0 e r t e 1 t a t vom vergleichend-morphologischen Standpunkt aus die Alae-Stummel bei 45 Cmaims-
Arten, die aus den verschiedensten Gegenden stammten, in ihrer äußeren Form, im Verlauf der Adern
und Tracheen gründlich untersucht. Folgendes sind die Hauptergebnisse:
1. M e untersuchten Arten, zu denen auch Promistes coriaceus L. gehört, besitzen Alae-
Rudimente.
2. Bei Carabus clathratus L. und granulatus L. kommen völlig geflügelte Exemplare vor, die
durch alle Zwischenstufen mit stark rudimentären Stücken ihrer Art verbunden sind. Ä u ß e r l i c h
i s t d e n K ä f e r n n i c h t a n z u s e h e n , ob sie n o r m a l od e r r u d ime n t ä r g e f l ü g e l t
s i n d . In Flügelform und Äderung zeigt sich hier ein starkes Fluktuieren. S o k o l a r s Ansicht)
daß granulatus im südlichen Mitteleuropa eine größere Zahl geflügelter Stücke aufweise als weiter im
N und daß die Flügelreste von S nach N schmäler und kürzer würden, ist unrichtig. Es findet sich der'
stärkste Grad der Verkümmerung bei einzelnen Tieren in Oesterreich, in Brandenburg und in Danzig.
Besonders in der Mark Brandenburg scheinen die vollständig geflügelten Stücke zu überwiegen.
K u n t z e n - Berlin und S o k o 1 ä r - Wien versichern, fliegende Stücke von granulatus beobachtet
zu haben.
3. Die Rückbildung schreitet derart vor, daß Teile der Flügelfläche reduziert werden; die Adern
verlagern sieh, rücken zusammen, verschmelzen teilweise oder atrophieren. Zwischen den Adern werden
Stellen dünn und löcherig. Es entstehen Zacken und Vorsprünge.
4. Asymmetrien in der Ausbildung des rechten und linken Stummels zeigten sich fast bei allen
45 untersuchten Arten, so in der Äderung z. B., und das am deutlichsten bei stark fluktuierenden,
noch nicht zu einer festen Norm gelangten Flügelresten (C. glabratus P a y k., hmtensrs L., clathra-
tus L. usw.). Hier ist das rückbildende Bestreben stärker als das Prinzip symmetrischen Wachstums.
5. Die Rudimente sind keine verkleinerten Normalflügel. Sie sind für jede Art charakteristisch.
Mit dem Grad der Rückbildung verengert sich die Variationsbreite. Bergformen scheinen zuerst eine
z u erreichen ( ? ) . Die Hauptadem beharren am längsten, besonders der Radius.recurrens,
6. Konstanz der Rudimente, Verwachsung der Elytren und Abplattung der Schulterbeule gehen
Hand in Hand. Nur bei den apteren Cychrw-Aiten bleiben die Schulterheulen als Resonatoren d e s.
Lautapparates bestehen. _r
7. Ein Funktionswechsel ist nicht sicher nachgewiesen. Bei Eupelmus degeen D a h n (Hymen-
o p t) werden im Apikalteil d u n k l e -Abbauprodukte abgelagert und mit dem A p ik a lt e il abgestoßen.
Diesen Vorgang glaubt 0 e r t e 1 auch für dunkel pigmentierte Apikalteile der Flügelrudimente von
Carabus annehmen zu können. . „
8. Die Alae werden im Puppenstadium bei Carabus normal angelegt, bleiben bisweilen auf frühem
Stadium stehen; meist kommt es zu einer degenerierten Weiterentwicklung.
Das sind einige der interessanten Ergebnisse der Arbeit von 0 e r t e 1. Er h a t sich erfolgreich
mit dem klassischen Schulbeispiel rudimentär geflügelter Käfer befaßt. Zu Nummer 5 mochte ich
bemerken, daß wir bei Käfern dennoch Kümmerflügel in Form verkleinerter Normalflügel kennen.
Sämtliche Derocrepis-Arten der Paläarktis zeigen das abgeleitete Merkmal verkümmerter oder völlig
fehlender Hautflügel. Die Arten Nord-, Mittel- und Westeuropas (einschließlich der Apennmen-
halbinsel) besitzen Hautflügel von halber Deckenlänge, mit vollständigem, verkleinertem Geäder versehene
Organe“ (H e i k e r t i n g e r 1925, S. 121). Ferner habe ich für die von 0 e r t e 1 vermutete
Präzedenz der Montanformen keine Bestätigung bei meinen eigenen Untersuchungen gefunden. Das
möge voreist genügen.
Allem Anschein nach ist es eine gänzlich unbeachtete Tatsache, daß es Coleopteren gibt, deren
Flugapparat völlig aüsgebildet und funktionsfähig erscheint, aber dennoch niemals in Funktion tritt.
