
vor. Sekundär fliegt zwar das Männchen noch mit zum neuen Brutplatz, überläßt aber die Minier-
arbeit ausschließlich dem Weibchen. Und dies ist nicht selten. Als tertiär müssen wir dann jene Seite
bezeichnen, von der ich nicht weiß, ob sie belegt ist, daß an sich flugfähige Männchen bereits am alten
Brutort die Weibchen befruchten. Xyleborus Saxesewi Batz., Xyhtems Uneatm OL, Amsandrus
dispar F. u. a., die im männlichen Geschlecht verkümmerte Alae, verwachsene Elytren und sonstige
Zeichen von Degeneration besitzen, sind dann weit fortgeschrittene Glieder dieser Kette. Eine
Analogie zu derart und noch stärker degenerierten Männchen haben wir unter den Insekten nur noch
in der Ameise Anergates atratulus Schenk.
Ich. bin mir sehr wohl bewußt, daß alles, was ich in dieser tibersicht über die Verbreitung der
Flugtüchtigkeit, Fluguntüchtigkeit und Flugunfähigkeit geboten habe, außerordentlich lückenhaft
und dürftig ist, obwohl ich mehr als 15 Jahre hierauf meine Aufmerksamkeit gerichtet habe. A b e r
i c h m e i n e d o c h g e z e i g t zu h a b e n , d a ß F l u g f ä h i g k e i t u n d F l u g u n f ä h i g k
e i t s t e t s d a s S p i e g e l b i l d d e r L e b e n swe i s e s i nd, di e de n G eb r a u c h de r
F l ü g e l z u r V o r a u s s e t z u n g h a t o d e r ü b e r f l ü s s i g ma c h t .
Die starke Betonung, daß gerade die Insel-, Montan- und Höhlenfauna eine so große Zahl flugunfähiger
Insekten aufweist, h a t zu der Ansicht geführt, daß diese Zootope als solche mit der Entstehung
der Flügellosigkeit im kausalen Zusammenhang stehen. Prüfen wir darum im folgenden
diese Behauptung auf ihre Stichhaltigkeit und stellen wir die Frage: Kommt den genannten Faunen
bezüglich der Flügellosigkeit irgend eine Sonderstellung in der Gesamtfauna zu und, wenn nicht, wie
konnte die irrige Ansicht entstehen?
II. 2. Die Stellung der Insel-, Gebirgs- und Höhlenfauna innerhalb der Gesamtfauna.
Hat die Insel-, Montan- und Höhlenfauna eine Sonderstellung durch ihren Reichtum an flugunfähigen
Käfern? Für die starke Verbreitung der „flügellosen“ Käfer an obigen Zootopen sprechen
z. B. folgende Zahlen: Auf Madeira sind von 550 Käferarten 220 flugunfähig ( W o l l a s t o n ) .
Ungefähr 70 % der montanen Coleopteren besitzen keine Flügel (Z s c h o k k e).
Die eucavalen Tiere (Troglobien S c h i n e r s), die vom Ei ab an das Leben in den Höhlen gebunden
sind und niemals freiwillig an die Oberfläche kommen, sind sämtlich ungeflügelt
( H a m a n n 1896).
Die zahlenmäßige Gegenüberstellung geflügelter und ungeflügelter Arten dieser Faunen geschah
bislang zum Beweise für die Wirksamkeit der Zuchtwahl. Unter Hinweis auf Inselfaunen hieß es noch in
diesem Jahre bei dem „Streit um D a r w i n“ in den „Münch. Neuest. Nachr.“ : „Mutation und Selektion
erklärt alles.“ Mir scheint, die Zahlen an sich beweisen noch nichts, sondern es hätte, um ihnen
eine Beweiskraft zu geben, ein sorgfältiger Vergleich mit der Fauna des Festlandes bezw. der Ebenen
vorgenommen werden müssen. Hierbei konnte man so verfahren, daß man den Prozentsatz der hier
wie dort flügellosen Insekten einander gegenüberstellte und schon das würde zweifellos große Überraschungen
bringen, besser aber und richtiger, indem man die flugunfähigen Arten dieser Zootope mit
ihren systematischen Verwandten, die außerhalb derselben leben, verglich. Das ist aber nicht geschehen
und kann auch hier nicht durchgeführt werden, weil uns dazu noch die nötigen statistischen
Vorarbeiten fehlen. Aber die Grundwahrheit sollte wenigstens stets Beachtung finden: D a s s t ü r m
i s c h e M i l i e u d e r I n s e i n u n d d e s H o c h g e b i r g e s , d a s L e b e n i m D u n k e l n
d e r H ö h l e n k a n n f ü r d i e E n t s t e h u n g d e r F l ü g e l l o s i g k e i t h ö c h s t e n s
d a n n v e r a n t w o r t l i c h g e m a c h t w e r d e n , w e n n d i e b e t r e f f e n d e n A r t e n
