kennen zwar langlebige Imagines, wie Carabiden (N i c k e r 1 hielt einen Carabus 7 Jahre), exotische
Cerambyciden, Curculioniden (noch soeben wurde an d. Biol. Beichsanstalt zu Naumburg a. S. festgestellt,
daß Anihonomus pomorum L. 4 Jahre leben kann); aber das sind Ausnahmen. Meist leben die
Jungkäfer nur kurze Zeit, wie das vom Maikäfer und seinen Verwandten jedes Kind weiß, und daher
ist für gewöhnlich ihr Flug gleichbedeutend mit Hochzeitsflug. C a l w e r - S c h a u f u ß sagt daher
(1916, S. 18): „ U n t e r F l u g z e i t v e r s t e h t m a n d i e Z e i t d e r F o r t p f l a n z u n g
e i n e r A r t . “
Am auffälligsten ist das natürlich bei den Mai- und Junikäfern, die in Schwärmen auftreten,
ferner bei Käfern mit Leuchtorganen, bei den blütenbesuchenden Nitiduliden, Cryptophagiden,
Dermestiden, Buprestiden, Malacodermen, Cerambyciden. Den Schwarmflug der Staphyliniden,
Hydropliiliden, Parniden, Scolytiden u. a. zu beobachten, erfordert schon sachliches Interesse. Diese
mehr-weniger auffälligen Erscheinungen geben leicht Veranlassung zu Verallgemeinerungen und täuschen
über die Tatsache hinweg, daß ein bedeutender Teil unserer Käfer, den genau anzugeben einstweilen
nicht möglich ist, nicht mehr fliegt.
Bei individuenreichen, gesellig lebenden Arten, wie bei der zu den Parniden gehörenden Gattung
Helmis, überrascht uns eigentlich die Tatsache eines Hochzeitsfluges, da doch die Geschlechter Z u sammenleben.
Ich kann mir dieses nur so erklären, daß Individuumreichtum und Geselligkeit erst
jüngeren Datums sind und die Macht des altüberkommenen Fluginstinktes noch mächtig ist. In der
Chrysomelidengattung Crepidodera, die von H o l d h a u s auf die Flügellänge untersucht worden ist,
ergab sich Rudimentation in beiden Geschlechtern, aber im männlichen setzt sie bei manchen Arten
eben erst ein. Heute leben diese Arten ebenfalls gesellig und somit ist ein Aufsuchen des anderen
Geschlechtes überflüssig. Bei Chrysomela und Orina scheint die Rückbildung in beiden Geschlechtern
gleich früh begonnen zu haben. Bei einer größeren Zahl daraufhin untersuchter Orina cacaliae Schrnk.,
Chrysomela jastuosa Scop. und menthastri Suffr. konnte ich keine Praecedenz der Weibchen in der Rückbildung
des Flugapparates feststellen. Bei den Carabiden, soweit sie nachts am Boden jagen, ist das
Treffen der Geschlechter auch ohne Flug sichergestellt. Das gleiche gilt für zahlreiche träge Pflanzenfresser,
wie Byrrhiden, Tenebrioniden, Chrysomeliden, Curculioniden, fernerhin für muscicole, aquicole,
humicole, lapidicole und subterrane Arten. Gerade unter den letzteren besteht bei den Männchen ein
Hochzeitsflug, was vielleicht mit der relativen Seltenheit, also der Individuenarmut zusammenhäng b.
Die Bewohner von Dauernestern haben im Gegensatz zu den in Nichtdauernestern lebenden im allgemeinen
keinen Hochzeitsflug.
D i e a l l g e m e i n e P a s s i v i t ä t d e r W e i b c h e n steht zweifelsohne in einem ursächlichen
Zusammenhang mit jener Erscheinung, daß Flugfähigkeit bei den aktiveren Männchen weiter
verbreitet ist als bei den Weibchen, die meist am Ort der Begattung auch zur Eiablage schreiten. Wir
werden im folgenden Beispiele kennen lernen, wo die Flugunfähigkeit bei einer Art eben erst eintritt,
aber nicht bei allen Weibchen gleichzeitig, und wie die Selektion zur Ausrottung der noch fliegenden
Weibchen beiträgt. Ferner lernen wir alle weiteren Stufen dieser Entwicklung kennen, die über alle
Grade der Entflügelung hinweg schließlich zum vollendeten weiblichen Apterismus führt. Duft-,
Laut- und Leuchtorgane stellen in diesen Fällen das Finden der Geschlechter sicher. Abgesehen von
der Schulterbeule der Cychrus-Arten, die trotz des wohl restlosen Verschwindens der Alae stehen
geblieben ist und als Resonanzboden für Lautäußerung dienen soll (0 e r t e 1 1924, S. 96, gibt keine
Quelle für diese Mitteilung an), ist mir kein Fall bekannt, wo die genannten, das Auffinden der Weibchen
erleichternden Organe nicht schon vor dem Entflügelungsprozeß vorhanden gewesen wären.
