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Noch weiter als Bailey gellt in seinen Angaben hinsichtlich bestellender Inzucht
II a r t s l i o r n e . welchem Autor zufolge die Ehe mit jeder Schwcster erlaubt ist, mit alleiniger
Ausnahme der ältesten, und auch mit den Töchtern. Ferner bestehe die Schwesterehe
auch noch im Bintennedistrict, wo üailey sie für erloschen hielt. Hartsliorne berichtet
einen ihm bekannten Fall, wo ein Wedcia (wohl unrichtig von ihm als Warniiya
bezeiclmet; doch werden allerdings auch ächte Naturweddas hie und da. so auch im Nilgaladistricte
Wanniyas genannt) mit seiner Schwestei' Latti ^erheirathet war und ein
Kind hatte.
\ ' i r c h ow sieht die Ursache des Bestehens der Inzucht im AVeibermangel, in der
geringen Dichtigkeit des Volkes und der Vereinsamung der Familien. An die von Hartshorne
gemeldete Ehe mit der Tochter kann er als Sitte niclit glauben; es handele sich
in diesem Fall wohl mehr mn ein thatsächliches, als um ein rechtliches Verhältniss.
. Jedes Bestehen von Inzucht weist nun aberNevill auf's entschiedenste zurLick; es
sei da allerlei Ünsinn behauptet worden von Leuten, die es hätten besser wissen sollen.
Der Irrthum in der Angalae, dass die jüngere Schwester geheirathet werde, erkläre sich
daraus, dass das singhalesische Wort naga oder nangi ebensowohl für die jüngere Base,
als auch für die jüngere Schwester gebraucht werde. Ein Mädchen aber solle in erster
Linie geheiratliet werden entweder von dem Sohn der Tante (Vaterschwester, dem gegenüber
sie also Mutterl)ruclertochtcr wäre), oder von dem des Oheims (Mutterbruder, welchem
gegenüber sie demnach Vaterschwestertochter wäre), also von einem Vetter. Frage man
imn einen Wedda: Heirathet ihr eure Schwestern? so übersetze der singhalesische Dolmetscher:
Heirathet ihr eure naga? Die Antwort laute: Ja, früher thaten wir es immer,
jetzt aber nicht immer. Sage man dann: Was, ihr heirathet eure eigene jüngere Schwester?
so sei die Antwort ein zorniges und verletztes Verneinen, indem die Frage au sich sclion
als grober Insult aufgefasst werde. Weiter hätten die Tamilen eine Legende, derzufolge
ein Wedda seine Schwester sofort erschlagen habe, als sie ihm unerlaubter Weise entgegengekonnnen
sei; Inzucht werde als Incest angesehen und sei mit Tod bestraft gewesen.
Soweit Nevill.
Was nun zunächst die Bedeutung des Wortes naga oder nangi angeht, so hat
Nevill vollkommen recht: naga lieisst in der Regel so viel als jüngere Schwester, ebenfalls
aber jüngere Base und zwar in diesem Falle nach Alwis (1, siehe pag. 103 unter:
cousin) im Gegensatz zu Nevill jüngere Mutterschwestertochter oder jüngere Vaterbrudertochter
(jüngere sahodari). Darnach würde sich also die Behauptung von Bailey, die
Weddas heiratheten ihre jüngere Schwester, als ein Missverständniss erklären lassen, und
man erhielte noch die weitere Einsicht, dass die Kandy'schc Sitte der jüngeren Basenheirath
zu den Naturweddas des Nilgaladistrictes hinabgesickort wäre. Wir glauben somit,
dass Nevill in diesem Funkte recht hat.
Die Frage aber, ob Inzucht bei den Naturweddas überhaupt vorkouune odei' nicht,
ist indessen damit noch nicht aus der Welt geschafft ; denn hier stossen wir in erstei- Linie
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auf Hartshorn e's Angabe, und alsdann dürfen wir selbst die uns diesbezüglich gemachten
Angaben niclit verschweigen. Wir geben dieselben zunächst so wiedei', wie sie uns von
unserem ersten Diener, einem jungen Singhalesen, welclier die englische Sclndi^ in Kandy
l)esucht hatte und das Englische gut sprach, gemacht worden sind. In Dewilane wui'den
wir dahin lierichtet, dass Schwester- und Tochterelie gegenwärtig nicht mein' existiere;
vor fünfzig Jahren aber hätten sie solche gehabt. In Kolonggala (Nilgaladistrict) sagten
ims die Weddas, sie heiratheten Schwestern und zwar sowohl die ältere, als die jüngere,
auch ferner die Tochtei-, nur die Mutter nicht. In Mahaoya bericlitete uns der alte singhalesische
E,atamahatmaya Nilgalabanda, früher hätteir die Weddas auch die Schwester geeiiclicht,
aber stets die jüngere, nie die ältere; die Sitte sei ausgestorben. Unser Gewährsmann
von der Küste, der Wedda Pereman wusste dagegen nichts von Schwester- oder
Tocliterehe. Soweit imsere Erfahrungen.
Wenn wir nun die Angabe des Nilgalabanda als einen Irrthum im Sinne Nevill s
aufi'assen, so ist doch liervorzulieben, dass die von den Weddas in Kolonggala und Dewilane
gemachten AngaVjen mit denen llartshorne' s sich decken; nur dass der letztere Autor
von den Schwestern noch die älteste ausschliesst, während nach den uns gemachten Angaben
allein die Mutter nicht geehelicht werden kann. Die Frage ist also noch nicht abgeschlossen,
imd die Inzucht der Naturweddas des Inneren ist zunächst als eine Wahrscheinlichkeit
aufrccht zu erhalten. Hier zu entscheiden, wird es sehr sorgfältiger Nachforschungen
bedürfen; auch muss in diesen Materien zärter verfahren werden, als Nevill
dies zu thnn scheint. Mit den Worten: „Was, ihr heirathet eure eigene Schwester?"
muss man die schon durch die ungewöhnliche Situation, in der sie sich Ijefinden, ängstlichen
Menschen nicht anfahren, wenn man hier klar sehen will. Die beiden Erzählungen
von Bailey und Nevill, denenzufolge in gewissen oder in allen Fällen von Inzucht ein
Bewusstsein von Schuld, von Sünde, vorhanden wäre, vermehren nur das Bäthselhafte der
Sachlage und lassen Weiterarbeit hier nur als um so dringender nothwendig erscheinen.
Wir vermuthen, dass diese Gebräuche eben in verschiedenen Districten verschieden sind.
Wie mit manchen anderen, so steht der Tamil (109) auch mit folgender Angabe
allein da. dass ein Vater seine Tochter nicht mehr sehe, nachdem sie reif geworden, und
die Mutter ihren Sohn nicht mehr, nachdem er einen Bart bekommen habe. Lamprey's
Wedda sagte indessen, eine von ihrem Mann entlassene Frau werde wieder von ihren
Eltern aufgenommen; ferner muss in vielen Fällen (siehe oben Seite 460) der freiende
Wedda den Eltern des Mädchens ein Geschenk überbringen, um es aus ihrer Hand zu erhalten;
das Mädchen wohnt also jedenfalls bei ihren Eltern.
Die Behandlung, welche das Weib durch ihren Gatten erfährt, ist eine
fi'cundliche. .Der Anonymus 1828 berichtet, wie oben schon erwähnt: Man spricht allgemein
mit hohem Lob von der freundlichen Behandlung der Weiber durch ihre Männer.
Dagegen geht Nevill doch wohl zu weit, wenn er sagt, es gelte unter den Weddas für
eine unerträgliche Beleidigung, in der Gegenwart von Frauen unanständige Worte zu