D. Allgemeines zur Morphologie des Thorax.
Es sollen im folgenden anstatt der gesonderten Untersuchung der einzelnen Segmente' vergleichende
Betrachtungen der Regionen der verschiedenen Segmente gebracht werden. Dadurch
werden die vorhergehenden Ausführungen ergänzt und ihre Ergebnisse unter anderem Gesichtswinkel
geordnet.
Zunächst muß aber noch eine kurze Diskussion der Halsregion Platz finden.
D i e H a l s r e g i o n .
In dem Bezirk zwischen Kopf und Prothorax fehlen bei Aphis außer dem kleinen Kehlstnek
KSt Sklerite völlig, fast unmittelbar grenzt die Seitenwand des Yorderkopfs an die Propleura, der
Hinterrand des Labiums an das Prosternum und es scheint fraglich, wo man die bei anderen Insekten,
besonders, bei den Orthopteren so großen und reich gegliederten Kehlplatten hier zu suchen
habe. Möglicherweise könnte man in dem Kehlstück den Rest einer solchen erblicken, ich, glaube
aber eher, daß dies Sklerit als Rudiment des bei Aphis ja nicht vorhandenen lateral-ventralen Teils
des Hinterhauptrings zu deuten ist. Der Hinterhauptsring ist ja ursprünglich (s. Gryttus; V o ß)
Ansatzstelle für die Intersegmentalmuskeln und es würde damit übereinstimmen, daß ein sternaler
Längsmuskel von der Profurea zum Kehlstück geht, der 0 vlm4, der den von der Profurca nach dem
Hinterhauptsring laufenden 0 vlm4|p I von GryUus wohl entsprechen könnte. Auch die Tatsache,
daß ein Abduktor des Labiums vom Kehlstück ausgeht, spricht gegen seine Deutung als Kehlplatte
und für seine Deutung als Teil des Hinterhauptsrings; denn auch bei Gryttus gehen vom Hinterhauptsring
aus Muskeln ans Labiüm (0 bm4> bi „), während den Kehlplatten solche Muskeln fehlen.
Hat sich bei der Kopfbildung schon gezeigt, daß die Psociden vielfach imstande sind, den Schlüssel
zur Deutung der bei Aphis öfters unklaren morphologischen Verhältnisse zu liefern, so zeigt sich dasselbe
wieder beim Prothorax. Vergleicht man nämlich an Hand der Abbildungen, die C r a m p t o n
(1926) gegeben hat) den Prothorax von Embidopsoaus (Eig. 70, C r a m p t o n ) mit dem von Aphis
einerseits und von Gicada andererseits (Fig. 69, C r a m p t o n), so sieht man nur bei letzterer eine
voll ausgeprägte Kehlplatte vor dem Vorderrand der von der Pleura nach dem Sternum führenden
präcoxalen Brücke. Bei den Psociden liegt diese Kehlplatte an derselben Stelle und ist auch noch
deutlich als solche zu erkennen, aber ihr Hinterrand ist mit dem Vorderrand der Brücke verschmolzen.
Bei Aphis glaube ich diese Verschmelzung noch weiter, bis zum völligen Aufgehen der
Kehlplatte in der Pleura gediehen und begründe diese Annahme mit dem Verhalten der sternalen
Intersegmentalmuskulatur. Eine Anzahl von Längsmuskeln (0 vlmj, 2, 3) gehen von dem scheinbaren
Proepisternum aus nach dem Kopf, ebenso ein dorsoventraler (0 dvm). Wenn auch das Verhalten
der Ovlmi u. 8 mit dem des Ovlim, von Gryttus erklärt werden könnte, der ebenfalls von der
Pleuralleiste nach dem Hinterhaupt geht, so blieben doch noch die beiden ändern Muskeln unverständlich,
es sei denn, daß man die Ausbildung der spezifischen Form der Mundwerkzeuge als einen
umgestaltenden Faktor von so großer Wirkung anerkennen würde, daß er eine Ausbildung ungewöhnlicher
Muskelzüge erklärte.
Ich glaube jedoch eher der ändern Möglichkeit Raum geben zu müssen und halte dafür, daß
im v o r d e r e n T e i l d e s s c h e i n b a r e n P r o e p i s t e r n u m s e i n e K e h l p l a t t e
m i t i h r e n M u s k e l a n s ä t z e n a u f g e g a n g e n i s t . Wahrscheinlich handelt es sich nur
um die beiden Muskeln 0 dvm und 0 vlm1, also um einen verhältnismäßig kleinen vorderen Teil
des Episternums, der als Kehlplatte angesehen werden muß. Mechanisch erklärbar wäre dieser Anschluß
aus dem Bedürfnis, den im vorhergehenden Kapitel erläuterten engen Zusammenschluß
zwischen Kopf und Prothorax zu fördern.
