
In diesem p h y s o g a s t r e n Zustande ist die weibliche Milbe von der Ausgangsform,
dem fast mikroskopisch kleinen weiblichen Prosopon, sowohl an Aussehen wie auch an Größe so
verschieden, daß man beide Formen für Angehörige zweier verschiedener Gattungen bezw. Familien
halten könnte. Es ist also bei Ped. ventr. nicht nur ein stark ausgeprägter Geschlechtsdimorphismus
zwischen <$ und $ vorhanden, sondern auch ein scharfer Unterschied innerhalb des weiblichen Geschlechts
ausgebildet. "Wir haben hier einmal das junge, fast mikroskopisch kleine $, das, wie schon
erwähnt wurde, völlig geschlechtsreif ist und nicht etwa eine Larven- oder Nymphenform darstellt,
und dann das trächtige, physogastre $, das im Gegensatz zum jungen $ ein durchaus seßhaftes
Tier ist.
So eigenartig auch dieser Unterschied der $ ist, so steht er doch nicht einzigartig in der Tierreihe
da. Daß wir bei den verwandten Pedicubides-Milben ganz ähnliche Fälle haben, mag ja weniger
verwundern. Bei Pediculopsis graminum, einer nahestehenden Form, die auf Wiesengräsern und
Getreidepflanzen vorkommt, und deren $ sich von pflanzlichen Säften nähren, schwillt im Laufe
der Brutentwicklung der weibliche Körper schon hinter dem 2. Beinpaar zu einem gewaltigen Sack
an, der manchmal auch wurstförmig ist und eine Länge von 1825 ß , eine Breite von 750 ß und eine
Dicke von 500 ß erreichen kann ( E n z i o R e u t e r , 1900). Dabei besitzt das junge weibliche Prosopon
eine Länge von 200—250 ß und eine Breite von 70—80 ß . Ähnliche Fälle haben wir bei ändern
Pedicubides-Arten, z. B. bei Ped. mesembrinae (R. Can.) Berl.
Aber auch in ganz fernstehenden Tiergruppen haben wir einen ähnlichen Unterschied im weiblichen
Geschlecht durch P h y s o g a s t r i e . Man erinnere sich nur des Sandflohs, Dermatophilus
(Sarcopsylla) penetrans L., des berüchtigten Schmarotzers im heißen Afrika (ursprünglich in den
heißen Gegenden Amerikas heimisch). Hier ist zunächst das $ wie das <$ ein kleines, etwa 1 mm
langes lebhaftes Tier, das gut springen kann. Später setzt sich das $ am menschlichen Fuß fest, und
sein Hinterleib erlangt dann die Größe einer kleinen Erbse vom Durchmesser bis zu Yi cm. Das
Wachstum dieser Erbse wird bedingt durch das Heranreifen der zahlreichen Eier, die als Eier auch
abgelegt werden. Ähnlich verhält sich auch Vermipsylla alakurt Schimk. in Zentralasien (ein
Schmarotzer auf Rind, Schaf, Kamel, Pferd), deren Hinterleib vollgesogen einen Umfang von ungefähr
1 cm h a t (R. H e y m o n s i n B r e h m s T i e r l e b e n , 1915, p. 371—372). Bei diesen Sandfloharten
ist gleichfalls die physogastre Form seßhaft. Auch möchte ich hier kurz an die Honigtöpfe
der Honigameisen Myrmecocystus mexiccmus Wesm. var. horti deorum M’Cook erinnern, wo
bei Arbeiterameisen durch enorme Nahrungsaufnahme der Hinterleib zu einer gewaltigen Kugel
anschwillt, so daß sie unbedingt an die Kugelstadien von Ped. ventr. erinnern.
Ferner gehören hierher die Termiten, wo, wenigstens bei den hochorganisierten Arten, wie
z. B. Termes bellicosus Smeath., der Leib der trächtigen Königin durch den enormen Eiervorrat
einen ganz gewaltigen Umfang erreicht. Bei tropischen Ameisen kennen wir etwas Ähnliches.
Bei Edton quadriglume Hai. wachsen die Ovarien so stark, daß bald eine ausgesprochene
Physogastrie auf tritt (A. R e i c h e n s p e r g e r , 1924). Hier braucht man nur einen kleinen Schritt
weiter zu gehen, um auf eine Menge von Formen der verschiedensten Insektenordnungen zu stoßen,
die alle Physogastrie besitzen. Physogastrie kommt nämlich ganz allgemein bei zahllosen Termitengästen
vor, so z. B. bei den t e r m i t o p h i l e n C a r a b i c i d e n . Hier sind es hauptsächlich die
Larven, die physogaster sind. „Bemerkenswert ist, daß bei ganz frischen Imagines der Hinterleib
die Flügeldeckenspitze noch weit überragt und die Physogastrie also erst während des Imagolebens
schwindet.“ (Fig. 28 f, K. E s c h e r i c h , 1911.)
