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Ethnographische Beschreibung von Wädäi.
Wädäi ist in jeder Hinsicht ein noch junges Reich, in dem
die verschiedenartigsten Elemente mit beinahe unbeschränkter,
das Gesammtwesen des politischen Körpers schwächender
und entkräftender Macht neben einander bestehen. Dessenungeachtet
ist die Mannichfaltigkeit dieser Elemente in
einem so ausgedehnten Gebiete wie Wädäi keineswegs ausserordentlich
für diese Gegend der Erde; denn die Zahl der
verschiedenen hier gesprochenen Dialekte übertrifft nicht die
Anzahl derjenigen, die man in Fümbinä redet; ja selbst in
Borna, wo in Folge eines ausgleichenden und centralisiren-
den Regierungssystems mehrere Stämme im Laufe der Zeit
fast ganz vernichtet worden sind, überschreitet die Zahl der
innerhalb der Reichsgrenzen bis heute noch geredeten Sprachen
fünfzehn.
In Wädäi hat man zuerst zwei grosse Gruppen von einander
zu unterscheiden: die einheimischen oder eingewanderten
Negerstämme auf der einen und die Arabischen Stämme auf
der anderen Seite. Ich will zuerst die Negerstämme betrachten,
indem ich eine vollständige Liste derselben mittheile und
jedesmal einige Bemerkungen in Bezug auf ihre Stärke und
ihre politische Macht hinzufüge. In Bezug auf ihre Verwandtschaft
unter einander aber kann man bis jetzt nur wenig
mit Gewissheit sagen, da noch keine Wörterverzeichnisse
ihrer Sprachen vorliegen. Ich seihst war nicht im Stande,
mir deren mehr als drei zu verschaffen, nämlich einmal von
der Sprache des Hauptstammes (der Mäha), dann von derjenigen
der Küka und endlich von derjenigen der Äbil oder
Abu Schärib. Die Wohnplätze dieser Stämme wird man
besser aus der Sammlung von Itinerarien, als aus diesen allgemeinen
Angaben kennen lernen.
Ich fasse zuerst die Gruppe von Stämmen in’s Auge,
welche das eigentliche Wädäi oder Mäba (in der hier nach
Arabischer Weise gebräuchlichen Form als Dar-Mäba bekannt)
bewohnen und eine und dieselbe Sprache, „böra
Mäbang” genannt, reden, von der ich ein leidlich vollständiges
Wörterverzeichniss (mit mehr als 2000 Wörtern) nebst
einer grossen Menge Phrasen (mit Einschluss des Vaterunsers)
zu sammeln im Stande war. Diese Gruppe besteht
aus den folgenden Stämmen oder vielmehr Abtheilungen:
den Kelingen*), welche mehrere, etwa einen Tagemarsch südlich
von Wära gelegene Dörfer bewohnen; den Malänga**),
im Nordosten; den Mädabä und den Mädalä, nahe hei den
Letzteren, und den Kodol, d. i. Bergbewohnern (von „kodök”,
der Berg). Die Letzteren werden von den Arabern wegen ihrer
rothen Zähne, welche Farbe sie durch die Beschaffenheit des
Wassers in jenen Bergstätten erhalten sollen, Bü-Ssenün (Singular
„Ssennaui”) genannt; dort in den Bergen bewahren sie
ihre körperliche Kraft und ihren unabhängigen, freiheitsliebenden
Sinn und sie werden einstimmig als der tapferste von
allen Stämmen Wädäi’s anerkannt. Die berühmtesten unter
den Bergstätten der Kodol sind: Kürungun (der Sitz ihres
Häuptlings), Bümdan, Mögum, Bürkull, Mutung und Warschekr,
welche Ortschaften sämmtlich einen Tagemarsch östlich von
Wära liegen.
*) Der Name wird im Arabischen, welches gar nicht fähig ist, die so vielen
Negersprachen eigenen Nasenlaute wiederzugeben, geschrieben.
**) i m d geschrieben.