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UND BIBLIOGRAPHIE. 623
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Mittels Allerhöchsten Patents vom i. Juni 1878 wurde ihm der
Character als Geheimer Regierungs-Rath verliehen.
Für das Jahr 1874/1875 war er zur höchsten akademischen Würde
gelangt durch die Wahl zum Rector der Universität. Die Rede, welche
er als solcher, bei Enthüllung der Gedächtnisstafel für die im Feldzuge
1870/71 gefallenen Studirenden der Universität Göttingen, am
28. October 1874 gehalten hat, möge als Zeugniss seiner im öffentlichen
Leben stets bethätigteh Gesinnung hier Platz finden:
,,Wir sind hier zum Gedäclitniss von fünfundzwanzig Zöglingen unserer Hochschule
versammelt, die im deutschen Reichskriege ihr Leben dem Vaterlande geopfert
haben. Heute, am Jahrestage der Einnahme von Metz, weihen wir die
Gedenktafel ein, auf welcher ihre Namen in diesem Saale kommenden Geschlechtern
zum Vorbild und ihnen selbst zur Ehre überliefert werden. Enthüllen Sie die
Tafel! Zur Überschrift ist ein homerischer Spruch gewählt, wodurch das Loos
Derer verherrlicht wird, die zur Vertheidigung ihrer Heimat gekämpft haben. Als
höchsten Ruhm priesen die Alten, für das Vaterland zu sterben, und Jeder, den
klassische Bildung genährt hat, fühlt zu so ergreifenden Anschauungen sich hingezogen
, wie sie damals den einzelnen Bürger des antiken Freistaates mit dem Gesammtwohl
seines Volkes verbanden. Aber jetzt werden viel tiefer wir selbst dadurch
berührt, weil es nicht die fremde Welt vergangener Zeiten ist, an die wir
heute erinnert werden, sondern weil es das eigene Vaterland war, das in seinem
Bestände und ursprünglichen Wesen zu erhalten, diese jugendlichen Männer in den
Tod gingen. Wir, die wir vor vier Jahren diese Körperschaft vertraten, gedenken
mit Hochgefühl der Zeit, als unsere Hörsäle sich leerten, als jeder Kampffähige aus
unserer Mitte hinauszog, bereit, die höchsten Güter unseres Volkes zu vertheidigen.
Schwer war der Abschied von Denen, die sich trennen mussten, dunkel lag die Zukunft
vor uns, aber von Jedem wurde mit gleicher Festigkeit die Entscheidung erwartet.
Damals bewährte sich, dass Pflichtgefühl und Vaterlandsliebe in allen deutschen
Herzen lebendig waren, wie jemals. Die Begeisterung war dieselbe, wie zur
Zeit der Freiheitskriege, aber die Kraft des deutschen Volkes, durch gesetzliche
Ordnung gegliedert, war gi'össer geworden, sie zeigte sich unbesiegbar, wie zu jenen
Zeiten, als der Römer dem Germanen erlag, und wie zu allen Zeiten, wenn der Sinn
für die Einheit unserer Nation sich an grossen Gestalten der Geschichte kräftigen
konnte. Und hierbei möge denn auch an diesem Orte, im Bereiche der Landschaften,
die das Denkmal Hermanns, des Cheruskers, schmückt, des Ursprungs gedacht sein,
von dem diese siegesgewisse Gliederung unserer Wehrkraft ausgegangen ist, jener
unsern heimischen Gauen entsprossenen Männer, des Fürsten von Schau7?iburg myd
Scharnhorst's, durch deren schöpferische Ideen die Einigung und Stärke Deutschlands
nach Zerrissenheit und Knechtschaft zuerst wieder angebahnt worden sind.
Denn von ihnen ist der Grundsatz zuerst ausgesprochen und zu allgemeiner Anwendung
entfaltet, dass kein Stand, kein Beruf von der Pflicht entbindet, für das
Wohl des Vaterlandes mit dem Leben einzustehen. Dass aber solche Ideen zur Verwirklichung
kommen und jeden Einzelnen beherrschen, dazu bedarf es königlicher
Gewalt und staatsmännischer Grösse, es mussten Führer an der Spitze des Staates
stehen, die, wie Felsen von Erz, über die Brandungen ihrer Zeit emporragen. So
ist es geschehen, dass die Brüder, deren Gedächtniss wir feiern, nicht blos den Tod
erduldet haben, um den Feind abzuwehren , sondern dass aus dieser Saat des Todes
ein neuer Bund der Einheit und Kraft uns erstanden ist. D.e Vater haben B ut
b l o s s e n um Deutschland von der Fremdherrschaft zu erlösen, sre befreUen dre
W t V n einer Last, die unüberwindlich schien. Aber glücklicher sn.d d.e Sohne
r re' en, die den Reichskrieg entschieden haben, durch deren Tapferk«t und
" • e r e das verlorene Reich deutscher Nation wieder hat aufgebaut werden können;
dieses höchste Gut, als ein Hort der Zukunft von den Führern uns zurückgegeben,
war die Frucht des Sieges ; auch diesen auf dem Felde der Ehre Gebhebenen haben
wir es zu danken, ihren Ruhm werden alle kommenden Zeiten verkundigen.