Daß dies nicht schon längst erkannt wurde, hegt an dem noch immer stark vernachlässigten Studium
der Lebensweise der Käfer. Nur so erklärt es sich, daß in fast allen Handbüchern völlig geflügelte Tiere,
selbst wenn sie nur ausnahmsweise auftreten, ohne weiteres als flugfähig angesehen oder gar als im
Dienste der Artverbreitung stehende Wander- und Reiseformen betrachtet werden. In Wirklichkeit
sind aber Langflügeligkeit und Flugfähigkeit keine vertauschbaren Begriffe Ein Zufall machte mich
auf diesen Tatbestand aufmerksam.
Am 29. Juli 1910 bemerkte ich in Valkenburg (Holl. L.) auf dem Felsen, der das Spritzrohr eines
Brunnens umgab, eine Chrymmeh goettmgensis L. Nach zwei Tagen saß sie noch dort. Warum war sie
mcht fortgeflogen, nachdem der Brunnen abgesteflt war und das Wasser sie nicht mehr daran hinderte?
Ich öffnete ihre Flügeldecken. Die rosaroten Alae schienen völlig in Ordnung zu sein. Nun besann ich
mich darauf, niemals eine Chrysomele fliegend Beobachtet zu haben, obwohl ich von Kindsbeinen an
ein Auge für Käfer besaß und zehn Jahre lang in den Alpen gewohnt und dort Chrysomda- und Chryso-
c fc -A rte n massenhaft zu Gesicht bekommen hatte. Bei dieser Gruppe schien trotz vollentwickelten
Flugapparates Flugunfähigkeit vorzuliegen.
Um mich von der Richtigkeit dieser Schlußfolgerung zu überzeugen, wiederholte' ich schon 1910
das vom Zufall dargebötene „ I n s e l e x p e r i m e n t “. Von Galeopsis sammelte ich.eine Masse
Ghrysomela fastuosa Sepp,, brachte sie auf eine Wasserinsel und hing die Futterpflanze über ihnen auf.
Fünf Tage wurde der Versuch ausgedehnt;#«* keines der Tiere erreichte die Pflanze. Wohl sammelten
sich manche auf einem erhöhten Punkt der Insel, der den Abflug erleichtern sollte; sie streckten die
tastenden Fühler verlangend der Futterpflanze entgegen, die bis auf wenige Zentimeter auf die Insel
herabhing. Kein Flugversuch wurde unternommen, nicht einmal die Decken ein wenig gelüftet, wie
es sonst bei Jlugunsehlüssigen Tieren leicht zu beobachten ist.
Den gleichen Versuch machte ich später, z. T. H H H B H erst, mit Chrysomda menthastri
S u f f r., co e ru hm S a i., graminisi., poUta L., varians Sc h a l l . , 5 m M « « i s G i a v . , hyperiei
F o r s t . , marginaUs D f t., ferner m it (Plagiodera versicohr La i c h . , Gastroidea mridida G e e r und)
Ohrysaehloa cacaliae S e h r n k . , teils in Hofland, teils ¡11 Bonn, teils in Vorarlberg.
Da es sich bei diesen Käfern um echte Sonnentiere handelt, verfehlte ich nicht, dafür zu sorgen,
daß Insel und Futterpflanze von der Sonne beschienen wurden. Aber auch diese, bei den ersten Versuchen
außer acht gelassene Maßnahme änderte nichts am negativen Ergebnis der Experimente.
Erfolg hatte ich nur bei Mehsorm populi L. und tremulae F., die ja auch in freier Natur, selbst im
graviden Zustand, zum Fliegen gebracht werden können
Es wäre übereilt, aus dem negativen Ergebnis d§£ „Inselexperimentes“ ohne weiteres auf Flug-
unfahigkeit zu schließen. Denn man muß genau wissen, ob mm es mit maturen Stücken zu tun hat
oder mcht, und dazu bedarf es zunächst einmal der anatomischen Untersuchung der Flugmuskulatur.
Jeder Entomologe weiß, daß frischgeschlüpfte, immature Stücke nicht ohne Vorbehandlung
mit Alkohol u. ä. für Sammlungszwecke zu gebrauchen sind, da sie völlig zusammenschrumpfen. Der
hohe Grad des Schrumpfens erklärt sich aus der Weichheit des Chitinpanzers; ob daraus allein, lasse
ich dahingestellt. Es war mir eine große Überraschung zu finden, daß die inneren Organe beim Schlüpfen
noch weit von ihrer völligen Ausbildung entfernt sind und namentlich die Flugmuskulatur erst im Begriffe
steht, sich zu entfalten. Daß Käfer, die bereits im Herbst schlüpfen und überwintern wie
Melolontha Wd verwandte Arten, sofort flugfähig auftreten, kann natürlich nicht wundemehmen,