22. Phyllodecta vitellinae L. Anfangs September 1924 in Feldkirch etwa 100 Stück zum Inselexperiment verwandt.
Vier Tage lang trotz Sonnenbestrahlung nicht zum Fliegen zu bringen. Die Muskulatur war stark und gesund.
Da mir keine mikropteren Chrysomelen zur Verfügung standen, habe ich von Carabus 1 catenulatus Scop.,
5 nemoralis Müll., 8 cancellatm Illig. und 2 granulatus L. auf ihre Muskulatur untersucht. Im Mesothorax ist die
Muskulatur des Elytrenschlosses vorzüglich entwickelt, im Metathorax dagegen der Raum für die Alamuskulatur
leer. Der Musculus furco-lateralis und coxodorsalis stets vorhanden. Das war auch bei allen bereits besprochenen
Arten der Fall. Der Medianus unterscheidet sich in Stärke nicht vom Metathoraco-abdominis und den übrigen, die
Tergite verbindenden Muskeln ; die drei Laterales waren nicht zu erkennen ; bei G. granulatus mit beträchtlichen
Flügelresten war der Verlauf der Extensores alae noch deutlich, auch ihre Sehnennäpfe, wenn auch schwach vorhanden.
Jungkäfer (2 catenulatus und 1 nemoralis), verglichen mit Altkäfern, zeigten keinen Unterschied; demnach
reicht bei Carabus die Unterdrückung der Flugmuskeln in das Puppenstadium zurück.
Ergebnis.
1. D i e M u s k u l a t u r i s t b e i f r i s c h g e s c h l ü p f t e n C h r y s o m e l è n , s e l b s t
b e i a u s g e f ä r b t e n S t ü c k e n , n o c h n i c h t v o l l e n t w i c k e l t . Bei Ghrysochloa
cacaliae schien der Höhepunkt erreicht, bevor die Stoffwechselkonkretionen des Puppenstadiums
verschwunden waren. (Ob diese Tatsache vielleicht mit dem rätselhaften „Sommerschlaf“ zusammenhängt,
der für Chrys. americana L. (Heldreich 1881), für Arten von Crioceris, Melasorm, Phytodecta,
Phyllodecta, Galeruca (Kolbe 1899) und Chrys. varians Schall. (R e h t f e 1 d 1924, siehe diesen) nachgewiesen
wurde? Bei letzterer Art handelt es sich hierbei sicher, bei den anderen vermutlich um
Jungkäfer).
2. Die Entwicklungshöhe der Flugmuskulatur richtet sich nach dem Grad der Entflügelung.
3. Die auf ihrer Entwicklungshöhe stehende F l u g m u s k u l a t u r m a k r o p t e r e r u n d
s c h w a c h b r a c h y p t e r e r C h r y s o m e l e n d i e n t n i c h t m e h r z u m F l i e g e n ;
beim Aufstehen aus der Rückenlage funktionieren wenigstens die Extensores und Retractores der
Elytren und Alae noch. Sie werden funktionsunfähig durch die Histolyse.
4. D i e H i s t o l y s e e r f a ß t d i e F l u g n e r v e n 1) u n d s ä m t l i c h e d i r e k t e n
u n d i n d i r e k t e n F l u g m u s k e l n ; e r h a l t e n b l e i b t s t e t s d e r C o x o d o r s a l i s ,
d e r k e i n e c h t e r F l u g m u s k e l i s t .
i) B i n e t (1894, p. 526f.) fand bei Rhizotrogus, Gopris, Geotrupes, Cerambyx, Imcanus usw. mit einer Konstanz,
die weitere Anhäufung überflüssig erscheinen ließ, das Folgende: Der Flugnerv der Elytren tritt in das zweite Ganglion ein
und teü t sich in drei Wurzeln, zwei, die Badix dorsalis inferior und die ventralis, sind beträchtlich stärker als die dritte,
die Badix dorsalis superior.
Bei Coléoptères aptesiques (« privativum und ptesis, der Flug), wie Carabus, Blaps und Timarcha, hat der Elytren-
nerv eine bedeutende Reduktion erfahren. Die Radix dorsalis superior besteht noch, ebenso die Radix ventralis, doch ist
sie bedeutend stärker als jene und zeigt normalen Umfang. Die Unterdrückung bezieht sich auf die mittlere, die Radix
dorsalis inferior. Ist sie total verschwunden? Das wagt B i n e t nicht zu behaupten, einmal wegen der Tücke des Objektes,
das auch das geübteste Auge täuschen kann, dann weil ein negatives Ergebnis stets mit Vorsicht zu bewerten ist. Er meint,
wenn einige Fibrillen seiner Schnitte als Radix dorsalis inferior zu betrachten sind, sie doch an Zahl und Bedeutung ganz
beträchtlich reduziert sein müssen, da man bei flugfähigen Insekten den Eintritt der Radix dorsalis inferior mit Leichtigkeit
wahrnimmt. Und wie steht es mit dem Flugnerv des metathorakalen Ganglions? Ein einziger Schnitt (Fig. 23, Pl. XIII)
genügt, um die Frage zu beantworten. Dort- ist der Alanerv durch einen hellen Nerven vertreten, der eine Radix dorsalis
superior und eine ventralis hat. Sie entsprechen aber dem Parietalnerv der Abdominalsegmente, sind also — wieder —
ein reiner Seitennerv geworden, während die Radix ventralis noch eine Entwicklungsstärke zeigt, die der bei flugfähigen
Käfern entspricht, wie sie aber von einem reinen Parietalnerv nie erreicht wird. • F a i b r e kam auf Grund von Experimenten
zu der Schlußfolgerung, daß die Radix ventralis sensitive, die Radix dorsalis motorische Eigenschaften besitzt. Das stimmt
vorzüglich mit B i n e t s Befunden überein, wonach der sensitive-Nerv und-nicht auch der motorische bei Käfern-mit verwachsenen
und unbeweglichen Elytren erhalten bleibt.
