Nach allem glaube ich, ohne hierüber Beobachtungen gemacht zu haben, daß, wenn W o 1-
t e r e c k s Deutung richtig ist, sie jedenfalls unvollständig ist, ebenso unvollständig wie z. B. die
Deutung der Pneumatophore als hydrostatischer Apparat. (Näh. Gauß.) In erster Linie ist das
Deckstück sicher ein Schutzapparat, und zwar für die, dicht bei seinem Ansatz sich entwickelnde,
anfangs zarte Pneumatophore und die übrigen, hier hervorsprossenden Teile, wie den Fangfaden und
die Unterglocken. Diese Annahme wird durch die Tatsache
bestätigt, daß das Deckstück die wichtigere Hälfte der Larve
(Textfig. 22 e) wie ein Schutzhelm überdeckt, ferner durch das
Vorhandensein der sekundären, heteromorph gestalteten Deckstücke,
die später, wenn die Pneumatophore schon groß ist und
funktionierende Uüterglocken vorhanden sind, die ganze Larve
vollständig umgeben (Fig. 28, Text). Die hohe Ausbildung gerade
dieser sekundären Deckstücke mit ihren gezähnten Rändern und
scharfen, gezähnten Gräten, ihren vielen Nesselkapseln und
anderen Strukturen spricht dafür, daß sie noch mehr, wie
das relativ einfache, primäre Deckstück dazu dienen, die junge
Kolonie zu schützen. Dieses Schutzbedürfnis hat jedenfalls das
Deckstück vor dem Untergang gerettet und zur Entwicklung
der weiteren, komplizierteren Deckstücke geführt. Bei den
höheren Physophoren dagegen war dieser Schutz überflüssig,
H H H I H erstens weil hier der Stamm mit den Cormidien und Unter- elegans(bars); das primäre larvaleDeckstück . . .
ist abgefallen und durch fünf sekundäre, gk>cken viel später entsteht und langsamer sich entwickelt,
larvale Deckstücke ersetzt (Metschnikoff). relativ zum Apikalorgan; zweitens, weil dieses selbst einen
weitgehenden Schutz gewährt; Daher fehlt das Deckstück den
höheren Physophoren vollständig. Warum fehlt es aber auch einem Teil der echten Physophoren,
wie z. B. Hai. pictum? Die genauere Untersuchung wird jedenfalls auch hierüber Aufschluß geben.
Der Grund dürfte vielleicht in der besonders raschen und mächtigen Entwicklung der Pneumato:
phore und in der sehr kräftigen und raschen Entfaltung des ersten Tentakelapparates zu suchen sein
(Fig. 29, Taf. V), wodurch der Larve ein anders gearteter Schutz gewährt wird, der den Deckblattschutz
überflüssig macht, und zugleich eine Materialersparnis bedeutet. Möglich, daß dabei auch der
Stamm und seine Anhänge eine entsprechende Verzögerung in der Entwicklung erleiden.
M e t s c h n i k o f f s Abbildungen scheinen in diesem Sinne zu sprechen.
So bieten uns die Siphonophoren ein selten vollständiges Bild der Wandlungen einer Ordnung
und ihrer verschiedenen Organe im Laufe der Zeiten, und zeigen in vielleicht vollkommenerer Weise
wie irgend eine andere Gruppe die einzelnen Stufen dieses ProzesseSj und das Ineinandergreifen der
verschiedenen, oft ganz entgegengesetzten Entwicklungstendenzen, wobei immer ein Maximum an
Arbeitsleistung, Lebens- und Fortpflanzungsfähigkeit mit einem Minimum an Material und Kraftentfaltung
erreicht wird.
Theoretische Erörterungen.
Zwei Fragen sollen hier besprochen werden, von denen die erste hauptsächlich praktische
Bedeutung hat, nämlich die Frage, was als Larve zu bezeichnen ist. Dabei stoßen wir gleich auf ein
kardinales Manko der ganzen Zoologie: den Mangel an klaren, unzweideutigen Definitionen. Wo wir
ansetzen, überall tr itt uns dieses Manko entgegen, so daß jeder nach Belieben mit den einzelnen
Begriffen verfährt und ihnen nach Gutdünken einen Sinn gibt. Eine entsprechende Durcharbeitung
der ganzen Zoologie sollte eine der nächsten Aufgaben sein, um dieser heillosen Willkür zu steuern,
die selbst in den Grundbegriffen herrscht.
