
310 DER GI<:GENWÄRTIG]O STANDPUNKT DER GEOGRAPHIE DER PFLANZEN.
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Jahren nur noch aus Anthoxanthum odoratum, welches alle übrigen
Gräser verdrängt hatte und dieselben grösstentheils an Futterwerth übertrifft.
Wenn man sieht, wie auf einem Boden, der dem freien Walten
der Natur überlassen blieb, die speciellste Anordnung der Pflanzenarten
mit den kleinsten Ungleichheiten der Bewässerung und Mischung der
Erdkrume in Beziehung steht, so öffnet sich hier ein fruchtbares Feld
für Detailforschungen, zunächst in Beziehung auf die einheimische Vegetation,
welches bis jetzt noch durchaus nicht gründlich und den Fortschritten
der Chemie des Bodens entsprechend bearbeitet worden ist,
und auch für die Kulturzwecke wird es solchen Untersuchungen nicht
an technischer Bedeutung fehlen, weil es viel einfacher ist, das Vorkommen
gewisser Pflanzen zu beobachten als chemische Analysen des
Bodens auszuführen.
Bis jetzt hat, abgesehen von den meist oberflächlichen Angaben
über das Vorkommen der Pflanzen, die Wissenschaft nur Einer Frage
auf diesem Gebiete eine grössere Beachtung gewidmet, einer Frage,
welche sich zu einer vielbesprochenen Controverse gestaltet hat, ohne
dass nennenswerthe Ergebnisse sich an dieselbe knüpfen Hessen.' Nach
Ungers geschätzten Vorarbeiten über die Abhängigkeit der Vegetation
in den Kalk- und Schiefer-Alpen von deren Substrat hatte man den
chemischen Einfluss desselben in den Vordergrund gestellt und auf die
ungleichen mineralischen Nahrungsbedürfnisse der Pflanzen bezogen
bis entgegengesetzte Beobachtungen an denselben Arten aus anderen
Gegenden bekannt wurden und Thurviann sodann von den physischen
Eigenschaften der Erdkrume und besonders ihrem Verhalten zur Wassercirkulation
die Vertheilung der Arten ausschliesslich ableiten wollte.
Als ob nicht beide Klassen von Einflüssen mit dem Pflanzenleben in
Beziehung ständen, die Nährstoff-e sowohl wie die Feuchtigkeit und
Wärme des Bodens, und als ob nicht erst aus dem Zusammenwirken
aller Lebensbedingungen das günstigste Substrat für eine bestimmte
Pflanzenart hervorginge I Was man physische Eigenschaften des Bodens
nennt, sind doch nur die Wirkungen seiner chemischen Bestandtheile.
Was in dem einzelnen Falle wirksamer sei oder nicht, ist bei
der Mannigfaltigkeit der Einwirkungen schwer zu entscheiden. Dass
aber ausser den physischen Eigenschaften auch die Mineralien als Nährstoff
e ein bedeutendes geobotanisches Moment bilden, geht aus denjenigen
Halophyten hervor, welche das Natron nicht durch Kali zu
ersetzen vermögen, sowie namentlich aus den Beobachtungen an Wasserpflanzen
, welche als frei schwimmende Organismen von der physischen
Natur des Bodens unabhängig sind, dagegen ähnliche Verschiedenheiten
des Vorkommens zeigen wie die Landpflanzen, je nachdem
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das Wasser diese oder jene Salze aufgelöst enthält. An den Salz- und
Süsswasser-Algen treten diese Einflüsse am allgemeinsten hervor, allein
auch an einigen Phanerogamen (wie an Ranunculus Baudotii) hat Godron
dieselben kürzlich nachgewiesen.
Eine andere Aufgabe der topographischen Geobotanik, welche nicht
bloss den an seine Scholle gebundenen Beobachter, sondern auch den
reisenden Naturforscher angeht, ist die Charakteristik der Pflanzenformationen,
deren Anordnung innerhalb eines klimatischen Gebiets von
der Beschaß-enheit des Bodens grösstentheils bedingt wird. Wenn die
Anordnung der Individuen einer Gramineenart auf dem Wiesenb oden
durch die geringfügigsten Ungleichheiten des Substrats bestimmt ist, so
stellt doch die Wiese zugleich ein scharf umgrenztes Ganzes dar, dessen
botanische Eigenthümlichkeit wiederum von gemeinsamen physischen
Einflüssen des Substrats abhängt. Das verflochtene Wachsthum Rasen
bildender Gräser, welche, um die schwer lösliche Kieselsäure in ihren
Blättern abzulagern, einer stetigen Befeuchtung durch fliessendes Wasser
bedürfen, die Vermischung mit dikotyledonischen Stauden, welche
andere mineralische Nährstoffe aufsaugen, ihre successiveEntwickelung,
die jeden Monat den Boden mit neuen Blüthen schmückt und daher die
dichte Gramineenbekleidung desselben wenig beeinträchtigt, — alles
dies sind botanische Charakterzüge der Wiesenformation des nördlichen
Europas, welche mit physischen Lebensbedingungen, mit ihrer Anordnung
im Überschwemmungsgebiet der Flüsse, in wohlbewässerten
Niederungen oder im Schutze feuchter Waldungen augenscheinlich zusammenhängen.
Jedes Land besitzt eine bestimmte, aber beschränkte
Anzahl solcher P^ormationen oder botanischer Gliederungen der Oberfläche.
die den Charakter der Landschaft ausdrücken. Weithin reichen
sie durch ganze Erdtheile, bald in stetem Wechsel unter gleichartigen
Bedingungen wiederkehrend, bald, wie die Moostundren Sibiriens, ein
unermessliches Gebiet mit einem einförmigen Teppich überkleidend.
Die Landschaftsbilder Kamtschatkas, welche v. KitÜitz herausgab, zeigen
mit ihren Laub- undNadelwäldern, mit ihren eingemischten Wiesen
dieselben Pflanzenformationen , wie sie uns im Westen Europas umgeben.
Einige ihrer Bestandtheile sind gleich, allein auch die übrigen,
welche nicht über die ganze Breite der Alten Welt sich auszubreiten
vermochten oder im Inneren des Continents durch klimatische Grenzlinien
zurückgehalten wurden, werden in beiden Küstenländern durch
entsprechende Arten vertreten; die Weise ihres Wachsthums und die
Ordnung ihres Zusammenlebens sind die nämlichen. Die Charakteristik
der Formationen nach ihrem Gesammtieben, ihren durch Gestaltung
und Geselligkeit der Individuen hervorragenden Bestandtheilen und nach
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