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Schon Broca (nach Topinard, 45, p. 818) glaubte, einen Winkoluntcrsclned in
der Neigung des llinterhauptsloches zu Gunsten des europäischen Menschen gegenüber den
scliwarzen Yarietilten anneJnnen zu können, und neuerdings sagt lianke (42, p. 125), or
habe nach Messung an 100 „liassenschädehi" gefunden, dass im allgemeinen die Pars
basilaris ossis occipitis bei den Schädeln von Naturvölkern (Nigritier, Australier, Papuas
u. A.) flacher, das heisst weniger gegen die Horizontale geneigt liege, als bei den Bayern.
Auch die typisch mouschlichc (negative, d. h. nach vorne gerichtete) Neigung der Ebene
dos Foramen magnum sei, damit correspondierend, vielfach verringert: im einzelnen Falle
könne sie sogar zur Horizontalen parallel werden oder selbst positiv, wie bei unseren Neugeborenen,
so dass dann der Hinterrand hoher stehe als der Vorderrand. Damit verliinde
sich häufig eine gesteigerte Prognathie, was für die Weddas, wie wir sehen werden,
nicht zutrifft.
Vielleicht sollte noch untersucht werden, ob auch, ganz abgesehen von der aiiatoinischeu
Höhe eines Schädels, seine Form als solche (Dolicho-und Brachycephalie) einen
mechanischen Einfluss auf die Neigung der Ebene des Hinterhauptsloches ausübt, indem
uns schien — mehr könnerr wir nicht sagen — dass, wenn sich bei Europäern die Liingsaxe
des Schädels verkürzt und die Entwicklung der Hinterhauptspartie sich verringert,
die Neigung des Hintorhauptsloches der des AVedda ähnlicher wird.
Sehr lehrreich zeigt sich ferner' auf unserem Bilde der Mediansagittalcurvcn
(Fig. 144) die Erhebung des Nasenrückens. Von dem mit einem Kreuzchen versehenen
Mittelpunkt der Stirn-Nasenbeinsntur (Nasion) wenden sich beim Schimpanse die Nasenbeine
fast direct nach abwärts, eine nach vorne leicht concave Curve bildend; stärker
nach vorne und oben erheben sie sich beim Wedda und endlich am allermeisten beim
Europäer. (Man vergleiche auch das oben bei Gelegenheit der Beschreibung der Horizoirtalcurverr
gesagte.)
Die rothen Sagittalcurven (Fig. 145. Taf. LXXIV) verhalten sich ähnlich wie die
medianen. AVähj'end aber die letzteren bei Wedda und Europäer in der Gegend des
Stirnbeins und des vorderen Theils der Scheitelbeine rrur wenig vorr eirrander abweichen,
fällt die rothe Curve des Wedda in denselben Regionen schon viel beträchtlicher von der
europäischen ab. Es rührt dies von der früher schon erwähnten Eigenthümlichkeit des
Wedda-Schädels lier. kein so wolil gewölbtes Schädeldach wie der Europäer zu besitzen.
Auf die starke Einsattlung der rothen Stirnbeincurve des Wedda nach rückwärts von den
Brauenbogen sei ebenfalls aufmerksam gemacht; sie ist indessen nicht constant.
Noch stärker zeigt sicli der rasche seitliche Abfall der Wedda-Schädelcapsel von
der Medianebene, wenn die blauen Augenrandsagittalen ineinander gelegt werden (Fig. 14(),
Taf. LXXV). Hier ist im ganzen Umkreis der Curve der Abstand vom Europäer zum
AVedda sehr bedeutend.
Eine Vergleichung der Frontalcurven der drei in Picde stehenden Schädel erscheint
nicht mehr nöthig, weil keine Jieuen Tliatsachen daraus abzulesen wären.
Aus ilen eben besprochenen Curvenbildern folgt, dass ein (lolichoce])haler Europäer-
Sfliädol mittlerer europäischer Capacität von eureui Wedda-Schädel, der den gleichen
Läiigf'ubreiten-lndex besitzt, sich in folgenden Punkten unterscheidet: Einmal durch einen
etwas weniger steilen Aufimu der Seitonwände, dann dru'ch eine stärkere Wölbung des
Schädeldaches und durch bedeuteird mächtigere Entwicklung der hinter der Ohrebene gelegeiKiii
Schädelpartie, so zwar, dass die durch die Mitte zwischen den in der Längsric
htiiiig am weitesten vorr einander entfernten Punkten der Schädelcapsel gelegte Ebene
(l_d, welche beim Wedda ungefähr mit der Ohrebone zusamiuenfällt, beim Europäer eine
beträchtliche Strecke hinter dieselbe gerückt ist. Ferner ist die Schläfenpartio beim Europäer
merklich voller, die Interorbitalbreite beträchtlicher, die Ebene des llinterhauptsloches
mehr nach vorne, die untere l-däche der Pars basilaris ossis occipitis mehr nach
oben gerichtet imd endlich iler Nasenrücken weit mehr ei'hoben als beim Wedda. In allen
diesen Punkten vermittelt der Wedda die europäischerr Verhältnisse einigermaassen mit
denen des zum Vergleich gewählten Schimpanse.
Wenn man die Curvenbilder der Tafeln LXXll—LXXV betrachtet, so erkennt man,
dass es wesentlich die Masse des Gehirns ist, welche den Schimpanse so weit vom Menschen
trennt, urrd dass, wenn man sich diese vermehrt denkt, auch die ganze Form der Schädelcapsel
nothwendigerweise eine viel menschlichere werden müsste. üelier den Einfluss der
fTi-össe des Gehirns auf den Bau des Schädels vergleiche die neue x\rbeit von Ranke (42).
In aller Kürze wollen wir nun noch zum Vergleich mit dem Wedda statt eines
dolicho-, einen brachycephalen Europäer-Schädel heranziehen. Auf Figur 139, Taf. LXXL
sind die Horizoirtalcurven eines solchen abgelnldet. Es ist der Schädel eines russischen
Kosaken, den uns Herr Geheimrath Waldeyer freundlichst aus der Berliner anatomischen
Sammlung zur Verfügung stellte. Sein kängenbreiten-Index beträgt 80.8, seine Capacität
1510: es ist also ein Schädel von etwas nrehr als mittlerer Grösse.
Bei diesem brachycephalen Europäer ist der Raum für das vergrösserte Gehirn
durch WatJisthurn in die Breite geschaffen worden, im Gegensatz zu dem früher geschilderten
Dolichocephalus, bei welchem dies namentlich durch Längenwachsthum der
hinter der Ohrebene gelegenen Schädelpartie erreicht worden war, und zwar ist es weniger
die Schädelbasis, insofern dieselbe durch die braune Basalcurve (Frankfurter Ebene) ausgediirckt
ist, welclre an Breite zunimmt, als die über derselben aufgebaute Plirncapsel.
Man sieht auf Figur 139, wie sich die rothe und die blano Horizontalcurve über die
braune Ilasale erlu-blich mehr vordrängen als bei dem darüber stehenden (Fig. 138) dolichorepbalen
Eiu'opäer, inid wie namentlich die grüne Scheitelcurve ganz ausserordentlich anscliwillt,
so dass sie in dei' ganzen hinter der Ohrebene gelegenen Schädelpartie überall
entweder an die Basalcurve sich anlegt oder dieselbe sogar überschreitet. Man beachte
auch, wie sie vorne weit mehr der blauen Glabellarcurve sich nähert als beim Dolichocephalen,
was ein bedeutend steileres Ansteigen der Stirne bedeutet, als es dem Langkopfe
eigen ist.
SAUASIN.CojJonin. ,,