezüglich der Homologisirung der übrigen Zahnanlagen sind zwei Annahmen möglich.
Es folgen nämlich hinter dem Cd — von der eben erwähnten Andeutung des P I abgesehen —
oben und unten vier Schmelzkeime. Im Unterkiefer steht der erste auf der Grenze zwischen dem
knospen- und kappenförmigen Stadium, während die drei ändern, durch einen langen Zwischenraum
von diesem getrennt, das letztere erreicht haben; im Oberkiefer steht der erste, der bereits
erwähnte P d 2 , auf dem glockenförmigen Stadium, und nach einem langen Zwischenraum
folgen die drei ändern, welche ebenso wie die unteren auf dem kappenförmigen Schmelzkeimstadium
stehen. Die Schmelzleiste läuft ein beträchtliches Stück weiter, wird allmählich kürzer
(d. h. weniger tief) und verschwindet darauf. "Wollten wir nun annehmen, dass hier ein Individuum
mit der regelmässig auftretenden Anzahl Backenzähne vorliegt, so würden selbstverständlich
die fraglichen Anlagen nicht anders als P d 2—4 und M 1 gedeutet werden können.
Hiermit, ist aber der Umstand schwer zu vereinigen, dass auf dem nächsten viel älteren Stadium
(B) der unverkennbare Schmelzkeim des M 1 im Unterkiefer nicht weiter entwickelt ist als hier,