I. A. 2. Der Hautflügel und seine Wurzel.
Während über die Käferflügel und ihre Adern eine größere Zahl von Untersuchungen vorliegt,
die vorwiegend systematischen Zwecken dienen, befassen sich mit der Mechanik des Käferflügels nur
S t r a u ß - D ü r k h e i m (Meblontha) und S t e l l w a a g (Lamellicornier). In den systematischen
Arbeiten wurden die verwickelten Verhältnisse der Flügelwurzel, ohne deren Kenntnis ein Verständnis
der Flugmechanik ganz ausgeschlossen ist, völlig außer acht gelassen. Diese Lücke suchte S t e l l w
a a g für die Käfer auszufüllen. Seine Befunde nachzuprüfen und durch Vergleich mit Orthopteren
und Hymenopteren zu erweitern, ist unsere nächste Aufgabe. Eine kurze Übersicht über die Erforschung
des Flügels der Insekten findet sich bei H. W e b e r (1924, S. 47).
I. D e r F lü g e l.
Der Flügel der Cerambyciden und Chrysomeliden gehört zum dritten, von G a n g l b a u e r
auf Grund der Äderung aufgestellten Typ der Canthariden. Er ist gekennzeichnet durch den rückläufigen
Ast der Media (Textfig. 1, Mr) und umfaßt die Mehrzahl der Käferfamilien, auch die von
S t e l l w a a g untersuchten Lamellicornier. Der Rest der Käfer verteilt sich auf den Adephagen- und
Staphylinidentyp. Bezüglich der Benennung der Flügeladern ist die Bezeichnungsweise von C o m -
s t o k - N e e d h a m für alle Insektengruppen üblich geworden. Als Hauptadern kommen in Betracht:
Costalader (C), Subcostalader (Sc), Radius (R), Medialader (M), Cubitalader (Cu) und Analadern (An),
die ich mit K e m p e r s (1924) in Analis, Analis auxiliaris und Analis accessoria unterscheide.
Die drei Vorderrandadern und die Media beherrschen das Costalfeld, die übrigen das Analfeld.
Beide Felder sind durch eine tiefe Membranfalte ( S t e l l w a a g ) getrennt, die von der Basis der
Media zum Hinterrande des Flügels zieht und diesen zugleich mit dem hinteren Ast der Media erreicht.
Längs der Falte lassen sich die beiden Felder gegeneinander ab winkeln, was flugtechnisch von größter
Bedeutung ist, da so beim Niederschlagen des Flügels die Luft gestaut wird, nur langsam nach hinten
abfließt und damit die Hubkraft liefert.
Ein Costal- und Analfeld findet sich bei allen Insektengruppen. Stets ist das erstere kleiner als
das letztere, auch bei den Hymenopteren, wo das zweite Flügelpaar, das an den Hinterrand des ersten
gehakt wird, flugtechnisch als Teil des Analfeldes betrachtet werden muß. Da bei den Hymenopteren
R und M verschmolzen sind und die Cubitalader die Rolle der Media spielt, verläuft bei ihnen die
Membranfalte nicht wie bei den Orthopteren und Coleopteren vor, sondern hinter der Cu, was natürlich
flugmechanisch keinen Unterschied macht.
