
IV. Der Thorax.
Der Thorax der Aphiden h a t in der Literatur bisher noch so wenig Beachtung gefunden, daß
ich die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen möchte, hier eine Lücke auszufüllen und einiges zu
seiner Kenntnis beizutragen. Der ß h y n c h o t e n t h o r a x ist überhaupt, wenn man von dem
der Cicaden absieht, der von A m a n s und B e r 1 e s e berücksichtigt wurde, bisher sehr stiefmütterlich
behandelt worden und doch bietet er besonderes Interesse, wenn man bedenkt, wie verschieden
— in bezug auf das Flugvermögen und die Ausbildung der Flügelpaare — die Formen sind, die man
zur Gruppe der Khynchoten vereinigt. Da über den Thorax der Wanzen aber bis jetzt nur sehr wenige
Einzelheiten bekannt geworden sind ( S n o d g r a s s , H e ymo n s ) , muß ich im folgenden auf das
Herbeiziehen der Wanzen zum Vergleich vorläufig verzichten. Erst wenn mir eigene Untersuchungen
an Wanzen und Cicaden zur Verfügung stehen, kann der folgende Abschnitt ausgebaut werden zu
einer vollständigen vergleichenden Morphologie des Rhynchotenthorax, zu der er Material zu liefern
geeignet ist.
Der A p h i d e n t h o r a x speziell ist für die vergleichende Morphologie von Wert wegen des
Gegensatzes zwischen geflügelten und ungeflügelten Tieren. Die Umgestaltung des Skeletts und der
Muskulatur, die mit dem Erwerb der Flugtätigkeit einsetzte, macht oftmals die ursprüngliche Zusammensetzung
und Gliederung der Segmente unkenntlich und so ist es von ganz besonderer Bedeutung,
daß bei den Aphiden die ungeflügelten Tiere, wenn man sie mit den geflügelten vergleicht, vielfach
noch Rückschlüsse auf jene primäre Gliederung des Thorax gestatten, viel mehr als die Larven, bei
denen die Chitinisierung noch so schwach ist, daß man, insbesondere in der Sternalregion, Sklerite
überhaupt nicht unterscheiden kann.
Gerade in der sternopleuralen Region aber läßt sich durch Vergleich der ungeflügelten und geflügelten
$ nicht nur eine gute Anschauung von der Umgestaltung des Innenskeletts gewinnen, sondern
vor allem auch ein greifbarer Hinweis auf die subcoxale Herkunft der Pleuren.
Was die N o m e n k l a t u r des Skeletts und der Muskeln des Thorax betrifft, so muß ich auf
meine älteren Arbeiten, besonders auf „Das Grundschema des Pterygotenthorax“ verweisen. Da
eine Erläuterung der einzelnen Bezeichnungen und eine Begründung meiner Anschauungen über den
Bauplan des Insektenthorax zu viel Raum beanspruchen würde, muß ich im folgenden die Ergebnisse
meiner früher publizierten Arbeiten voraussetzen.
Die einzelnen Thorakalsegmente werden im folgenden in der natürlichen Reihenfolge beschrieben,
allgemeine Fragen werden, soweit sie sich im Rahmen der Beschreibung erledigen lassen, jeweils
bei den einzelnen Abschnitten besprochen; solche, die einen größeren Zusammenhang erfordern und
die Kenntnis des ganzen Skeletts und der Muskulatur voraussetzen, werden an den Schluß der Beschreibung
gestellt, wo auch die Mechanik des Thorax erläutert werden soll.
A. Das Thorakalskelett.
1. D i e H a l s r e g i o n .
Die Kopf und Prothorax verbindende „Halshaut“ ist bei den Aphiden nur sehr wenig entwickelt.
