Pezomachus sericeus Forst. Um das Problem der zyklisch auftretenden Aphiden bemühen sich
C l a r k e 1901, N e h 1 i s 1912, L. H. G r e g o r y 1917, S c h i n j i 1918, nach denen die Nahrung
und chemisch-experimentelle Abänderung der Nahrung eine Rolle spielen sollen, die Wärme nach
G r e g o r y nur insofern, als sie eine reichlichere Ernährung erlaubt. M. H a v i l a n d 1921 meint,
alle diese Versuche hätten das Aphidenproblem noch nicht gelöst. Die Wärme soll nach mehreren
amerikanischen Forschern bei Drosophila, besonders im männlichen Geschlecht, eine Verlängerung
der Flügel bewirken, was mir unglaublich erscheint.
D ie E x p e r ime n t e von Dewi t z . In den Jahren 1902,1912,1920 hat er Stummelflügelig-
keit und Flügellosigkeit dadurch erreicht, daß er Larven von Dipteren, Hymenopteren und Lepi-
dopteren extremen Temperaturen aussetzte. D e w i t z erklärt die Atrophie der Alae als Folge der
künstlich herbeigeführten Hemmung oder Unterdrückung der inneren Oxydation (Tyrosinase) und
der so erzielten Intoxikation. Der Apterismus bei Weibchen erkläre sich demgemäß durch vorhandene
Reduktoren der Oxydation, während Männchen die Wirkung derselben paralysieren könnten.
Bei D e w i t z handelt es sich demnach nur um Hemmung oder Unterdrückung der Anlageentfalfcung
durch chemische Faktoren, wie ich dies ja auch postuliere. P o i s s o n wendet sich gegen diese und
die ähnlichen Experimente von S t a n d f u ß und K a t h a r i n e r (1921), weil die Untersuchung
der Flugmuskulatur fehle, die Erblichkeit und die Gleichheit der in freier Natur und im Experiment
erzielten Entflügelung nicht bewiesen sei. Jenes ist allerdings ein Mangel, dies kann uns aber nicht
hindern, die Experimente zu begrüßen, wenn sie uns nur mal einen Weg zeigen, gesetzmäßig
Flügellosigkeit zu erzielen. Vielleicht stellt sich dann heraus, daß es sich um denselben Weg
handelt, den auch die Natur geht.
N e o t e n i e . Nach T e y r o v s k y 1920 soll Apterismus und Brachypterismus eine Funktion
des Klimas sein, z. B. bei den Gerrididen, und der Einfluß der Kälte im Laufe der Entwicklung zur
Neotenie führen. Mit Recht wendet P o i s s o n ein, daß damit die apteren und brachypteren Gerrididen
warmer Gegenden nicht erklärt werden.
N i c h t g e b r a u c h . Diese beliebte Annahme zur Erklärung unseres Problems verwandte
E. d e B e r g e v i n 1909 bei der brachypteren Heteroptere Prionotylus brevicornis M. et R. Im gleichen
Jahre M a s s o n a t , der eine orthogenetische Reihe von Dipteren aufstellte, angefangen von flugfähigen
Formen, übergehend zu flugunfähigen und apteren, die an ihre Wirte gebunden sind. M a s s
o n a t nimmt, wie ich es bei den Käfern ta t, an, daß Flügel und Flugmuskeln parallel zueinander
rudimentieren; L. C u é n o t und L. M e r c i e r sollen aber gezeigt haben, daß dem nicht so sei,
sondern daß der Schwund der Muskeln zeitlich dem der Alae folge.
Offenbar als besonders durchschlagenden Beweis gegen die Hypothese vom Nichtgebrauch betrachtet
P o i s s o n die Tatsache, daß C u é n o t 1917 bei 200 Generationen von Drosophila, die nicht
flogen, keine Verkürzung der Alae feststellen konnte. Ich erinnere daran, daß bei den seit 2000 Jahren
in den Maastrichter Tuffhöhlen lebenden Insekten, die durchschnittlich also 2000 Generationen dort
hervorgebracht haben dürften, sich ebenfalls noch keine wahrnehmbaren AnpassuDgsmerkmale
herausgebildet haben, weil derartige Prozesse wohl noch etwas langsamer verlaufen, als daß sie so
rasch in die Erscheinung treten müßten.
