Das Instrument, welches wir liiezu bonützten, war der von Rieger erfundene
Projections- und Coordinaten-Apparat für geometrische Aufnahmen von Schädeln, ein ausgezeichnetes
Instrument, dessen ilandhabung freilich etwas üebung und noch mehr Geduld
erfordert, das aber ausserordentlich exacte Resultate liefert. Rieger hat seinen Apparat
selber auf's genaueste beschrieben und abgebildet (15), so dass wir auf seine Publication
verweisen können.
Die Zeichnung der Schädel-Umrisslinien geschieht auf starkem Papier, welches
mit einem Millimeter-Quadratnetz Ijedruckt ist, ähnlich wie wir es auch auf unsern Tafeln
angewandt haben, mit Hilfe eines Parallelographen. Ein solcher besteht bekanntlich aus
einer verticalen, auf solidem Fusse befestigten, prismatischen Stange, an welcher zwei
Schlitten gleiten; der obere derselben trägt einen horizontalen Metallstift, dessen feine
Spitze in Berührung mit dem Schädel gebracht wird, der untere einen ebensolchen, von
dessen einem Ende im rechten Winkel nach unten ein zweiter Stift abgeht, welcher mit
einer Bleistiftspitze endet. Dieser Bleistift, welcher genau centriert vertical unter der den
Schädel berüln-enden Spitze des oberen Stiftes steht, zeichnet auf dem Millimeterpapier
die Punkte auf, welche der letztere am Schädel, berührt.
Es empfiehlt sich, um möghchst grosse Exactheit zu erzielen, nicht einfach mit
der oberen Spitze dem Schädelumriss nachzufahren und den unteren Stift dabei die Curve
aufschreiben zu lassen, weil man sonst leicht einen gewissen Druck gegen den Schädcl
ausübt, der nicht so solid kann fixiert werden, dass er nicht etwas nachzugeben vermöchte,
und dadurch könnte die Curve leicht incorrect werden. Wir haben vielmehr den
Bleistift durch eine sehr feine Metallspitze ersetzt und diese so fixiert, dass sie etwa einen
halben Millimeter über dem Papiere schwebte. Mit dem oberen Stifte fuhren wir nicht dem
Schädelumriss nach, sondern berührten immer nur einzelne, je um etwa einen Drittelcentimeter
von einander entfernte Punkte der aufzunehmenden Curve, wobei dann jedesmal
mit einem feinen Bleistifte die Stellung der unteren MetaUspitze auf dem Papiere markiert
wurde. Alle die einzelnen Punkte wurden dann zum Schluss unter einander verbunden,
und auf diese Weise erzielten wir Schädelcurven, welche, wie wir uns glauben überzeugt
zu haben, keine grosseren Abweichungen als solche von ungefähr einem halben Millimeter
von der Wirklichkeit zeigen.
Es ist bei der Aufnahme der Curven ferner darauf zu achten, dass der obere
Horizontalstift des Parallelographen immer genau senkrecht gegen die Schädeloberfiäclie
gerichtet ist, indem bei schiefer Stellung leicht fehlerhafte Abweichungen entstehen.
Wir haben auf unseren Tafeln die Curven alle in natürlicher Grösse aljgebildet:
das carrierte Papier erlaubt das rasche Al)lesen jeder Dimension, und da gröbere Felilev
in der Aufnahme ausgeschlossen sein dürften, so sind damit unserem Werke eine Anzahl
von Schädeln in ümrisslinien beigegeben, welche für Jedermann, welcher dieselben
Methoden befolgt, zur Vergleichung mit anderen Schädelfornien dienen können.
Unumgänglich nothwendig für die Arbeit ist natürlich eine exacte Aufstellung des
Sfhiidcls. Wir wählten dafür ausnahmslos die deutsche oder Frankfurter Horizontalebene,
welche wir für weitaus die beste der vorgeschlagenen Orientierungsebenen halten.
Nach der Frankfurter Verständigung wird diese Ebene bestimmt durch zwei Gerade, welclie
beiderseits den tiefsten Punkt des unteren Augenhöhlenrandes mit dem senkrecht über der Mitte
der Ohröffnung Hegenden Punkte des oberen Randes des knöchernen Gehörgangs verbinden.
Dieser Vorschrift nachzukommen ist aber in sehr vielen Fällen ein Ding der Unmöglichkeit,
weil bei der Asymmetrie fast aller Schädel diese 4 Punlcte liäufig gar nicht in
eme Ebene zu bringen sind. Drei davon sind es natürlich immer, aber vier nicht, und
wir haben daher in diesen Fällen zur Einstellung die beiden Ohrpunkte, aber nur einen
(den rechten) Augenpunkt gewählt, wobei es öfters vorkam, dass der andere untere Augenrand
von der Horizontalebene nach unten oder nach ol^en bis zu einer Entfernung von
fast 2 mm abwich. (Vergleiche hierüber auch Ranke I, pp. 12 und 13.) Mit Hilfe des
Parallelographen ist übrigens die Einstellung sehr exact auszuführen, wenn der Schädel
einmal solid auf dem Rieger'sehen Kraniostaten fixiert ist, was eine gewisse Hebung
erfordert und namentlich bei defecten Schädeln nicht leicht ist.
Drei Systeme von Curven wurden aufgenommen:
1. horizontale, der Frankfurter Einstellungsebene parallele,
2. sagittale, der Längsaxe des Schädels parallele, und zur eben genannten
Ebene senkrecht stehende und
3. frontale, die Längsaxe quer schneidende und ebenfalls auf die Horizontalebene
senkrecht gerichtete.
Von unseren Hor i zont a l curve n ist die unterste die F r a n k f u r t e r Orientierungsebene
selber; wir nennen diese die Basalcui've.
j Auf dem nebenstehenden Holzschnitt, welcher
die Lage der verschiedenen von uns aufgenommenen
Curven am Schädel demonstrieren soll,
ist sie mit brauner Farbe 1:)ezeichnet und elaenso
auf den Tafeln.
Das nebenstehende Orientirungsbild wurde
so gewonnen, dass ein europäischer Schädel, auf
welchem sämintlichc der von uns gewählten Curven
aufgezeichnet waren, auf dem Rieger'sehen
Apparat fixiert und dann photographiert wurde.
Die Curven sind darauf in annähernd denselben
Farben gehalten, welche sie auf unseren Tafeln
haben.
Die fiasalcurve berülu't also die beiden oberen Ohrpunkte und einen, seltener beide,
untere Augeiniluder; sie ist vorne am breitesten, wo sie über die Wangenbeine läuft und