sonst müßte man sagen, daß auch die gewöhnlichen Abdominalsegmente, die z. B. bei der Larve und
der adulten Forfícula auricularia homomorph gestaltet sind, tatsächlich larval blieben.
Übrigens, ganz abgesehen von der Gestalt, existieren am Thorax adulter Apteren Merkmale,
die ihn sichtlich als imaginal kennzeichnen. Als solche nennt P a n t e 1 Textur, Glanz, Konsistenz
und Permeabilität der Cuticula tegumentaria, ferner am Thorax eine abgesonderte Platte hinter dem
dritten Trochanter, die sich bei geflügelten wie ungeflügelten Dermapteren, aber nicht bei den Larven
findet. 2. D i e M i k r o p t e r e n s i n d s o m a t i s c h k e i n e N y m p h e n . Auch in diesem
Punkte lassen sich zugunsten der gegenteiligen Ansicht höchstens einige sehr entfernte Ähnlichkeiten
nachweisen.
Die Flügelscheiden der Nymphen sind auch bei mäßig aufmerksamer Betrachtung etwas ganz
anderes als die lappenförmigen Alae. Die ersteren sind bei den Dermapteren nicht vom Notum
befreit, losgelöst. Sie stellen nur eine nach außen und hinten verdickte Partie dar, in welcher das
imagínale Organ histologisch nachweisbar ist. Die Flügel dagegen sind meistens nur mit ihrer Basis
am Notum befestigt. Ihr histologisches Studium kann je nachdem verschiedene Ergebnisse, zeitigen,
aber niemals Anfänge zur Entwicklung eines chitinogenen Epitheliums nachweisen.
Bei den Dermapteren findet sich noch, ein sehr auffälliger Gegensatz zwischen den lappenförmigen
Anhängen mikropterer Arten und den Stummeln der Nymphen: Bei diesen sind einzig die
Stummel gut entwickelt, die man entsprechend den Flügeln des Metathorax antrifft, bei jenen entsprechen
die Lappen, die am besten entwickelt sind, den Elytren; die Scheiden sind stets mit größter
Formgleichheit gebildet, die Elytren dagegen zeigen die mannigfachsten Entwicklungsgrade.
3. E n d l i c h k a n n d e r a n o r m a l e Ma k r o p t e r i s m u s n i c h t in V e r b i n d u n g
g e b r a c h t w e r d e n m i t d em V o r g a n g e i n e r s e k u n d ä r e n E n t w i c k l u n g .
Der normale Apterismus stellt sich viel mehr als das Ergebnis einer Involution denn als das
Resultat einer Hemmung dar. Hat nun ein ausnahmsweise auftretender Makropterismus die Bedeutung
einer Art Mutation, ¡die sich in einer sekundären Rückkehr zum geflügelten Zustand kundgibt?
Kann es sein, daß e ne Species an einen Moment kommt, der sich als eine Phase progressiver
Evolution kundgibt und sie wieder in den Besitz von Organen bringt, die sie in einer früheren Phase
der Involution verloren hat? .
K a r n y hat die Frage beim Studium der Flugorgane der Orthopteren untersucht und sie im
negativen Sinne entschieden, wenn es sich um Arten handelt, bei denen die Flugorgane vollständig
oder auch nur sehr weitgehend zurückgebildet sind, im bejahenden Sinne, wenn die Regression weniger
weit vorgeschritten ist. Da eine solche Rückkehr im Widersprach mit dem Gesetz von D o 11 o zu
stehen scheint, nach welchem eine phylogenetische Entwicklung nicht rückwärts laufen kann (Gesetz
von der Nichtumkehrbarkeit der Entwicklung), denkt K a r n y nicht daran, daß der beim sekundären
Makropterismus realisierte Flügeltyp streng genommen derselbe ist, der verloren ging. Eine der von
ihm verteidigten Thesen ist, daß es sich hierbei nur um einen ähnlichen Typ handelt; denn strukturelle
Verschiedenheiten (Details der Äderung) sollen es stets ermöglichen, primär und sekundär makroptere
Formen zuylinterscheiden.
Nach K a r n y sollte also der Makropterismus des Anisolabis annulipes kein atavistischer Rückschlag,
sondern ein sekundärer Neuerwerb sein. Es ist aber gar nicht zü verstehen, wie auf dem Wege
der Evolution plötzlich ein neues, hochkompliziertes Organ auftreten kann, und noch weniger, warum
dieses Organ getreues Festhalten am Grappentypus zeigt, wenn es nicht die Offenbarung einer latent
aufbewahrten Erbanlage, sondern ein Neuerwerb ist. Wenn Anisolabis früher geflügelt war, müssen
die Flügel denen der Psalis, ihrer nächsten Verwandten, ähnlich gewesen sein. Bei dem geflügelten
Anisolabis findet sich diese Ähnlichkeit; also ist der verloren gegangene Typ bei ihm wiederhergestellt,
allerdings nicht bis zur Funktionsfähigkeit. Es zeigt sich mangelhafte Ausbildung der Flugei und
gestörte Symmetrie, physiologische Defekte durch klaffende Decken, flottierende Alae, ein anatomisches
Minus des Hemmungsapparates der Flugorgane und ein aus den mangelhaften Thorakal-
skleriten erschlossener Defekt des motorischen Apparates, kurz ein Gemisch treuen Festhaltens am
Ausgangstyp und mißgebürtlicher Abweichungen.
