
Dagegen kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die Larve L o c h m a n n s von einer Galeo-
larie und zwar von G. truncata (Sars) abstammt. Daß weder er noch C h u n auf den Gedanken kam,
liegt wohl daran, daß damals unbekannt war, daß diese sog. nordische Galeolarie auch im Mittelmeer
heimisch und sogar gemein ist. Das habe ich erst in Villefranche und Neapel (1913—1914) festgestellt.
Hierzu kommt noch, daß G. truncata eine große Ähnlichkeit mit D. sieboldi hat, wobei der
Hauptunterschied gerade in dem verschiedenen Bau des Hydröciums besteht: bei D. sieboldi ist dieses
relativ tief und wohl ausgebildet, während es bei G. truncata, wie allen Galeolarien fehlt, so daß die
Stammwurzel fast ungeschützt und frei ist — wie bei L o c h m a n n s Larve. Und schließlich bringt
G. truncata wie D. sieboldi Eudoxien hervor, während nach C h u n der Mangel an Eudoxien einen charakteristischen
Unterschied zwischen Galeolarien und Diphyinen bildet. Auch das ist ein Irrtum, denn
nicht nur G. truncata, sondern z. B. auch G. quadrivalvis Lesueur produziert Eudoxien (s. Gauß) .
Der Mangel an Eudoxien als Charakteristikum der Galeolarien muß daher gestrichen werden.
Unter diesen Umständen ist es begreiflich, daß L o c h m a n n in Villefranche nur D. sieboldi,
nicht auch G. truncata beobachtete, resp. beide miteinander verwechselte. Ein Verdienst bleibt es
trotzdem, diese interessante Larve gefunden zu haben, wenn sie auch nicht das beweist, was L o c h m
a n n glaubt, sondern nur, daß einer zweiten Galeolarie ein larvaler Glockenwechsel wie G. quadrivalvis
Les. zukommt. Damit ist für die übrigen Diphyiden nichts ausgesagt.
Ferner hat L o c h m a n n aus befruchteten Eiern Larven von G. quadrivalvis (Epibulia
aurantiaca) erzielt, die älter waren als jene von M e t s c h n i k o f f gezüchteten. Durch sie wird
jeder Zweifel über das Schicksal der Primärglocke beseitigt; diese ist tatsächlich eine hinfällige
Larvenglocke, denn bei dem ältesten Stadium (Fig. 18, Taf. IV) ist außer ihr noch eine zweite und zwar
opponierte Glocke vorhanden, die wohlausgebildete, definitive Oberglocke. Der kleine Stamm weist
mehrere Cormidien auf, nebst der Mutterknospe für die Unterglocken. Die Lagebeziehungen der
beiden ersten Glocken sind dabei genau so, wie bei Muggiaea, und also gerade umgekehrt, wie z. B. bei
Hippopodius: die Primärglocke v e n t r a l , wie es L o c h m a n n ganz richtig darstellt, die zweite
Glocke d o r s a l . Diese letztere, die definitive Oberglocke, entspricht also in ihren Lagebeziehungen
der Primärglocke von Hippopodius und Praya, ebenso der einzigen Glocke von Monophyes und
Sphaeronectes und der Oberglocke aller von mir beobachteten definitiven Einglockenstadien.
Die Anlage der dritten Glocke, also der ersten Unterglocke, sitzt dagegen v e n t r a l , wi e d i e
L a r v e n g l o c k e , und somit der definitiven Oberglocke opponiert, wie die erste hufeisenförmige
Glocke bei Hippopodius und die Unterglocken aller jungen Diphyiden, z. B. von D.. sieboldi und
Ap. pentagona. Auch hiernach kann die Deutung der verschiedenen Glocken gar keine andere sein,
wie die von mir gegebene. Dagegen ist es falsch, wenn L o c h m a n n , wohl unter C h u n s Einfluß,
bei der Larve seiner „D. sieboldi“, also von G. truncata, die Unterglocke plötzlich auf die dorsale
Stammseite setzt und hierin einen wichtigen Unterschied der Diphyinen und Abylinen von den Galeolarien
erblickt (p. 269). Wie oben besprochen, ist ausnahmslos nicht nur bei Galeolarien, sondern
bei allen Calycophoren die Unterglocke eine v e n t r a l e Bildung.
Merkwürdigerweise konnte ich bisher von D. sieboldi und ihrem Formenkreis (D. contorta Lens
und V. R. und D. chamissonis Huxley) niemals Einglockenstadien finden, trotzdem ich von allen
dreien ein sehr umfangreiches Material, auch mit sehr kleiner Oberglocke zur Untersuchung hatte.