u n d G a t t u n g e n s i c h n u r d o r t u n d n i c h t a u c h i m g a n z e n V e r b r e i t u n g s g
e b i e t f l ü g e l l o s f i n d e n , a l s o a u ß e r h a l b d e r g e n a n n t e n Z o o t o p e n u r
f l u g f ä h i g e V e r w a n d t e b e s i t z e n . Soweit sich an der Zusammensetzung der fraglichen
Faunen Carabiden, Byrrhiden, Chrysomeliden, Curculioniden, Tenbrioniden usw. beteiligen, die zum
großen Teile auf der ganzen Welt in Rückbildung der Flugorgane begriffen sind und wahrscheinlich
obendrein durch Driften und menschlichen Handel, trotz der Flugunfähigkeit, leicht passiv verbreitet
werden, beweisen sie nichts für eine Sonderstellung der obigen Zootope. Die endemischen Arten auf
den Inseln brauchen aber gar nicht erst dort flügellos geworden zu sein, sondern können in der Isolierung
aus flügellosen Arten sich entwickelt haben. Die Bathyscia-Arten im Karst sind meist auf
bestimmte Höhlen oder gar auf einzelne beschränkt; aber auch außerhalb der Höhlen finden sich
bereits flugunfähige Arten dieser Gattung, z. B. in den Pyrenäen unter Steinen. G e b i e n (1920) fand,
daß 98% aller Tenebrioniden Deutsch-Südwestafrikas ungeflügelt und zum großen Teil dort endemisch
sind. Es ist unmöglich, diese von 8 flugfähigen dort vorkommenden Arten, die auf Bäumen
leben, abzuleiten, denn diese 8 Arten sind nachweislich aus dem benachbarten Gebiete eingewandert,
wo ihre Verwandtschaft mächtig verbreitet ist. Somit kann der Reichtum endemischer, flügelloser
Tenebrioniden Deutsch-Südwestafrikas nur dadurch erklärt werden, daß sie im Lande selbst als flugunfähige
Arten entstanden und so durch Flüsse und Höhenzüge an ihrer Ausbreitung gehindert
wurden. Daß hierbei stürmisches Müieu keine Rolle gespielt hat, ist sicher.
D i e A u s m e r z u n g f l i e g e n d e r I n s e k t e n d u r c h S t ü r m e d a r f n i c h t ü b e r s
c h ä t z t w e r d e n . Denn jeder Feldentomologe weiß, daß an stürmischen Regen- wie Sonnentagen
die Ausbeute an fliegenden Insekten verzweifelt gering ist, weil die Tiere sich verkriechen sta tt
zu fliegen. Wenn einmal ein Schwarm von Heuschrecken, Kohlweißlingen, Coccinelliden und was
sonst, durch Wind vom Land abgetrieben, den Wellentod findet, haben solche Zufälligkeiten m. E. mit
unserer Frage nichts zu tun.
Es ist zwar durchaus denkmöglich, daß bei der Entstehung des hohen Prozentsatzes flugunfähiger
Insekten an diesen Zootopen eine „ d i r e k t e B e w i r k u n g “ mitgespielt hat, worunter man den
Einfluß einer veränderten äußeren Lebensbedingung versteht, der eine Art zum Abändern in bestimmter
Richtung veranlaßt; in unserm Falle wäre dies so zu denken, daß Insekten durch andauernd stürmisches
Wetter zu einer Umstellung der Lebensweise, zum dauernden Verzicht auf den Gebrauch der
Flügel gezwungen worden seien, so weit das ohne eine gar zu große Revolution ihrer bisherigen Lebensweise
möglich war. Wie gesagt, das ist denkmöglich, bewiesen aber für keinen Fall. Es müßten sich
dann bei Arten, die an stürmischen und nicht stürmischen Orten leben, dort Flugunfähigkeit oder zum
mindesten eine Praecedenz in der Entflügelung, hier Flugfähigkeit nachweisen lassen. Nach 0 e r t e 1 s
Untersuchungen könnte es zwar scheinen, daß bei gewissen Carabus-Arten die montanen Stücke in der
Rudimentation der Alae weiter fortgeschritten seien als Stücke des Flachlandes, was für ein früheres
Einsetzen des Rückbildungsprozesses im „stürmischen“ Gebirge sprechen könnte. Für Procrustes
coriaceus L.habe ich an Stücken aus den Alpen, dem Riesengebirge und aus unserer Gegend das nicht
bestätigt gefunden; jene Stücke waren durchschnittlich größer als die nordischen, die Flügelstummel
waren aber relativ gleich.
Im Schweizer Entomol. Anz. v. 1. Jan. 26 wird die Frage aufgeworfen, ob auch in der Schweiz
geflügelte Caraben Vorkommen; in der folgenden Nummer vom 1. Febr. gibt der bekannte Carabologe