
B o r n die Antwort: Von Garabus seien in ihrem ganzen Ausbreitungsgebiet vollgeflügelte Stücke von
granulatus und clathratus bekannt; sie kämen an einigen Stellen häufiger, an anderen weniger häufig
vor. C. clathratus fehle in der Schweiz, von granulatus fänden sich aber dort auch makroptere Stücke
vor und B o r n bezweifelt nicht, daß sie auch fliegen. Es ist sehr interessant, daß er noch eine dritte
und zwar alpine makroptere Carabus-Art kennt, C. italicus Ronchitti in den Bergammasker Alpen.
Von dieser Art erhielt er 14 genadelte Stücke aus dem Val Sassina und bei zweien von ihnen schauten
gut erhaltene Flügel unter den Decken hervor; er vermutet, daß sie und auch Stücke der nahe verwandten
italicus-Form des Monte generoso fliegen können, wenn er auch die schwer erhältlichen, kostbaren
Tiere nicht seziert habe. Von fast allen europäischen und einigen außereuropäischen Carabini
besitzt er Präparate der Flügelrudimente; vollentwickelte Flügel finden sich, wie das Vorstehende
lehrt, im Gebirge so gut wie außerhalb desselben; das ist es gerade, was wir wissen wollten. B o r n
nimmt in dieser Mitteilung stillschweigend an, daß die makropteren Stücke der genannten Arten wohl
auch alle flugfähig seien; dieser Ansicht kann ich nicht beipflichten; denn obwohl makroptere Exemplare
von granulatus und clathratus gar nicht selten sind und diese großen Tiere bei Ausübung des
Fluges gar nicht übersehen werden können, sind Meldungen über fliegend beobachtete Stücke sehr
spärlich. Demnach müssen wir annehmen, daß die fliegend beobachteten Stücke die letzten flugfähigen
ihrer Art sind. Sie bilden wiederum einen Beleg dafür, daß nicht alle Individuen einer Art
gleichzeitig der Flugunfähigkeit verfallen.
Bei der Besprechung des angeblichen Dimorphismus haben wir schon gesehen, daß für die Ent-
flügelung in der Gattung Crepidodera keine Praecedenz der alpinen Arten nachzuweisen ist.
Mit großen Massen von Plagiodera versicolor Laich, stellte ich anfangs September 1924 in Feldkirch
(Vorarlberg) das Inselexperiment an, dehnte es über mehrere Tage aus und erhielt ein negatives
Ergebnis. Am 1. VI. 25 bot sich Gelegenheit, an der Mosel die gleiche Art auf ihre Flugfähigkeit
zu prüfen. Hier flogen alle Stücke mit Leichtigkeit von der Fingerspitze ab. Im gleichen Monat traf
ich an der Siegmündung ein schwärmendes Stück an. Die Vermutung, daß die montanen Stücke
von Plagiodera bereits flugunfähig sind, erwies sich aber als irrig oder doch aus den Versuchen nicht
beweisbar. Denn die anatomische Untersuchung zeigte, daß es sich in Feldkirch um meist ganz frische
Stücke handelte, deren Flugmuskeln noch nicht entwickelt waren. Auch jene mit ganz guter
Flugmuskulatur waren an den noch vorhandenen Konkretionen der im Puppenstadium angesammelten
Abbaustoffe als Jungkäfer zu erkennen. Ich erwähne diesen Fall nur, um zur Vorsicht
zu mahnen.
Wenden wir uns der H ö h l e n f a u n a zu. An ihrer Zusammensetzung nehmen z. B. in den
Karsthöhlen die Käfer einen hervorragenden Anteil. Systematisch gehören sie zu den Familien der
Carabidae, Staphylinidae, Pselaphidae, Silphidae» (Curculionidae). Sie sind nach S c h i ö d t e ( H a m
a n n 1896, S. 1) sämtlich „flügellos“ . H a m a n n verglich die einzelnen Arten bezüglich der Rückbildung
der Augen mit ihren nächsten, „freilebenden“ Verwandten. Er fand auch nicht eine einzige
Art, die nicht auch unter jenen Gattungsgenossen mit rudimentären oder fehlenden Augen besaß. Obwohl
man sich ohne weiteres mit dem Analogieschluß von der Rückbildung der Augen auf die der
Flügel begnügen könnte, habe ich mich doch Art für Art davon überzeugt, daß alle flügellosen Käfer
der Karsthöhlen auch außerhalb der Höhlen lebende rudimentär geflügelte Verwandte besitzen.
In der Gattung Trechus z. B. finden sich außerhalb der Höhlen geflügelte Arten mit normalen
Augen und rudimentär geflügelte mit stark reduzierten Augen, in den Höhlen nur flügellose und völlig
blinde ( Ha ma n n ) . Da wir annehmen dürfen, daß für die Rückbildung gleicher Organe bei verschiedenen
Arten das gleiche Zeitmaß erforderlich ist, können wir aus diesem Nebeneinander der verschiedenen
Stufen auf einen zeitlich verschiedenen Anfang der Rudimentationserscheinungen schließen,
der natürlich auch außerhalb der Höhlen, wie Beispiele zeigen, zu dem gleichen Endziel des Apterismus
(und der Blindheit) führt.