Um das Entfalten und Falten, Heben und Senken des Flügels zu verstehen, müssen wir auf die
Kinzeiadern näher eingeben. C, Be und R bilden bei den Käfern unter teilweiser Verschmelzung den
versteiften Vorderrand des Flügels (vgl. auch Fig. 2). Im letzten Drittel des Flügels erst erweitern
sie sich bei den Cerambyciden zur Vorderrandzelle. Die stark distale Lage dieser Zelle und des anschließenden
Quergelenkes muß als primitives Merkmal angesehen werden. C -und Sc sind bei den
höheren Hymenopteren distal sehr stark verkürzt, so daß sie die Versteifung des Vorderrandes größtenteils
dem R überlassen. Dafür sind ihre proximalen Apophysen um so bedeutungsvoller. Bei den
Käfern trägt die obere Apophyse der Sc (Fig. 6 ob Se Apo) zwei Höcker und einen zwischen beiden,
aber tiefer stehenden großen Zahn. Sie bilden mit den zwei Höckern des Sigmoids (Ax 1, siehe Flügelgelenk
und Fig. 2) ein Schnappgelenk ( S t e l l w a a g ) , das durch Vermittlung zweier Flügelgelenkstücke
(Ax I u. 2) alle Bewegungen des motorischen Apparates auf den Flügel überträgt und deshalb
durch eine sehr starke elastische Membran mit dem Sigmoid (Ax 1) verbunden ist. Auf der Unterseite
trägt die Sc eine zweite untere Apophyse (Fig. 6) (u Sc Apo), die mit der der C eine Höhle büdet, in die
der episternale Sperrgelenkkopf (Fig. I u. 3, SpKo) genau hineinpaßt, der den ruhenden Flügel festlegt.
Wird durch Drehung des Sperrgelenkkopf es der Verschluß gelöst, die Sc nach außen oben gedreht!
bezw. durch die Membran des Schnappgelenlses in dieses gezogen, so muß die Sc diese Bewegungen auf
den Flügel selbst übertragen. Um das zu ermöglichen, sind die Adern des Costalfeldes an der Basis
einander stark genähert und miteinander derart verzahnt, daß sie in einen kurzen basalen und einen
langen distalen Hebelarm geteilt sind. Wird die Sc nach vorn gezogen oder nach hinten geschoben,
|Ö überträgt sie diese Bewegungen auf die mit ihr verbundenen Adern. Das gleiche ist beim Heben
und Senken der Flügel der Fall.
Die Costa (C, Fig. 2 u. 6) ist mit der Sc durch eine biegsame Chitinlämelle verbunden, gleichzeitig
um 90 Grad in sich gedreht, so daß ihr basales Ende der Sc die Breitseite zukehrt. Sie läuft basal in
eine Zange aus, die dazu bestimmt ist, beim ruhenden Flügel den Sperrgelenkkopf von unten zu umfassen.
Die biegsame Membran sowie die ligamentöse Verbindung der Zange mit der Sc lassen ihr beim
Offnen und Schließen des Sperrgelenkes die nötige Bewegungsfreiheit. Der längere distale Teil der C
verschmilzt, wie gesagt, bald mit der Sc und beide m it dem R.
Ähnlich ist der R mit der Sc verbunden (Fig. 2). Die Basis des R ist wellblechartig gestaucht,
also fest und doch elastisch. Ein wenig weiter distalwärts greift sie mit einem Zapfen in eine Tasche
der Sc und ist darin festgewachsen. Das ist infolge der dunklen Pigmentierung, der Undurchsichtigkeit
und der an und unter die Sc geschobenen Lage bei Lucanidenund Cerambyciden schlecht, bei Chryso-
meliden aber um so deutlicher zu sehen. Durch diese Verzahnung wird die Radialader ebenfalls in
einen langen und einen kurzen Arm zerlegt, da letzterer in der gestauchten Basis einen Drehpunkt
besitzt, folgt der lange Arm zwangsläufig jedem Zug und Druck der Sc, bezw. des motorischen Appa-
rates auf die Sc.
Genau nach, demselben Prinzip ist die für das Spannen und Falten des Costalfeldes so wichtige
M mit dem R verbunden, wie es Fig. 2 deutlich zeigt. Die Teilung in zwei Hebelarme geschieht durch
eine Chitinspange, die R und M fest verbindet und nicht, wie S t e l l w a a g (1914) es in seiner Textfig.
15 zeichnet, locker auf dem R hegt. Sie geht im Gegenteil deutlich vom R aus und ist mit der M
verwachsen. Die gestauchte Basis des kurzen Hebelarmes geht in eine dreieckige Platte über (MP1,