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Das untere oder distale Ende des Oberarmknochens zeigt beim Gori l l a und beim
Orang sehr liiiutig eine Durchbohrung der dünuen Knochenlamelle, welche oberhalb der
Trochlea die Fossa Olecrani von der Fossa cubitalis trennt. Beim Europäer ist dieses
Olecranon-Locli eine seltene Erscheinung. Nach den Tabellen, welche Topinard (-15^
p. 101(5), namentlich auf die Arbeiten von B roca und Hamy et Sauvages gegründet, giebt,
scheinen von den heutigen Franzosen nur 4—5 Procento diese Perforation zu besitzen.
Hei den We (Idas ist diese Erscheinung eine ungemein häufige. Von den 24 uns
zur Verfügung stehenden Oberarmen ist bei 14. also bei 58 Procenten, eine Perforation
vorhanden, und bei fast allen anderen ist die Lamelle, welche die beiden Gruben trennt,
dünn und durchscheinend.
In der Regel ist die Oeffnung gross und oval, seltener nur klein und unbedeutend.
Der Unterschied gegenüber den europäisclien Verhältnissen ist also selu' in die
Augen springend. Nach den Geschlechtern getrerlnt, zeigen von 16 männlichen Oberarmen
9, also 56 Procente, von 8 weiblichen 5, also 62 Procente, das Olecranon-Locli.
Es scheint dasselbe also beim weiblichen Geschlechte in etwas grosserer Häufigkeit voizukommen,
gehört ihm aber keineswegs ausschliesslich an, wie es gelegenthch schon vcrmathet
worden ist.
Auch Thomson (44, p. 135) erwähnt bei einem männlichen Wedda-Skelette Durchbohrung
beider Humeri.
In ähnlicher Häufigkeit wie bei den Weddas kommt die Perforation der Olecranoiigrubc
bei den Andamanesen vor. Flower (17, p. 125) fand sie dort in 16 von 33
Fällen, also bei 48.5 Procenten, Turner (46, II, p. 89) ebenda in grosser Häufigkeit. Bei
den Andamanesen scheint nach Flower das weibliche Geschlecht noch mehr, als es beiden
Weddas der Fall war, durch häufigere Perforation der Olecranongrube vor dem männlichen
sich auszuzeichnen; doch darf man dies wohl kaum, wie es etwa geschielit, einfach auf (he
stärkere Knochenentwicklung beim Manne zurückführen, da sonst schwerlich der so knochenmächtige
Gorilla so häufig diese Perforation zeigen würde.
Von den ISI e g r i t o s der Philippinen wird das Vorkommen der Perforation von
Virchow (50, p. 207) erwähnt, doch fehlt eine genauere Statistik.
Von einem Buschmann berichtet Turner (46, II, p. 89) einseitiges Vorkommen
der Perforation, von Hottentotten erwähnt es Broca (6, [). 366) etc. etc.
Nach Topinard's (45, p. 1016) Tabellen zeigen die Neger die Perforation in
21.7, die Guanchen der Canarien in 25.6, die Polynesier in 34.3, die gelben Rassen
und Amerikaner in 36.2 Procenten der untersuchten Fälle. Eigenthümlicli ist, dass an
verschiedenen Orten praehistorische, europäische Skelette gefimden worden sind, welche
nach Broca's Untersuchungen die Perforation des Oberarmes sehr viel häufiger zeigen als
die heutigen Bewohner derselben Gegenden. Es sind Funde gemacht worden, welche 20
und mehr Procente der Humerus-Durchljohrung aufweisen. Wenn diese ¡¡raohistorisclicn
Formen wirklich, wie os berichtet wird, die anatomische Höhe der heutigen Europäei'
zoi"cn, so dürfte es sich vielleicht um einen secundäreu Erwerb dieses Merkmals bei ihnen
liaudeln; doch wäre andererseits auch denkbar, dass diese praehistorischen Varietäten,
trotz eines mit dem heutigen Europäer übereinstimmenden Schädelbaues, doch in ihrem
übrisen Skelett einige ältere Merkmale bewahrt haljen könnten, welche später verloren
»cgaugen sind. Dahin würde auch die im weiteren Verlauf dieser Arbeit zu besprechende
Platyknemie geh()ren.
Nach dem Mitgetheilten müssen wir amielunen, dass die Stammform des Menschen
ebenfalls eine durchbohrte Olecranongrube gehallt habe. Sclion mehrmals ist darauf hingewiesen
worden, dass nach unserer Ansicht der Schimpanse dieser Wiu'zel am nächsten
stehen dürfte. Gerade dieser aber scheint von den lebenden Anthropoiden am seltensten,
wenn überhaupt je, ein perforiertes Oberarmbein zu besitzen, so dass man gezwungen wird,
anzunehmen, dass er selbstständig diese Eigenschaft eingebüsst habe.
Ucl)er den Humerus der Weddas als ganzes ist noch zu bemerken, dass er ausserordentlich
dünn und schlank erscheint, mit wenig entwickelten Leisten und Fortsätzen,
so zwar, dass ein europäischer Oberai'mknochen sich daneben plump und schwer ausnimmt.
Aeluiliches berichtet Turner (46, IL p. 89) von den Armknochen der Australier, Andamanesen
und anderer Formen.
Vom Unterarm haben wir oben erwähnt, dass er im Verhältniss zum Humerus
beim Wedda von grösserer Länge sei als beim Europäer; es ist noch weiter zu bemerken,
dass die Lücke zwischen Radius nnd Ulna beim Wedda durchschnittlich klaffender erscheint,
als es bei uns der Fall ist. Es hängt das mit einer etwas stärkeren Curvatur dieser Knochen
zusammen.
Man vergleiche auf Tafel LXXXI die Figur 175, welche den Arm eines Wedda
darstellt, mit der Figur'176, und man wird sofort den Unterschied vom Arm des Europäers
erkennen.
Nun ist zuzugeben, dass der eben erwähnte Wedda-Arm eine besonders starke
Lücke zwischen Ulna und Radius zeigt; aber auch die anderen Stücke unserer Sammlung
scheinen uns, wenn mau sie mit europäischen vergleicht, durch grössere Entfernung und
stärkere Biegung der beiden Knochen ausgezeichnet zu sein.
Auch Thomson (44, pp. 133 und 135) macht auf die mehr als gewöhnliche Curvatur
der Uliia Iiei den Wedda-Skeletten aufmerksam.
Das Handskelett zu bearbeiten, haben wir keine Zeit mehr gefunden; doch
?laiil)eii wir, dass au(di dieses wichtige Abweichungen vom europäischen zeigt. Es sei
nur erwähnt, dass die Phalangen durchschnittlich eine stärkere Krümmung in anteroposteriorer
Riclitung als beim Europäer aufweisen.
Die untere Extremität. Wie wir bei der Schilderung des Armskelettes mit der
besprechiuig seines Längenvei'hältnisses zur Körpergrösse begannen, wollen wir dies auch
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