Aus der Tatsache, daß sämtliche flügellose Höhlenkäfer des Karst außerhalb der Höhlen flugunfähige
Gattungsgenossen haben, folgt, daß es sich beim Übergang zum Höhlenleben wohl meist nur
um eine Fortsetzung bezw. Vollendung des Entflügelungs- (und Erblindungs-) Prozesses handelt, der
vorher schon eingeleitet war. Im allgemeinen wird es zwar schwer sein, dies für einzelne Arten mit
einiger Sicherheit noch festzustellen; ganz eindeutig liegt aber der Fall bei den Pselaphiden Bythinus
subterraneus Motsch, B. Mariae Duv. und vermutlich auch bei B. Doriae Schauf. Die blinden Weibchen
entbehren auch der Alae, die Männchen besitzen Unterflügel und Augen trotz ihres eucavalen Lebens.
Da die echten Höhlentiere nicht fliegen — von der langflügeligen Diptere Phora aptina sagt S c h i n e r,
sie sei in keiner Weise zum Fliegen zu bringen, was auch F e r d . S c h m i d t und H a m a n n bezeugen
—- kann der Übergang der genannten Bythinus-Arten erst erfolgt sein, als die Weibchen bereits völlig
oder doch annähernd blind waren und die Männchen vielleicht noch die Flügel zum Aufsuchen der
Weibchen gebrauchten. Denn die gleichen Verhältnisse bezüglich der Rückbildungen treffen wir bei
der Pselaphidengattung Trimium Aube an, deren Arten im Laub und Moos der Wälder leben. Die
flügellosen, meist kleinäugigen Weibchen werden von den mit großen normalen Augen ausgestatteten
Männchen fliegend aufgesucht, wie ich dies beim Männchen von Trimium brevicorne Reichenb. einmal
im April beobachtete. Von der artenreichen Silphidengattung Bathyscia gibt es manche „freilebende“
flügellose Arten; Bath. montana S c h i ö d t e findet sich in Oberkrain im feuchten Laub am Eingänge
der meisten Grotten; die meisten Karsthöhlen besitzen ihre eigene eucavale Bathyscia-Axt, die
vermutlich von den flügellosen „freilebenden“ abstammen und sich in der Isolation zu selbständigen
Arten weiterentwickelt haben. Diese Beispiele flügellos zum Höhlenleben übergegangener Käfer mögen
genügen, um zu zeigen, daß den Höhlen wegen der Flügellosigkeit der in ihr lebenden Insekten keine
Sonderstellung zukommt.
„Die Tierwelt der unterirdischen Räume stammt von der Oberfläche und ist früher oder später
dorthin eingewandert“ ( H e s s e 1924, S. 560). Hierbei dürfen wir jedoch nicht an einen plötzlichen
Übergang denken. Denn die Fauna der Höhlen (Macrocavernen) und auch der Microcavernen, wie sie
u. a. die Nester der kleinen Säuger, Vögel, Schildkröten und selbst der sozialen Insekten darstellen,
ist nur ein besonderer Ausschnitt aus einer viel größeren, subterranen Fauna anzusehen. Als weitesten
Kreis umfaßt diese Hypogaeenfauna Nahrungsspezialisten aus der Reihe der Mycophagen und Myrme-
cophagen z. B., als besonderen Kreis die von dem ökologisch so wichtigen Faktor des Lichtes stark
beeinflußten photophoben, skiophilen und skotöphilen Insekten, die wohl meist ebenfalls bezüglich
der Nahrung spezialisiert sind. Aus diesen Kreisen haben sich zahlreiche eucavale, nidicole, myrme-
cophile usw. Insekten zu engeren Lebensgemeinschaften zusammengefunden, eine Tatsache, auf die
auch anderweitig schon mehr-weniger deutlich hingewiesen worden ist (H. S c h m i t z S.J.). Die
ganze Stufenleiter der zufälligen, fakultativen und obligaten Gäste zeigt, wie dieser Prozeß noch
immer im Gange ist, auch weiter sich vollziehen wird und zur hochgradigen Stenotopie, Symphilie
und unter Umständen zum Ektoparasitismus führen kann. Wie es bei diesen Biocönosen mit dem
Flugapparat der Käfer steht, sei an einigen Beispielen gezeigt,.
Von den Gästen der Ameisen ist mir keine einzige fliegende Art bekannt. Die Mehrzahl der
gesetzmäßigen Gäste dürfte rudimentäre Flügel besitzen. Die symphiien Pselaphiden und Clavigeriden,
Zoologien. Heft 75. 8