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20 ÜBER DEN EINFLUSS DES KLIMAS
Ausdehnung, die in zwei oder mehrere natürliche Floren übergreift: so
kommen die meisten mitteleuropäischen Arten auch in Südeuropa,
viele in Südsibirien vor. Die einzelne Art ist nicht an die Temperatursphäre
ihrer Flora gebunden.
3) Enontekis ist von Wäldern umgeben; das Bernhardhospiz liegt
mehr als 2000' über der Baumgrenze: dort ist die mittlere Temperatur
= — 2", g C., hier = _ i C. Also wird die Temperatursphäre
der Formationen so wenig, als der Arten durch die mittlere Jahrestemperatur
gemessen.
4i Unter den Tropen weicht sowohl in der Ebene, wie in den durch
Erhebung kalten Regionen die Wärme irgend eines Zeitraumes nur
wenige Grade von der mittleren Temperatur ab. Daher wird die Temperatursphäre
tropischer Floren durch die Temperaturextreme und die
mittlere Wärme hinreichend genau bestimmt.
5) Ausserhalb der Wendekreise zeigt sich überall ein Winterschlaf
der Floren, der von einer gesunkeijen Temperatur abhängt und in
seiner Dauer verschieden ist. Das bekannte physiologische Experiment
1, wodurch man einen Baum künstlich zum Erfrieren bringt, wenn
man einen Ast desselben in ein Treibhaus leitet und dadurch zum Ausschlagen
nöthigt, beweist die Verschiedenheit der Temperatursphäre
der Pflanzen während ihres Winterschlafs. Da wir keine Unterschiede
ähnlicher Art zwischen den übrigen Vegetationsepochen für ganze Floren
nachweisen können, so sind wir zu dem Satze berechtigt, dass die Temperatursphäre
einer natürlichen Flora durch die mittlere Temperatur
und durch die Temperaturextreme ausserhalb ihres Winters
c h l a f s gemessen werde. Kurven nämlich, deren Gesetz unbekannt
ist, können nur auf diese Weise verglichen und somit benutzt werden :
man kann sie zwar eintheilen und die mittleren Werthe der Theile vergleichen,
aber dies würde nur in dem Falle zu Resultaten für den Charakter
der Floren führen, wenn das Eintheilungsprincip von dem Wesen
des Pflanzenlebens hergenommen wäre. Da ausserdem durch die Untersuchungen
des Herrn Känitz'^ wahrscheinlich wird, dass die Vertheilung
der Wärme in der Jahreskurve und der Eintritt der Wendepunkte a^rf
der ganzen Erde gleichförmig ist, so würde bei Vergleichungen die
mittlere Temperatur des Jahres oder eines Theiles desselben das klimatische
Moment der Kurve vollständig enthalten.
Es fragt sich nun zunächst, ob der Vegetationsprocess der krautartigen
Axe einer Art an einen absoluten Zeitraum geknüpft sei, und
' Mustd'Vx^ié de la végétation II, pag. 326.
Meteorol. I, pag. 127.
AUF DIE BEGRENZUNG DER NATÜRLICHEN FLOREN. 21
somit die Dauer des Winterschlafs einer Flora in ihrem Gebiete constant
sein müsse; ferner ist zu untersuchen, ob man Mittel habe, die nöthigen
Zeitbestimmungen über diese beiden Perioden des Pflanzenlebens zu
machen. Die erste Frage ist kürzlich durch Herrn Boussaiiigaiilt negativ
beantwortet, indem er das für die Kultur überaus wichtige Gesetz nachwies,
dass die mittlere Temperatur irgend einer Vegetationsperiode
multiplicirt mit der Zahl der Tage, die darüber verflossen sind, für
dieselbe Art stets dasselbe Produkt giebt, während beide Grössen
innerhalb gewisser Grenzen variabel sind. Dies erklärt Schilbler's Beobachtungen
1 über die verschiedenen Blüthezeiten derselben Pflanzenart
unter verschiedenen Breiten, die er nach einer irrigen Theorie auf die
mittleren Temperaturen der verglichenen Orte bezog, während die einfache
Thatsache des verschiedenzeitigen Blühens einer Art an demselben
Orte in verschiedenen Jahren mit Schärfe darauf hinweist, dass
die mittlere Wärme dabei ein gleichgültiger Faktor sei. Das richtige
Princip hatte bekanntlich schon Adanson angegeben, aber auf eine unangemessene
Weise ausgeführt; Herr De Candolle'^ wies die Unzulässigkeit
seines Verfahrens nach, kam aber selbst nur zu dem negativen
Resultate, dass sich die klimatische Ursache des verschiedenzgitigen
Ausschlagens von Aesculus nicht ermitteln lasse. Freilich hängt es von
der Ausbildung der Knospe im vorigen Herbste ab, aber diese hat
keinen Einfluss auf die Dauer des Zeitraumes vom Ausschlagen bis zum
Abfallen der Blättef. Auf dem jetzigen Standpunkte der Untersuchung
ergeben sich nun folgende Gesetze, die für die Temperatursphären einzelner
Pflanzenarten Gültigkeit haben.
1) Im Allgemeinen kann die Vegetationszeit gewisser Pflanzen bei
einer höheren Temperatur verkürzt werden, aber es findet hier eine bestimmte
Grenze statt, die von der Natur der Pflanze abhängt, und somit
tritt die Äquatorialgrenze einer Pflanze mit dem Minimum der Zeit
ein, in der sie sich bei einem Maximum der Temperatur entwickeln
kann. Der eine Faktor ihrer Temperatursphäre, die Anzahl der Tage,
in denen sie sich entwickelt, kann nicht unbegrenzt in demselben Sinne
verringert werden, als der andere, das erhaltene Wärmequantum, sich
vermehrt. Deshalb gebraucht man unter den Tropen bei der Kultur
extratropischer Pflanzen kühlende Vorrichtungen , die ihre Vegetation
verlängern sollen.
2) Eine Verschiebung der Entwickelungszeiten ist die gewöhnlichere
Erscheinung, in der das obige Gesetz in Wirksamkeit tritt. In
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1 Flora 1830 I, pag. 353.
'•i Physiologie végétale II, pag. 476.