Selbst die jüngste Kolonie von D. sieboldi, deren Oberglocke nur eine Länge von 2 mm besaß,
war über das Einglockenstadium hinaus und wies bereits ein längeres Stämmchen mit mehreren
Cormidien auf und auf der Ventralseite eine größere Knospe für die erste Unterglocke (Fig. 19, Taf. V),
ähnlich wie es auch L o c h m a n n abbildet. Bedeutsam ist nun, daß gerade diese drei Arten
die primitivsten Diphyinen sind und den Galeolarien, speziell G. truncata am nächsten stehen, namentlich
durch die geringe Ausbildung und Größe des Hydröciums der Oberglocke. So erscheint es nicht
unmöglich, daß auch ihnen eine Larvenglocke zukommt, wie einem Teil, möglicherweise allen Galeolarien,
im Gegensatz zu den höheren Diphyiden, ferner zu den von ihnen abstammenden Dimophyiden,
den Polyphyiden und den meisten Monophyiden. Daß unter letzteren Monophyes und Sphaeronectes
anscheinend eine Larvenglocke nicht hervorbringen, wäre ein Beweis, daß sie nicht absolut, sondern
nur relativ primitiv sind, und als Monophyiden bereits eine recht hohe Entwicklungsstufe erreicht
haben, wie auch z. B. aus dem Bau ihrer Cormidien hervorgeht. Sie erscheinen auch durch die Ausbildung
ihres Hydröciums durchaus nicht als die direkten Vorfahren der Galeolarien, sondern als ein
selbständiger Seitenzweig der gemeinsamen Urform.
Hiernach fehlt jedenfalls der Mehrzahl der Calycophoren eine Larvenglocke, und kommt sie
offenbar nur den primitiveren Arten, und zwar einigen Monophyiden und einigen oder allen Galeolarien
zu, vielleicht auch den primitivsten Diphyinen. Bei den höheren Calycophoren wurde sie dagegen
unterdrückt. Zwei Faktoren haben dabei mitgewirkt: I. die Ausbildung eines tiefen und geschlossenen
Hydröciums in der Oberglocke, als Schutz für den Stamm mit den Cormidien und Unterglocken,
denn durch dieses wurde das Vorhandensein einer Larvenglocke unmöglich gemacht; 2. eine beschleunigte
Anlage und Entwicklung der Oberglocken, so daß sie sta tt nachträglich am Stamm,
viel früher bereits an der Planula angelegt und dann sehr rasch ausgebildet wurde, so daß eine Larvenglocke
ganz überflüssig war. So wird dann die Oberglocke selbst zur Primärglocke. Von der larvalen
Primärglocke unterscheidet sie sich dadurch in fundamentaler Weise, daß sie nicht ventral, an den
Tentakel direkt anschließend, sondern dorsal sitzt. Während also die Calycophorenlarve mit Larvenglocke
so aussieht, wie Fig. 20, Taf. V abgebildet, dürfte jene ohne Larvenglocke ähnlich sein, wie
Fig. 21, Taf. V von mir konstruiert. Es wird interessant sein, festzustellen, inwieweit ich mit dieser
Konstruktion das Richtige getroffen habe. Für das beschleunigte, relative Entwicklungstempo der
Oberglocke spricht jedenfalls die Larve M e t s c h n i k o f f s von Hippopodius, wenn wir sie mit
der Larve von Muggiaea vergleichen, deren Oberglocke bereits angelegt ist. Hier entsteht sie erst
sehr spät am Stamm, dort ganz früh am Ei selbst, noch vor Bildung des ersten Tentakel, wenn der
erste Saugmagen sich erst zu differenzieren beginnt.
Jedenfalls erhalten meine Ausführungen die beste Stütze durch eine ganze Anzahl Beobachtungen
bei Physöphoren, zu deren Besprechung wir nunmehr übergehen.
Die Larven der Physophoren.
Über diese sind wir viel besser orientiert wie über jene der Calycophoren. Trotzdem bestehen
hier noch mehr wie dort die abweichendsten Ansichten über Grundfragen. Das hat zwei Ursachen:
die eine ist, daß die betreffenden Verhältnisse weniger klar und eindeutig sind wie dort, so daß die
positiven Angaben sich oft diametral gegenüberstehen. So erklärt z. B. M e t s c h n i k o f f (1873,
p. 67) als allgemeine Regel „daß sich die junge wimpernde Larve von Anfang an wenigstens in zwei
Teile differenziert“ und zwar in einen Magen (oder in einen diesem homologen Dottersack) und in ein
denselben begleitendes, dem Medusenschirm homologes Organ (Luftapparat, Schwimmglocke oder
kappenförmiges Deckstück) (Fig. 22, Taf. V). Beide Teile, Magen und Schirm, sind nach ihm integrierende
Bestandteile der Larve, nicht das eine Produkt des ändern. Del age und He r o u a r d erklären