Mu t a t i o n s g e rmi n a l e s . Po i s s o n verweist hier zunächst auf die Untersuchungen von
Ch. Brues 1908 (Journ.N. Y. Ent. Soc.); außer Hymenopteren hat er dies bei Carabiden (Pasimachus
und Calosoma) und Tenebrioniden untersucht. Obwohl seine Befunde, auf die ich später eingehe,
durchaus für progressiven Schwund sprechen, neigt B r u e s zur Annahme von Mutation. Besonders
verweist P o i s s o n auf Th. Mo r g a n u n d seine Mitarbeiter, d e M e t z (1914), E. R o b e r t s
(1918) ir. a„ die bei Drosophila, sprunghaft auftretende Variationen bezw. verschiedene Organe fanden
und diese Variationen, weil erblich, als Mutationen ansehen. Ich meine, auch bei progressiv gehemmter
Entfaltung der Elügelanlage kann die Erblichkeit der Hemmung nicht fehlen, braucht aber deshalb
noch keine Mutation zu sein, d. h. sie braucht nicht auf Abänderung der keimplasmatischen Anlage
zu beruhen, wie die Amerikaner. annehmen.
Während ich die Ansicht vertrete, daß wir für die Entflügelung der Insekten aller Ordnungen
ein einheitliches Erklärungsprinzip finden müssen, meint P o i s s o n , man könne keine einzige der
vorstehend genannten Hypothesen verallgemeinern. Außer dem Prinzip des Nichtgebrauchs lehnt er
(p. 297) den Einfluß der Nahrung und Temperatur ab : „L’action directe des facteurs nourriture et
température ne paraît pas entrer en jeu comme „déterminants“ du polymorphisme alaire chez ces
insectes.“
Für die von ihm untersuchten Wasserwanzen nimmt er an, daß es sich bei den Makropteren,
Brachypteren, Mikropteren und Apteren einer oder verschiedener Arten um erbliche und mendelnde
Eigenschaften, also um Mutanten handele; von einer progressiven Entflügelung will er nichts
wissen.E
r muß allerdings zugeben, daß man z. B. bei Di/mtwtrechus hicustris eine vollständige Reihe
von makropteren bis apteren Individuen büden könne, aber in der freien Natur finde man die einzelnen
Formen nur an verschiedenen Lokalitäten. Zum Beweise vergleicht er 36 Individuen dieser Art von
Caen mit 41 von ßalvados. Mit so geringen Zahlen läßt sich doch wohl wenig beweisen. Die Vergleichstabellen
überzeugen mich nicht von seiner Behauptung; die graphischen Tabellen zeigen fast
dieselben Gipfel; daß sie sich genau decken, kann man natürlich auch nicht verlangen, um so mehr,
als wir wissen, daß der Entflügelungsprozeß nicht bei allen Individuen einer Art gleichzeitig beginnt;
es muß deshalb. -#5selbst gleiches Entflügelungstempo- vorausgesetzt tfe naturnotwendig an verschiedenen
Orten zu verschiedenen Durchschnittsbildern kommen.
Die Versuche P o i s l o n s über die Erblichkeit der verschiedenen Formen hatte folgendes
Hauptergebnis :
1. L’état de développement des ailes constituant le polymorphisme alaire, est un caractère
héréditaire chez les Hémiptères aquatiques, mais à des degrés divers. Le type aptère parait „pur“
chez H. najas, V. cmrens, M. fureata et M. pygmaea. Le type microptère parait „pur“ chez Eydro-
Br.
metra stagnorum. Enfin, chez L. lacustris, il existe des formes brachyptères hétérozygotes mais,
il existe aussi de „faux brachyptères“ 1) se comportant, en élevage génétiquement comme des Ma(cro-
ptères) (p. 297).
2. Chez les espèces polymorphes, les formes à ailes réduites ou nulles sont fréquemment en état
d’amixie partielle et parfois totale (H. stagnorum), avec le type macroptère. Ces formes peuvent donc
être considérées, jusqu'il un certain point, comme des espèces naissantes (p. 298).
3. L’atrophie des muscles du vol relève vraisemblablement les mêmes causes déterminantes que
celles du polymorphisme alaire (p. 297).
i) Wohin soll das führen, wenn wir der Einheitlichkeit der Natur eo wenig mehr trauen, daß wir bei ein und derselben
Gruppe wahren und falsohen Mutations-Braohypteriemus vermuten und hierfür verschiedene Erklärungen suohen! Wenn sich
nur einige Fälle duroh Annahme von Mutation erklären lassen, andere nioht,- dann ist es methodologisch richtiger, diese unzu-
reichende Erklärung aufzugeben.