Um bei der Frage: Was ist eine Larve? zu bleiben, so gibt es, m. W. keine einzige, unzweideutige
Definition, die'ohne weiteres und überall deren Bestimmung gestattet. Diese Definition zu
geben ist auch durchaus nicht leicht. Dafür sind die Siphonophoren ein schlagendes Beispiel. Soll
das Vorhandensein von Larvenorganen maßgebend sein, dann haben Hippopoüius und die höheren
Diphyiden überhaupt keine Larven, da sie, nach meinen Untersuchungen, weder eine Larvenglocke
noch andere Larvenorgane, wie larvale Tentakel, hervorbringen. Dagegen wäre Hai. pictum dauernd
als Larve zu bezeichnen, da der distale Teil, nämlich die fünf bis sechs ältesten Cormidien, obwohl
sie voll entwickelt sind, larvale Nesselknöpfe aufweisen. Beide Arten Nesselknöpfe, diese und jene
der übrigen Kolonie, sind offenbar vollwertig, und erhalten sich zeitlebens. Der Unterschied besteht
nur darin, daß die einen von der jungen, die anderen von der älteren Kolonie hervorgebracht werden.
Bezeichnet man hingegen als Larve die junge Siphonophore, solange sie noch Spuren des Eis
auf weist, dann wäre die junge Muggiaea mit der Larvenglocke und der definitiven Oberglöcke (Fig. 9,
Text) keine Larve mehr. Ebenso unhaltbar ist die Definition der Larve als eines Stadiums, das sich
wesentlich von der fertigen Kolonie unterscheidet, denn dann wären z. B. nicht nur die Jugendstadien
der Calycophoren mit der Larvenglocke, sondern auch alle definitiven Einglockenstadien
Larven, also die jungen Diphyiden vor Anlage der Unterglocke,, obwohl zwischen beiden ein fundamentaler
Unterschied ist. Hier eine befriedigende Lösung zu finden wird nicht so bald gelingen,
denn das Leben läßt sich nicht leicht in eine Formel hineinpressen. So werden wir vorläufig mehr
nur von praktischen Gesichtspunkten aus den Begriff „Larve“ verwenden.
Eine eminente, theoretische Bedeutung h a t die zweite Frage: „Was entsteht zuerst an der
Planula, der Saugmagen oder die Schwimmglocke resp. Pneumatophore, also der ernährende oder
der lokomotorische resp. hydrostatische Teil? Denn im ersten Fall ist die junge Siphonophorenlarve
einem Hydropolypen vergleichbar, der nachträglich am Stamm resp. dem Stolo prolifer die übrigen
Teile der Kolonie, Medusen und Polypen hervorbringt; im zweiten einer Meduse, die am Magenstiel
die anderen Organe in mehr oder weniger großer Vervielfältigung produziert, ähnlich einer Sarsia
prolifera. Diese Frage hängt aufs engste zusammen mit der Frage nach der phylogenetischen Abstammung
und der morphologischen-Bedeutung der Siphonophoren, ob sie als Kolonien oder als
Individuen aufzufassen sind — unter der einen Voraussetzung allerdings, daß überhaupt den Siphono-
phorenlarven palingenetische Bedeutung zukommt und sie also der Ursiphonophore nahestehen,
so daß die Larvenentwicklung die paläontologische Entwicklung rekapituliert. Von: vielen wird das
glatt bestritten.
Untersuchen wir erst, inwieweit die Vorgänge an der Planula eine der beiden Theorien, die
Polypen oder die Medusentheorie, stützen.
Bei Physophoren finden, anscheinend ausnahmslos, die . ersten embryonalen Veränderungen
am aboralen Pol statt. Entweder tr itt das Ectoderm hier zuerst auf, so z. B. bei Hai. rubrum,. um
von da aus nachträglich auch die orale Hälfte der Planula zu überkleiden, oder aber es umhüllt sie
von Anfang an-gleichmäßig, wie bei Agalma sarsi und Physophora; dann folgt hier als erstes eine
starke, ectodermale Verdickung. Das Entoderm dagegen legt-sich immer hier zuerst an. Zusammen
bilden beide Schichten am aborälen Pol eine kreisrunde, scheibenförmige, stark wimpernde Ver