E in Be i s p i e l eben e r s t b e g i n n e n d e r u n d we i t e r f o r t g e s c h r i t t e n e r
F l u g u n f ä h i g k e i t d e s we i b l i c h e n Ge s c h l e c h t e s , das ein klassisches Schulbeispiel
zu werden verdient, b i e t e t Rhizotrogus.
Rh. solstitialis L., der gemeine Brach- oder Junikäfer, schwärmt in beiden Geschlechtern, sucht
Sträucher und Bäume auf, wo er vermutlich die Begattung vollzieht und auch über Tag schlafend zu
finden ist. Er unterscheidet sich hierin wohl nicht von Melolontha.
Rh. aestivus 01. schwärmt anfangs Mai bei Einbruch der Dunkelheit. Er steigt um diese Zeit aus
den Wiesen auf und umschwärmt die Kronen der Laubbäume. 1921 erlebte ich ein Flugjahr. Fraßschaden
konnte ich an den Bäumen nicht wahrnehmen. Nach mehrstündigem Flug kehren sie wieder
zu den Wiesen zurück, und nicht ein einziges Stück konnte trotz lebhafter Bemühungen tagsüber von
den Bäumen geschüttelt werden. Unter rund 120 schwärmenden Exemplaren fanden sich nur
6 Weibchen. Ob diese auf den Bäumen befruchtet werden, wie dies früher bei dieser Art sicher allgemein
der Fall war, komite ich nicht feststellen; die große Masse der Weibchen wartet im Gras auf
die heimkehrenden Männchen.
Eine Woche lang habe ich mich Abend für Abend an den lokal beschränkten Schwarmort begeben.
In den Sträuchern ringsum wimmelte es förmlich von Vögeln. Das laute Zanken und Streiten
der Sperlinge, das trotz einsetzender Dämmerung nicht verstummen wollte, machte mich darauf aufmerksam.
Offenbar warteten sie auf die Käfer. Ähnlich erschienen die Fledermäuse früher und zahlreicher,
als dies sonst auf so engem Raum der Fall ist. In der Tat machten sie alle auf die schwärmenden
Tiere Jagd. Das oben angegebene Zahlenverhältnis zeigt, daß unter den von diesen Feinden vernichteten
Individuen sich 5% Weibchen befinden, ein Prozentsatz, der zweifelsohne früher größer war und
mit der Zeit weiter sinken wird. H i e r s e h e n w i r d i e S e l e k t i o n a m W e r k e , d i e n i c h t
e h e r r u h e n w i r d , b i s a l l e n o c h s c h w ä r m e n d e n W e i b c h e n v o n Rh. aestivus
a u s g e r o t t e t s i n d . Dies Ziel ist bei Rh. ater Herbst und anderen mehr südlichen Arten bereits
erreicht. Bei ihnen halten sich die Weibchen, wenigstens tagsüber, im Boden versteckt. Sie
zeichnen sich — nach C a l w e r - S c h a u f u ß — durch bauchigen Hinterleib aus. Bei der im
Mittelmeergebiet lebenden U.-Gattung Apterogyne Reiche ist der geschlechtliche Apterismus vollendet.
Hier halten sich die Weibchen sehr verborgen. Die apteren Oe&no-Weibchen endlich strecken nur
noch die Geschlechtsorgane aus ihrer Erdhöhle heraus. Die Drilidenweibchen, wenigstens die von
Drilus flavescens Foucr., verbreiten in exponierter Stellung penetranten Geruch.
Die gleiche Erscheinung, daß nicht alle Weibchen einer Art gleichzeitig das Fliegen aufgeben,
macht es uns verständlich, warum von Polyphylla fullo F., Anoxia pilosa F., manchen Lucaniden,
Dystiden und Cerambyciden Weibchen z. T. selten in den Handel kommen. Die Tiere werden fast ausschließlich
am Licht gefangen. Weibchen fliegen nur spärlich, von manchen Arten überhaupt nicht an und
sind deshalb in privaten und öffentlichen Sammlungen so schlecht vertreten. Wir haben es hier mit
der Erscheinung des „Anfluges“ der Männchen zu den Weibchen zu tun, und daß diese letzteren
schließlich zu vollendetem Apterismus gelangen, wenigstens bezüglich der Alae, wie wir ihn von den
Weibchen von Pachypus, Cebrio, Lampyriden und Driliden kennen, kann wohl keinem Zweifel unterliegen.
Als f l u g u n f ä h i g i m m ä n n l i c h e n G e s c h l e c h t sind einige Arten der Xyleborini
bekannt. Den Werdegang dieser Erscheinung können wir aus den Gewohnheiten der Borkenkäfer
meiner Meinung nach so ableiten: primär schwärmen beide Geschlechter, suchen den neuen Brutplatz
auf und legen gemeinsam den Brutgang und die Rammelkammer an. Diese Methode herrscht noch