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152 UBER DIE VEGETATIONSLINIEN
Machen wir bei den w e s t l i che n Pflanzen des Gebiets von derselben
Methode Gebrauch, deren wir uns soeben bedient haben^ so ist
deren Südostgrenze nicht so leicht zu erklären. Die Verkürzung der
Vegetationszeit führte zur Annahme nordöstlicher Vegetationslinien.
Wenn also in ihr die klimatische Ursache einer der Küste parallelen
Zone westlicher Pflanzen nicht läge, so frägt sich, ob die Temperaturminima
des Winters diese Grenze vorzeichnen. Allein auch hier ist es
im Allgemeinen klar, dass die Winterkälte in nordöstHchem Sinne zunimmt,
also in einer Richtung, die von derjenigen, in welcher die Sommerwärme
wuchs, um go^ abweicht und mit der vorigen zusammenfällt.
Wir würden also unter beiden Bedingungen für westhche Pflanzen
Nordostgrenzen erwarten müssen, und doch treten die Vegetationslinien
des Gebiets uns zunächst als südöstliche entgegen. Die Linien
gleicher kältester Monate bei Berghaus sind in der That jener theoretischen
Voraussetzung gemäss aufgetragen: eine derselben, die dem
Gefrierpunkt als mittlerem Temperaturwerth des kältesten Monats entspricht,
schneidet z. B. bei ihm das nordwestliche Deutschland zwischen
Weser und Rhein , etwa dem Laufe der Ems stromaufwärts folgend
und über Hanau und München nach Illyrien fortschreitend. Vergleicht
man inzwischen hiermit die vorhandenen Messungen, so erhebt sich
der Zweifel, ob diese genügen, ob Berghaus berechtigt war, die Linien
überall in diesem Sinne zu ziehen, oder ob er nicht vielmehr die Lücken
der Beobachtungen durch theoretische Voraussetzungen zu ergänzen
suchte. Man kann sich vorstellen, dass der Einfluss des Meeres auf die
Kältegrade des Winters in nächster Nachbarschaft, also in unserem Gebiet,
nicht bloss relativ intensiver sei als in grösseren Abständen, sondern
auch durch eigenthümHche Verhältnisse gesteigert werde , indem
hier durch häufigere Wolkenbildung die nächtliche Wärmestrahlung
verhindert wird, während tiefer landeinwärts zwar der Einfluss des
Meers noch bemerkbar, aber nur durch die allgemeineren und langsameren
Wirkungen von dessen Wärmecapacität vermittelt wird. Man
kann in Bezug auf die Winterkälte Deutschlands in Betracht ziehen, ob
nicht das Mittelmeer und die Ostsee in diesen mildernden Wirkungen
sich mit dem westhchen Ocean verbinden und das Winterklima einzelner
Landstrecken afficiren. Ist aber nur eine von diesen und ähnlichen
Vorstellungen gegründet, so hätten wir uns nothwendig die normale
Richtung der Linien gleicher Temperaturminima in unserem Küstenlande
wesentlich geändert zu denken: und somit frägt es sich nun, ob
die vorhandenen Messungen darauf hinweisen. Wiewohl die Mimatologischen
Daten bei Weitem nicht zahlreich und zuverlässig genug sind,
um der Construction solcher Linien eine Genauigkeit zu verschaffen,
DES NORDWESTLICHEN DEUTSCHLANDS
wie sie die Geographie der Pflanzen fordert: so reicht doch in diesem
Falle schon die Vergleichung weniger meteorologischer Stationen hin,
um darzuthun, dass die Linien gleicher kältester Monate in Deutschland
keineswegs immer von Nordwest nach Südost verlaufen, vielmehr
in der Nähe der Nordseeküste denjenigen Richtungen entsprechen,
welche die Vegetationslinien westlicher Pflanzen erheischen.
Erste Linie, wenig vom Meridian abweichend, der Ostgrenze von
Erica cinerea (Bergen in Norwegen. Bonn, Genua) entsprechend.
Bergen. Temperatur des kältesten Monats = + o", 9 C. [Berghaus).
Elberfeld. „ „ ,, = + „ ( „ )•
Mannheim. „ „ ,, » =+0^9 f )•
Mailand. „ „ . . = + o^ 6 „ [MaUmann).
Zweite Linie, innerhalb unseres Gebietes der Ost- und Nordseeküste
parallel, hier daher der südöstlichen Vegetationshnie westHcher
Pflanzen entsprechend, weiter südwärts der Meridianrichtung mehr angenähert.
Stralsund.
Lüneburg.
Salzuffeln.
Frankfurt a, M.
Karlsruhe
Temperatur des kältesten Monats — — o", 4 C. [Bergh.).
= - 0 ^ 6 [Mahlm.].
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[Bergh.].
Im nordöstlichen Deutschland nimmt allerdings die Kälte rasch
nach Osten zu (Berhn = - 3°,i: Mahlm.) , und im Continentalklima
Russlands treffen wir dann die der Theorie entsprechende Normalrichtimg
der Linien gleicher kältester Monate von Nordwest nach Südost,
wenn wir z. B. Tilsit [ = — 5°,4) und Nicolajew bei Odessa (=—50,3)
vergleichen: aber wie unregelmässig noch im östlichen Deutschland
die Winterkälte vertheilt ist, zeigt die Übereinstimmung von Breslau
und Wien ( = — i°,6), was wieder auf eine Meridianrichtung
hinweist. Ohne indessen auf diese Schwierigkeiten weiter einzugehen
, halte ich mich berechtigt, aus der zweiten Linie die Südostgrenze
unserer westlichen Pflanzen abzuleiten , wonach die klimatische
Bedingung derselben in der s ü d o s twä r t s g e s t e ige r t e n Winterkälte
liegt.
B e i s p i e l e südöstlicher Vegetationslinien.
Corydalis claviculata Pers. Eine Linie, welche die beiden äussersten
Fundorte des Gebiets im Radbruche bei Lüneburg und bei Bielefeld
verbindet, sondert, südwärts verlängert, die Niederlande, Belgien,
Westfrankreich und theilweise Portugal, das heisst das ganze Areal
westlicher Verbreitung auf dem Continent ab.
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