Am Fusse der Denktafel aber steht geschrieben, dass sie nicht blos den Entechlafenen
zum Gedächtniss gewidmet sei, sondern auch den Lebenden zur Mahnimg.
Denn eine Mahnung ist sie für uns und für Alle, die ihr künftig gegenüberstehen,
der grossen Zeit würdig zu leben , an die sie erinnern wird. Fern sei der Gedanke,
als ob jemals, wenn neue Kämpfe uns bedrohen, deutsche Männer dem damals ausziehenden
Heere an Tapferkeit und Hingebung nachstehen konnten. Aber nicht
blos äussere, auch innere Feinde sind zu bekämpfen. Das alte Reich guig an ihn n
zu Grunde, noch früher als durch Eingriffe vou aussen. Aus dem Kriege h rvoigewachsen
kann erst in friedlicher Entwicklung das neue Reich zu unvergänglicher
Lstaltung erstarken. Dort entscheidet die Leitung des Kriegsherrn hier das Gesammtbewusstsein
des Volkes; hier gilt es, den G l a u b a n die Lnfeh barkeit d
Meinungen zu verbannen, der den Zwiespalt hervorrief und den Niedergang des
Vaterlandes zur Folge hatte. Jedem von uns. dem einst Hochgestellten wie dem
in bescheidenen Grenzen Verharrenden, ist vom Schicksal em Standpunkt vergönnt,
auf dem er die ersten Tugenden deutscher Gesinnung, Pflichttreue und Gehorsam
dem Gesetz, bewähren soll. Auch jetzt wieder wühlen die dunkeln, die leidenschaf -
liehen Triebe, den stattlichen Bau zu untergraben, der so eben erst gegriüidet^ard.
Entweder von überkommenen Vorstellungen befangen, die am Baum der Erkeimtmss
keine Früchte tragen, oder dem Phantom gleicher Ansprüche an die Glücksguter
nachjagend, das durch die Natur der Dinge widerlegt wird, unternehmen die Geistei
der Verneinung, im engen Rahmen ihres Gedankenkreises, gegen Komg und Gesetz
sich aufzulehnen. Die Grösse des Reiches, welches den ihm gebührenden Rang m
der Mitte des Erdtheils nun wieder eingenommen hat, kann nur dann Bestand haben,
wenn Jeder an der ihm angewiesenen Stelle, im Frieden wie im Kriege dem Gesetze
sich beugt und Achtung zu verschaffen weiss. Nicht dann besteht das Wesen
wahrer Freiheit, die eigene Meinung als untrügliche Wahrheit zu verfechten sondern
die Aufgabe ist, nach dem Maassstabe des Gegebenen sich geistig zu lautern
und die gewonnenen Überzeugungen in den Schranken des Rechts zu vertreten, über
diese hinaus aber auch, unbekümmert um den Erfolg, in opferwiUiger Treue sich
selbst verleugnen zu lernen. Unsere Hochschulen sollen nicht blos die Pflanzstatten
der Wissenschaft, sondern auch der bürgerlichen Tugend sein. Von ihnen smd im
Laufe dieses Jahrhunderts die Ideen ausgegangen, die, lange zurückgedrängt, dann
aber von den Lenkern des Staates angeeignet, Leben und Wirklichkeit unter uns
gewonnen haben. Auch unsere Universität kann sich der Früchte rühmen, die aus
L n hier gepflegten Studien hervorgegangen sind. Göttingens historische Schulen
sind von Schimms Zeiten an Träger deutscher Gesinnung geblieben. Wie viele
Männer haben sich später hervorgethan, die hier den Keim zu ihrer Bildung gelegt,
ihre Kenntnisse erworben und ihren Character ausgeprägt haben. Eine andere Gedenktafel
an einem unscheinbaren Hause dieser Stadt wird künftig daran ermnern,
dass der Staatsmann, der die Stämme des deutschen Reichs geeinigt hat, dass Fürst
Bismarck in seiner Jugend die Eindrücke des unter uns waltenden Geistes empfing.