Wi'uu nun trotz dieser siclier constatierteil Vcrläiigeriing des Armes, der Iiiterincimbralindex
beim Wedda niedriger ist als beim Europäer, so liedeutet dies nichts anderes,
als eine Verlängerung aucli der unteren Extremitäten, gegenüber dem Europäer.
Wälirend nämlich beim Letzteren dnrchÄclinittlich auf 69.5 cm Armlänge 100 cm Beiiilänge
kommen, fallen heim AVedda sciion auf c. 68.5 cm des Armes 100 cm lieinläiige,
und. da, wie gesagt, der Wedda schon im Vei'hältniss zur Köi'pergrösse längere Arme als
der Europäer besitzt, so erhalten wir auch merklich längere Unterextremitäten. Somit
stimmt dieses Ergebniss mit dem oben aus dem Yerhältniss der lieinlänge zur Körpergrosse
gewonnenen übcrein.
Es sieht also die sonderbare Thatsache fest, dass die Weddas und eine Anzahl
anderer, niederer Varietäten nicht nur durch relativ längere Arme, sondern auch durch
ebensolche Beine, von den Europäern sich unterscheiden.
Grosse liinge der Arme erscheint nun bekanntlich als ein pithekoides Merkmal,
Länge der Beine dagegen durchaus nicht, indem mit einziger Ausnahme dos Hyloliates, die
x\nthropoiden kurze ünterextremitäten besitzen.
B r o c a (aus Topinard. 45, p. 1037) hat die Länge der Extremitäten mit der der
AVirbelsäule verglichen und folgende Zahlen für die Beinlänge gefunden: Orang 88, Schimpanse
90, Gorilla 96, Mensch 117 und (libbon 133, wonach also der letztere als die langbeinigste
der aufgezählten Formen sich herausstellt, wie er auch die mächtigsten Anne
von allen besitzt.
Es Hesse sich daher die Vermuthung aufstellen, dass die Stammform des Menschen
in den Verhältnissen ihrer untei'en Extremitäten sich ähnlich wie der Hylobates verhalten
habe. Unmöglich wäre dies ja nicht, aber wir möchten doch eher annehmen, dass die
Länge der Beine als ein selbstständiger Erwerb niederer Menschen-Varietäten aufzufassen
sei und dass der Europäer wieder secundär, durch Verküi'zung der unteren Extremitäten,
in diesem Tunkte eine Annäherung an die höheren Anthropoiden zeige.
Die Entscheidung dieser Frage wird die Entwicklungsgeschichte zu bringen haben.
Sorgfältige Messuugsreihen verschiedener, auf einander folgender Altersstadien bei irgend
einer durch relativ lange Unterextremitäten ausgezeichneten Menschen-Form werden sicher
demonstrieren, ob ihre Länge ein ursprüngliches oder ein sccundär ei'wor))enes Merkmal ist;
sie werden dieselbe Frage auch für die Arme lösen, indem man, durcli die an den Beinen
gefundenen Verhältnisse gewarnt, auch nicht a priori sagen kann, ob ihre grössere Länge bei
einer Reihe von dunklen Stämmen wirklich, wie es anf den ersten Blick zu sein scheint
und wie wir es auch für wahrscheinlich halten, eine Annäliei'ung an die Anthropoiden
bedeute, oder ob auch hier secinidäre Wachstliumsvorgäiige ein Anthropoiden-l'hantoni
zu Stande bringen. Zunächst müssen wir uns mit der Thatsaclie als soldier begnügen,
dass die Weddas und eine Anzahl anderer, niederer Stämme, sowold dnrch Uingere Ober-,
als Ünterextremitäten, von den Europäei'n abweichen.
Bei der Schilderung des Arnres ist auf die relativ grössere Länge des Vorderarmes,
o-eoenüber dem Humerus, beim Wedda und Verwandten hingewiesen worden, und wii' liaben
(lieser Erscheinung eine grosse Bedeutung beigelegt, weil sich zeigen liess, dass bei den
Embryonen und Jugendstadien höherer Formen dieses Verhältniss ebenfalls wiederkehrt
und erst langsam den Proportionen des Erwachsenen Platz maclit, wodurch der phyloo
enetische Werth dieses Merkmals siclier demonstriert ist.
Aehnliches hnden wir auch an der unteren Extremität, wenn wir die Länge von
Feinur und Til>ia mit einander vergleichen und den sogenannten Tibio-Femoralindex
, , .„ , 100 X Tibialänge
bilden, indem die Länge des Femur = 100 gesetzt wird, nach der Formel —po^imlän'^e '
Je hoher also die Indexzahl, um so grösser ist die Länge des Unter- im VoiJiältniss zum
Oberschenkel.
Schon 11 u m p
h r y (28, p. 98) hat darauf hingewiesen, dass in den frühesten
Lebensperioden der Schenkel, im Verhältniss zum Schienbein, kürzer erscheine als später,
und dass die definitiven Proportionen erst nach der Pubertät vorlianden seien. Aus Topinard's
(45, p. 1045) Tabellen ergiebt sich für 108 europäische Männer ein mittlerer
Iudex von 80.8, ebenso für 17 Frauen,
Bedeutend liöhere Zahlen erhalten wir für die Weddas, Wenn wir die Maximallänge
der Tibia in Piechnung setzen, so wird das Mittel für 7 Männer 86.1, für 3 Frauen
84.7: schliessen wir die Spina intercondyloidea von der Tibialänge aus, so sinken die
Ziffern auf 85.2 und 83.8, immer noch viel höhere Zahlen als die von Topinar d auf dieselbe
Weise bei den Europäern gewonnenen.
Wenn wir Turners (46, 11. p, 108) Eintheiluiig des Tibio-Femoralindex folgen,
so gehören die Weddas zu den dol ichoknemen oder lang-unterschenkeligen Varietäten, zu
denen er die Andamanesen, Negritos, Australier, Tasmanier, Neger, Indianer und Feuerländer
rechnet.
Darnach ist also einei- ganzen Reihe von Varietäten ein verhältnissmässig längerer
Unterschenkel eigen, als ihn der Durchschnittseuropäer besitzt, und zwar sind es dieselben,
welche au(;h dui'ch lange Unterarme ausgezeichnet waren.
Uebcr den Tibio-Femoralindex der Anthropoiden erfahren wir aus Tnrner's Zusammenstellungen
und Messungen, dass nur der Orang einen verhältnissmässig noch längeren
Liuterschenkel besitzt, als wir bei den Weddas gefunden haben. Turner traf bei einem
Exemplar einen lu<lex von 8() (p. 112) an, Humphry bei zweien 86.8. Drei Schimpanse's
gaben dagegen Tarner ein Mittel von 82.4, viere Humphry eines von nur 80.6: wir
selber fanden bei einem Exemplar 84.8. Beim Gorilla scheint das Mittel bei 81 zu liegen.
Audi diese Annäherung an europäische Verhältnisse sind gewiss als Convergenzcrscheinungen
anzusehen, und wir werden jedenfalls dem Menschenahn mindestens eine
Unterschenkidlänge zuschreiben müssen, wie sie der Orang noch heute zeigt.