Physogastre Imagoformen besitzt auch der Kurzflügler Spirachtha eurymedusa Schiödte.
„Die Mißgestalt unter den Kurzflügelkäfern verdient auch noch deswegen unser Interesse, weil das
Tier zu den wenigen Käferarten gehört, die nicht eierlegend sind, sondern lebende Junge zur Welt
bringen“ (R. H e y m o n s in B r e h m s T i e r l e b e n , p. 398). Hierhin gehört auch noch von
den Dipteren die h e r m a p h r o d i t i s c h e Termitoxenia heimi Wasm., Südindien, und besonders
Termitomya. „Die Termitoxenien legen Eier, die Termitomyien aber sollen bereits völlig fertige
Fliegen zur Welt bringen, die sich daher auch nicht mehr zu häuten brauchen und sich überhaupt
nur durch den etwas kleineren (stenogastren) Hinterleib von den älteren, fortpflanzungsfähigen,
dickleibigen (physogastren) Fliegen unterscheiden. Somit kommt hier der einzig dastehende Fall
zustande, daß die Verwandlung, die Metamorphose, eine der wichtigsten Eigentümlichkeiten
höherer Insekten, gänzlich unterdrückt worden ist“ (R. H e y m o n s in B r e h m s T i e r l e b e n ,
p. 340). Weiteres über Physogastrie bei Termiten und ihren „Gästen“ Siehe K. E s c h e r i c h , 1909,
S. 130 ff. Das sind alles analoge Fälle, die mehr oder minder gut für Ped. ventr. passen.
Bemerkenswert ist, daß bei allen diesen Tierformen, bei denen Physogastrie vor kommt, es
sich stets entweder um Parasiten (Pedicubides, Vermipsylla, SarcopsyUa) oder „Gäste“ . (Termitengäste
: t e r m i t o p h i l e C a r a b i c i d e n , Spirachtha, Termitoxenia, Termitomya) handelt oder
aber um soziallebende Tierformen (Termitenkönigin, Honigtopfameisen, Eciton quadriglume).
Ferner ist zu beachten, daß die physogastren Formen zumeist entweder ganz sessil sind oder
aber sich nur in beschränktem Maße bewegen. Ersterer Fall trifft zu für die Parasiten und sozial
physogastren Formen, der zweite für die Gäste. Auffällig ist auch, daß eine Reihe von diesen
physogastren Tierformen lebendiggebärend ist: Pedicubides, Pedicubpsis, Spirachtha, Termitomya.
Bei dieser letzteren ist die Analogie mit Pedicubides ventricosus wohl am weitesten ausgebildet.
Auch der Fortfall der Metamorphose und das Geborenwerden der fertigen Imagoform ist
sowohl für Pedicubides wie auch für Termitomya charakteristisch.
Die Physogastrie wird bedingt einmal durch die enorme Nahrungsaufnahme, die wir sowohl
bei Pedicubides, Pedicubpsis und den Parasiten, in extremster Form bei den Honigtopfameisen
haben; vorzüglich aber durch das stark sich entwickelnde Ovar (Pedicubides, Pedicubpsis, Termitenkönigin,
Eciton, SarcopsyUa, Vermipsylla). Die Physogastrie hängt besonders, wie schon oben
erwähnt, in vielen Fällen mit dem Lebendiggebären der Jungen zusammen. Uber die tiefere Ursache
der Physogastrie soll hier nichts gesagt sein. Bei den Termiten und ihren Gästen wird sie durch
„die Fütterung mit einem besonderen Futterbrei“ hervorgerufen. (K. E s c h e r i c h , 1909. S. 130.)
Als Kuriosum sei erwähnt, daß A. L. D o n n a d i e u auf Grund dieser äußeren Ähnlichkeit
des physogastren Stadiums von Pedicubides mit der Termitenkönigin, Pedicubides ventricosus
(von ihm nach L i c h t e n s t e i n „Physogaster larvarum“ genannt), stammesgeschichtlich von
den Neuropteren (zu denen man damals die Termiten zählte) ableiten wollte. „Quant aux Physo-
gasters, ils semblent former un trait d’union intermédiaire que je rapproche volontiers des Névroptères
par l’analogie que présente la femelle de cette espèce avec la femelle des Termites. L’appareil reproducteur
a encore, par sa constitution extérieure, beaucoup de ressemblance avec celui des Panorpes“.
(1876). Das war die Zeit, als die phylogenetischen Studien besonders in Blüte standen, und ein jeder
glaubte, seinen Beitrag dazu liefern zu müssen.
Eine Übersicht über die Größenzunahme des anschwellenden. Hinterleibs und seine Entwicklung
zur Kugel gibt Tabelle 1.
Zoologie». Heft 74. 3