5. D i e z u m A b b a u e r f o r d e r l i c h e Z e i t konnte nicht mit Sicherheit ermittelt werden,
da Populationen lebender, gleichaltriger Tiere nicht zur Verfügung standen. Nehmen wir an, daß
diese Bedingung bei Chrysochloa cacaliae Schrnk. erfüllt gewesen sei, so würden etwa drei Wochen
hierfür genügen.
Dieser Abbau der Flugmuskulatur bei Käfern im Verlauf des imaginalen Lebens hat seine
Parallele offenbar bei allen Pterygota pro tempore oder pro> vita avolantia; untersucht ist er bei
Ameisenweibchen (Lasius niger, J a n e t 1907), bei der ektoparasitischen Fliege Lipoptena cervi L.
( M e r c i e r 1924); bei den Weibchen der Kleidermotte ( T i t s c h a c k , noch nicht veröffentlicht).
Wie bei diesen die Histolyse verläuft, so wird sich auch bei Käfern die Histolyse vollziehen; darum
sei zur Ergänzung des Gesagten kurz auf J a n e t s Ergebnisse über den Abbau der Muskulatur eingegangen.
Er unterscheidet folgende Stadien:
1. Die dauernde Abstellung der Funktion des Organs (Abwerfen der Flügel nach dem Hochzeitsfluge)
hat eine Störung und das Aufhören der Ernährung und Innervation und diese ein vorzeitiges
Altern zur Folge.
2. Die weitere Folge ist eine Bionekrose, die zunächst keine, dann eine plötzliche histolytische
Änderung des Organs bemerken läßt.
3. „Diastase“ 1) wird produziert, die die normale, schwach digestive Fähigkeit der Leibesflüssigkeit
steigert.
4. Mit Hilfe des Blutkreislaufes gelangen die „Diastasen“ zu den Muskeln, die, weil tot, sich
nicht mehr zu wehren vermögen.
5. Es zeigt sich eine beträchtliche Anreicherung von Blut, das nach dem Hochzeitsflug klar, bei
fortschreitender Histolyse reich, nach deren Beendigung sehr reich an Eiweißsubstanzen ist.
6. Der Organismus assimiliert, so weit es geht, die histolytischen Flüssigkeiten und verwendet
sie zur Eigenernährung und zur Produktion der Eier. Ein Teil wird als Reservestoff aufgespeichert,
indem Leukozyten in das Innere der Muskelbündel eindringen und sich hier ohne jede Phagozytose
und intrazelluläre Verdauung mit Reservestoffen beladen und so zu Adipozyten umwandeln, die
säulenförmig aneinandergelagert sind.
7. Die Histolyse beginnt sehr bald nach dem Hochzeitsflug, löst in einigen Wochen die indirekten
Muskeln auf, die direkten sind erst nach zwei Jahren völlig abgebaut.
8. Da die „Diastase“ alle Muskelbündel gleichzeitig trifft, muß die Nekrose bei den einzelnen
Bündeln verschieden eintreten.
I. B. 3. Die Entdifferenzierung des Metathorax.
Die Rückbildung der Alae in der Tribus der Chrysomelini ergab, daß die drei Gattungen Chrysochloa,
Chrysomela und Timarcha in dieser Hinsicht eine ideale Reihe bilden. In der phylogenetisch
vermutlich jüngsten Gattung Chrysochloa mit ihren noch wenig auseinander differenzierten und als
Crux Coleopterologorum bezeichneten Arten uhd Formen findet sich Flugfähigkeit und makroptere
Flugunfähigkeit, bei Chrysomela makroptere Flugunfähigkeit und alle Stadien des Brachypterismus
bis zum weitest fortgeschrittenen Mikropterismus, bei Timarcha endlich vollendeter Apterismus.
W i e v o n v o r n h e r e i n n i c h t a n d e r s z u e r w a r t e n i s t , b i l d e n d i e g e -
n a n n t e n G a t t u n g e n a u c h i n m o r p h o l o g i s c h e r H i n s i c h t ei ne v on Chr y soi)
J a n e t meint sicher ein peptolytisches Ferment. Diastase löst kein Eiweiß, sondern nur Kohlenhydrate.