I. D ie.T e r g a.
Die Terga sind, entsprechend der verschiedenen mechanischen Bedeutung der Segmente, sehr
verschieden gebaut und gegliedert. Die Betrachtung des ungeflügelten Weibchens lehrt aber, wie
die vergleichend morphologische Betrachtung ( W e b e r 1924), daß dieser Zustand dem ursprünglichen
durchaus nicht entspricht. Ursprünglich waren vielmehr alle drei Terga gleich groß und — vor
der Flügelbildung | i einfache Platten ohne Gliederung, wie die Terga der Abdominalsegmente. In
Abb. 6 sehen wir, daß dieser vermutlich primäre Zustand beim ungeflügelten Weibchen sich erhalten
hat, die Junglarve des geflügelten Weibchens verhält sich genau so, vom morphologischen
Standpunkt aus kann man das ungeflügelte Weibchen als geschlechtsreif gewordene Larve betrachten.
Als besondere Eigentümlichkeit sehen wir bei den ungeflügelten Weibchen die P o s t t e r g i t e ,
die in Gestalt von kleinen Chitinplättchen sich dem Hinterrand jeden Segments anschließen. Das
erste isj (Abb. 6) von dem davSr hegenden Tergum völlig getrennt, verhält sich also ganz wie das
Posttergit des Prothoiax des geflügelten Weibchens, die folgenden sind mit dem vorhergehenden
Tergum jeweils verwachsen, ragen aber über dessen Hinterrand deutlich heraus, in den membra-
nösen hinteren Teil des Tetgums hinein. In diesem Punkt ähneln sie, wie oben (p, 55) schon gesagt
wurde, den Postnota und Phragmen der geflügelten Segmente, die ja auch aus den Grenzbezirken
zwischen den einzelnen Terga hervorgehen (das Postnotum aus dem vorhergehenden, das Phragma
.¿hs*beiden aneinander grenzenden Terga, S n 0 d g r a s s 1927 b). Trotzdem sind aber die Posttergite
den Postnota nicht oder wenigstens nicht völlig homolog zu setzen; denn gerade die dorsalen Längs-
müskeln (dlmj), auf deren Wirkung die Entstehung der Postnota + Phragma zurückzuführen ist
und die stets an diesen ansetzen, benutzen die Posttergite nicht zum Ansatz.; Schon beim geflügelten
Weibchen sieht man, daß nur ein sehr kleiner nebensächlicher Längsmuskel (I dlm4) am Posttergit
des Prothorax ansetzt, außerdem allerdings ein Muskel (I dvm2), den man wahrscheinlich als Homologen
des am Postnotum angreifenden II ism ansehen kann, vielleicht auch außerdem als Homologen
der im Abdomen des geflügelten .Tiers an dem den Posttergiten entsprechenden Plättchen
ansetzenden dorsoventralen Muskeln. Jedenfalls bleiben aber die Posttergite von dorsalen Längsmuskeln
frei und ich glaube daher, daß die Posttergite genetisch mit dem Postnota nichts zu tun
haben, daß sie aber morphologisch einem Teil der Postnota entsprechen, dem Teil nämlich, an dem
der ism angreift. Mit anderen Worten, die Posttergite sind wohl aus denselben, auf der Segmentgrenze
gelegenen Teilen der Terga entstanden, wie die Postnota -4- Phragmen; beide Bildungen
sind aber verschieden, die Postnota - f Phragmen sind quer über den ganzen Rücken ausgedehnt,
die Posttergite umfassen nur einen sehr kleinen lateralen Teil, diese sind ausschließlich auf die Wirkung
von Dorsoventralmuskeln, die mit dem Flug nichts zu tun haben, zurückzuführen (s. W e b e r
1924, Muskelwirkungen), jene vor allem auf die Wirkung der dorsalen Flugmuskeln. Die Postnota
und die Phragmen kommen daher nur den flügeltragenden Segmenten zu, die Posttergite finden sich,
wahrscheinlich selbständig entstanden, auch im ungeflügelten Segment und gehen bei der Bildung
19 Zoologica. Heft 76. , . . .