Dieser Doppelcharakter, meint P a n t e 1, beleuchtet die eigenartige Lage, in der sich die Art
infolge der durchgemachten Regression befindet: Di e F ä h i g k e i t , F l u g o r g a n e zu b i l d e n ,
h a t b e i e i n e r s e h r g r o ß e n Z a h l vt fn I n d i v i d u e n u n d G e n e r a t i o n e n a u f g
e h ö r t , i n A k t i o n z u t r e t e n , o h n e d a ß d i e i n R e s e r v e v o r h a n d e n e n P o -
t e n z e n v e r s c h w u n d e n s i n d , die die Erbanlage bilden, und es kann sein, daß in einem gegebenen
Moment außerordentlich günstige Umstände eine neue Offenbarung dieser Fähigkeit herbeiführen;
aber zu gleicher Zeit tr itt eine neue Erbschaft dazwischen in der Eigenschaft einer antagonistischen
Tendenz, deren Einfluß sich besonders in Einzelheiten des reproduzierten Typus be-
merkbar macht.
P a ,n t e 1 s Arbeit wurde mir erst bekannt, als ich bereits selbst zur Annahme gekommen war,
daß sich der Rückbildungsprozeß vielleicht ohne Abänderung der Anlage vollziehe. Sem Anisolabis
lieferte allerdings erst den durchschlagenden Beweis für die wissenschaftliche Zulässigkeit, wenn nicht
dieser Annahme. Denn das plötzliche Auftreten eines makropteren Individuums bei einer
apteren Art zeigt, daß die Potenz zur Entwicklung des Flugapparates virtuell unversehrt geblieben ist.
Das ist um BTerstaunlicher, als Anisolabis annulipes nicht anders als apter bekannt ist, also m vielen
Generationen bereits auf diesem Stadium der Entflügelung steht und die Umbildung vom flugfähigen
zum flügellosen Tier sicher enorme Zeiten beansprucht hat.
E a l i e g t . g a r k e i n G r u n d v o r , i n d e r E r h a l t u n g d e r l a t e n t e n P o t e n z
b e i d i e s e r Awisolabis e i n e n A u s n a h m e f a l l z l l s e h e n ; d i e A u s n a h m e d ü r f t e
v i e l m e h r in de r d u r c h g ü n s t i g e U m s h ä n d e . e r mö g 1 ic ,h 1 e n 0 f f e n b a r u n g
d e r A n l a g e l i e g e n , u n d d i e s e A u s n a h m e k o m m t v e r m u t l i c h ö f t e r v o r ,
a l s w i r b i s j ü e u t e w i s s e n . W ir: s i n d d em n a c S b e r e c h t i g t , be i a l l e n a u f d em
We g e z u m A p t e r i s m u s b e f i n d l i c h e n I n ¡Ae k l e n , j a s e l b s t den im Ve r l a u f
d e r S t a m m e s g e s c h i c h t e b e r e i t s f l ü g e l l o s g e w o r d e n e n A r t e n d i e v i r t
u e l l e F l ü g e l a n l a g e zu v e r m u t e n , die, wie wir mit Sicherheit wissen, in der Ontogenese
von Arbeiterformen der Ameisen und Termiten stets latent vorhanden ist.
P a n t e 1 s Ansichten decken sich im ganzen durchaus mit den meinen, weichen aber in einigen
Punkten davon ab. So sieht er in den RudimentatjonsproZessen weniger eine Hemmung, als einen
Involutionsprozeß, gibt aber nicht an, worin sich diese unterscheiden und wie er sich den letzteren
vorstellt.
Ferner bebt P a n t e 1 die unwesentlichen Abweichungen hervor, die sich bei manchen aus-
nahmsweise makropteren Individuen neben wesentlich getreuer Wiedergabe des zoologischen Typus
finden. Soweit sich diese Unterschiede auf ein Mehr und Weniger der Flügellänge, auf Stärke und Verlagerung
der Adern, auf die Präzision, mit der die Flügelgelenkstücke gearbeitet sind, u. dergl.
beziehen, scheint es mir durchaus überflüssig, solchen Unterschieden bis ins Einzelne nachzugehen.