410 XV. Kapitel.
weiss in der That in Europa wenig davon, wie freundschaftlich
in diesen Ländern Mann und Weib mit einander leben,
und es war dieser liebenswürdige Zug, der mich einigermas-
sen mit meinem Gefährten aussöbnte, gegen den ich sonst
sehr eingenommen war.
{Sonnabend, 14fen August.\ Wir traten nun endlich unsere
Beise mit Ernst an. Es hatte schon am Nachmittage des vorigen
Tages sehr stark geregnet, und nun hatten wir am Morgen
wiederum einen heftigen Begenguss, welcher volle 2 Stunden
anhielt und unsere Abreise beträchtlich verzögerte. Die Entfernung
bis zum Flusse war nicht gross, aber der letztere
Theil des Weges von so schlechter Beschaffenheit, dass mein
Kameel seine Ladung nicht weniger als sechsmal ahwarf,
so dass meine Diener fast zur Verzweiflung gebracht wurden
und mir erst mehrere Stunden nach meiner Ankunft in
A'-ssü nachkamen, nachdem ich es mir bereits in einer vortrefflichen
Hütte bequem gemacht hatte. Sie war aus sauber
geglättetem Lehm sorgfältig erbaut, und es that mir herzlich
leid, zwei unverheirathete alte Damen, welche sie bewohnten,
aus ihr vertreiben zu müssen.
Sobald ich etwas ausgeruht hatte, brach ich auf, um den
Fluss in Augenschein zu nehmen. Die grossartige Erscheinung
dieses Flusses hatte mich, als ich, von Logone kommend,
ihn zum ersteh Male gewahrte, in Erstaunen gesetzt und
es hatte mir jedesmal Freude gemacht, wenn in Meie mein
Blick auf den schönen Strom fiel; gegenwärtig hatte er nun
aber beträchtlich zugenommen und bildete eine Wasserfläche
von wenigstens 3000 Fuss Breite, von zahlreichen Werdern
durchsetzt, während das diesseitige hohe, sanft abfallende Ufer
in reiche Saaten des Egyptischen Kornes — „masr” —
(Zea Mays) gekleidet war. Mehrere kleine Kähne oder vielmehr
Boote lagen am Strande, aber ich sah mich vergebens
nach einem um, welches gross genug für mein Kameel gewesen
wäre, indem ich gegründete Furcht hegte, dasselbe dem Strome
anzuvertrauen. Ich bemerkte jedoch mit Vergnügen, dass
die Strömung nicht sehr reissend war, indem sie mir nicht
über 3 Meilen die Stunde zu betragen schien. Leider war
auch heute sehr nasse Witterung, so dass es nicht so angenehm
war, umherzustreifen, als sonst wohl der Fall gewesen
wäre.
A-ssü war früher eine umwallte Stadt, aber der Wall hat
jetzt ein ebenso verfallenes Aussehen, wie überhaupt das
ganze Land; die Einwohner, für die die Fähre eine fortwährende
Quelle des Gewinnes ist, scheinen jedoch leidlich
wohlhabend zu sein. Nach diesem Dorfe, das vormals
von grösserer Bedeutung gewesen zu sein scheint, als
jetzt, wird der Fluss mitunter der „Fluss von A-ssü” genannt;
er sollte aber nie „der Fluss A-ssü” genannt werden. Auch
hier befindet sich ein Beamter oder Aufseher der Fähre mit
dem Titel Kaschelia*), ganz wie im Dorfe Mêle.
Wir mussten uns anfänglich eine Meile weiter stromabwärts
begeben, um den bei der Hinreise erwähnten flachen,
sandigen Strand zu erreichen. Endlich nach langem Zögern
wurden die Boote gebracht und das Übersetzen begann. Die
Pferde kamen zuerst, indem drei oder vier längs der Boote
schwammen; es war aber eine schwierige Aufgabe für die
im Boote sitzenden Leute, sie zu leiten, und ungeachtet aller
ihrer Anstrengungen und alles Geschreies der am Ufer verbliebenen
trieb die Strömung mehrere vom Boote fort und eine
ziemliche Strecke den Fluss hinab ; eines derselben, ein schöner
schwarzer Gaul, ertrank. Es war die äusserste Zeit, wo
der Fluss für Pferde noch passirbar ist; denn während des
ganzen Monates September wird der Übergang, wie die Leute
mich versicherten, nie versucht. Ich selbst kam mit Pferd
und Gepäck glücklich ohne Unfall hinüber, und nachdem
*) JKLasch&la ist eigentlich, ein Börnu-Titel, aber in diesen Ortschaften an
der' Westgrenze Baghirmi’s allgemein in Gebrauch.