
Wenn eine einzelne Borste etwas stärker als die übrigen vorgeschoben wird, treten also Richtungs-
änderungen im Verlauf des Bohrkanals ein. Wenn nun aber die b e i d e n Borsten des maxillaren
Paares für sich vorgestoßen werden, so können sie an der Spitze des Bündels über die mandibularen
heraustreten (s. B üs g e n ) . Die Einkerbungen Kerb, die genügen, die für die Steuerung nötige
Text-Abb. 4: c) Schema der Stechborstensteuerung vgl. Text, d) Schema des Vor- u nd Zurückziehens
der maxillaren Stechborsten, die rechte ist maximal zurückgezogen, die linke maximal vorgeschoben,
e) Aussaugung im Leptom von Evonymus, charakteristische Krümmung der Stechborstenspitze (nach
Z w e i g e 11). f) Verzweigung eines Stichkanals im Leptom (nach Z w e i g e 11)..
Reibung zu bewirken, genügen offenbar nicht, dies Vordringen der maxillaren Borsten über die mandibularen
zu verhindern (oder umgekehrt), wenn beide Borsten des betreffenden Paares zusammen
mit größerer Gewalt vorgestoßen werden als die des anderen Paares. In diesem Fall ist ja ein seitlicher
Ausschlag unmöglich. Es scheint, daß dasselbe gilt, wenn eine einzelne Borste mit besonders
großer Gewalt vorgestoßen wird. Sie bricht dann aus dem Verband heraus und dringt geradlinig vor.
Die verschiedene Form der Spitze der mandibularen und maxillaren Stechborsten legt die Vermutung
nahe, daß beide zu verschiedenen Aufgaben gebraucht werden. Es wäre z. B. denkbar, daß
die gröberen Spitzen der mandibularen Borsten vorgeschoben werden, wenn sehr widerstandsfähige
Teile zu durchbohren sind und daß die feine Spitze der maxillaren Borsten zum Anstechen dünner
Zellwände gebraucht wird1).
1) Die ganze Frage der F unktion d er Stechborsten werde ich in einer besonderen Arbeit, in d er ich genauer auf alle Rhynchoten-
gruppen eingehen will, nochmals aufrollen. (Zeitschrift f. vergl. Physiol. 1928)
Die vorstehenden Ausführungen bilden eine einigermaßen befriedigende Lösung der letzten Teilfrage
des obigen Problems, der Frage nach der Mechanik der Stechborstensteuerung und es bleibt
jetzt nur noch zu erklären, wie die Steuerung geleitet wird, wie die Stechborsten ihr Ziel finden.
Die nächstliegende Annahme, zu der auch Z w e i g e l t sich genötigt sah, wäre, daß die Stechborsten
an ihrer Spitze Sinnesorgane tragen, die einerseits chemische, andererseits taktile Reize rezipieren
und so auf dem Weg über die zentralen Organe die Muskulatur der Stechborsten zu zweckentsprechenden
Bewegungen veranlassen könnten. Chemische und taktile Reize müssen getrennt
werden, da aus den Untersuchungen, die Z w e i g e l t gemacht hat, hervorgeht, daß wir „den Tieren
einmal d i e F ä h i g k e i t z u s p r e c h e n m ü s s e n , c h e m i s c h e Q u a l i t ä t e n i n n e r h
a l b d e r P f l a n z e w a h r z u n e h m e n , d i e s e l b e n zu m ei d e n ode r a u f z u s u c h e n ,
f e r n e r s i c h ü b e r d i e D r u c k v e r h ä l t n i s s e z u o r i e n t i e r e n u n d a u c h d i e
L a g e m e c h a n i s c h e r , f ü r v i e l e L ä u s e u n p a s s i e r b a r e r G e w e b e w a h r z
u n e h m e n “ (1. c. p. 327).
Die anatomische Untersuchung zeigt, daß weder die mandibularen noch die maxillaren Borsten
in ihrem distalen, allein der Aufgabe des Stechens und Saugens dienenden Teil Träger von Sinnesorganen
sein können. Daran kann auch die überaus scharfe Kritik, die Z w e i g e l t an den von
zoologischer Seite beigebrachten Beobachtungen über den Bau der Stechborsten übt, nichts ändern,
auch nicht sein Hinweis auf die Unsicherheit in der Deutung der Haare und Haken, „die an den
Saugborsten vieler Rhynchoten gefunden wurden“, denn gerade an den Borsten der Aphiden fehlen
solche völlig. Zweifellos recht hat Z w e i g e l t indessen, wenn er meint, die von B u r m e i s t e r
erstmals ausgesprochene Ansicht, die Rhynchoten bedürfen weniger des Geschmackssinnes als kauende
Insekten, weil sie immer ein und dieselbe Nahrung zu sich nehmen und meist auf den Dingen leben,
aus denen sie ihre Nahrung ziehen, sei unbegründet: „Daß bei der hohen Spezialisierung und der
großen Beschränkung von Wirt und Parasiten, der weitgehenden Anpassung der letzteren an den
jeweilig ersteren, die Vererbung eine nicht zu verachtende Rolle spielen wird und die Tiere bereits
mit einer gewissen „Kenntnis“ des Nahrungsobjekts und „instinktiv zweckmäßig“ arbeiten werden,
entbindet uns keineswegs von d e r N o t w e n d i g k e i t , s p e z i f i s c h e O r g a n e d e s
c h e m i s c h e n S i n n e s , dem allein die subtilen Differenzierungen in der Pflanze zugänglich
sein können, a u f z u s u c h e n . Die von den Zoologen vertretene Auffassung ist also nichts weniger
als den Tatsachen entsprechend, ich möchte sogar behaupten, daß gerade Tiere, d i e i n f o l g e
i h r e r t r ä g e n L e b e n s w e i s e a n a n d e r e n S i n n e s o r g a n e n n a c h w e i s l i c h
E i n b u ß e e r l i t t e n h a b e n , eines chemischen Sinnes um so mehr bedürfen werden“ (Zwe i -
ge 11 , 1. c. p. 328). Auch vom rein zoologischen Standpunkt aus muß man Z w e i g e l t hier recht
geben, da das Wort Instinkt ja nichts anderes sagen kann, als daß durch bestimmte Reize bestimmte
Reaktionen auf ererbten Bahnen ausgelöst werden. Voraussetzung ist also immer das Vorhandensein
von Rezeptoren. Aber ist denn wirklich erforderlich, daß solche Sinnesorgane gerade an der Stechborstenspitze
ihren Sitz haben, nur weil die Stechborstenspitze der Teil ist, der den Weg zum Ziel
zu gehen hat?
Was d i e t a k t i l e n R e i z e betrifft, so möchte ich einen Vergleich brauchen. Jede Berührung
eines menschlichen, nicht allzu langen Haares ist zu fühlen, besonders innervierte Haare, Tasthaare,
dienen sogar ausschließlich dazu, taktile Reize von der Haarspitze nach den Rezeptoren im Haarbalg
zu „leiten“ . Die Stechborsten kann man aber mit Recht mit Haaren vergleichen: sie bestehen aus
einem chitinösen, leblosen Teil, entsprechend dem Haarschaft und dem innervierten (p. 42) retorten