Ihr dorsaler Teil, die Nackenhaut (NH), die sich vom Hinterrand des Epicraniums zum Vorderrand
des Pronotums spannt, ist nur sehr schmal (Abb. 1), lateral ist (Abb. 3, 4) ebenfalls nur ein schmaler,
membranöser Zwischenraum zwischen Kopf und Prothorax, und nur ventral liegt das kleine Kehl
stück (KSt) in der „Kehlhaut“, aber so weit vor der Basis des Labiums (Abb. 2), daß schon seine Lage
es unwahrscheinlich macht, daß man dies kleine Skleiit als Homologon der Kehlplatten anderer
Insekten identifizieren darf. Ich habe schon angedeutet, daß ich das Kehlstück als Rest eines Hinterhauptrings
betrachte (Muskelansätze) und möchte hier nur noch hinzufügen, daß die offenbar fehlenden
Kehlplatten (cervical plates der amerikanischen Morphologen) wahrscheinlich, dem Verhalten der
Intersegmentalmuskulatur nach, in den Propleuren mit enthalten sind, ganz ähnlich wie das (s.
We b e r 1927) bei den Hymenopteren zweifelsfrei der Fall ist. Den Versuch eines Nachweises dieser
Annahme kann ich aber erst weiter unten nach Besprechung der Muskulatur machen.
MpcV"isoh verständlich ist die Reduktion der Halsregion und die vermutliche Verschweißung
ihrer skelettalen Teile mit den Propleuren dadurch, daß der Kopf bei Aphis keine sehr hohe Beweglichkeit
braucht. Der Saugvorgang bedingt im Gegenteil sogar eine möglichst starre Kopf-Rumpf-
verbindung, wenigstens im sternal-pleuralen Teil, zu dem die Kehlplatten gehören. Die Bewegungen
des Kopfes beschränken sich auf das Anpressen des Säugrüssels an die Unterlage und das Wiederabheben,
wie diese Bewegungen mit den vorhandenen Mitteln ausgeführt werden, wird auf p. 82
gezeigt werden.
Diese Bewegungen, zu denen noch die Eigenbewegung des Labiums und der Stechborsten hinzukommen,
genügen aber für den Nahrungserwerb völlig — teleologisch gesprochen — das an die Ernährung
durch Pflanzensäfte einseitig angepaßte, hochspezialisierte Insekt „braucht“ nicht die bewegliche,
durch die Einschaltung mehrerer Gelenke gegliederte Halsregion wie ein polyphages
kauendes Insekt, dem die verschiedensten Möglichkeiten zu Gebote stehen müssen. Eine besondere
Höhe der Spezialisation in einer Richtung bedingt vielfach eine Vereinfachung in anderer Richtung,
allerdings unter Verlust der bei primitiven Formen vorhanden gewesenen Anpassungsfähigkeit an
verschiedene Lebensbedingungen.
2. D e r P r o t h o r a x .
Der Prothorax, beim geflügelten und ungeflügelten Tier das schwächste Thorakalsegment, besteht
wie alle Segmente des Thorax, aus einem tergalen, einem pleuralen und einem stemalen Teil.
a) Das Tergum (Abb. 1—6).
Das Tergum des Prothorax besteht aus einem notalen Teil (N,), dem Pronotutn, das sich als
unpaares, vorn annähernd geradlinig abgeschnittenes, hinten stark eingebuchtetes Sklerit ans Epi-
cranium anschließt und einem paarigen, dahinter gelegenen Teil, dem Posttergit (Post).
Das P r i i n o t n m hat, trotz seiner relativ geringen Größe, den ganzen Habitus eines Halsschilds,
jedenfalls viel mehr als etwa das Pronotum der Lepidopteren ( W e b e r 1924) oder der Hymenopteren
( W e b e r 1925). Es ist etwa dreimal so breit wie lang, eine ziemlich ausgeprägte Vertiefung
läuft quer über das ganze Sklerit und ist im Innern als deutlich vorspringende Kante (Kt,
Abb. 4, 19) erkennbar. Diese Vertiefung (und Kante) läuft aber nicht direkt quer, sondern, wie sich
in den Seitenansichten zeigt, schief nach hinten ventralwärts. Infolge der Einbuchtung des Hinterrandes
des Pronotums läuft die Kante mit diesem Rand parallel und teilt das Pronotum in ein vorderes
Stück, das etwa ein Paar Dreiecke bildet, und in ein hinteres Stück, das sich als ziemlich schmales,
in der Mitte vorgewinkeltes Band darstellt (Abb. 1, 3). Die Kante K t dient verschiedenen Muskeln