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64 DIE WIRKSAMKEIT HUIMBOLDT'S
tigkeit der Luft zur Zeit der Blüthe und gegen das Ende der Traubenreife
bestimmt werde. Die Grenzwerthe der Temperatur welche eine
Pflanze nicht überschreitet, genügen ebenfalls nicht, ihre geographische
Verbreitung zu erklären, bei welcher die Dauer ihrer Entwicklung von
so grosser Bedeutung ist. Auch hat Hitmboldt selbst bereits angedeutet
dass neben der Wärme selbst auch die Zeit ihrer Einwirkung
dabei in Betracht zu ziehen sei.
Da in den Tiefländern der tropischen Zone die Unterschiede der
mittleren Temperatur nicht so beträchtlich sind, um auf die Vegetationsgrenzen
einen bemerkenswerthen Einfluss zu äussern, so bezieht
sich die Methode der Untersuchung nach Isothermen hier vorzüglich
auf die Pflanzenregionen, welche von der senkrechten Abnahme der
Wärme abhängen. In den Ebenen aber war es die Vergleichung der
offenen und beschatteten Landschaften, der Savanen Venezuelas, der
Wüsten Afrikas und Perus mit den Urwäldern der Hyläa am Orinoco
und Amazonas, wodurch Htimboldt auf das lebhafteste angeregt wurde
und woran sich eine andere Richtung seiner reichen Individualität erprobte.
Zahlenwerthe verlieren um so mehr an Bedeutung, je mannigfaltiger
die Kräfte sind, durch deren Zusammenwirken eine physische
Erscheinung bedingt wird, wobei es vorderhand noch unmöglich ist,
das Verhältniss der verschiedenen Einflüsse abzuwägen. Hier besteht
die Aufgabe des Naturforschers darin, diese möghchst vollständig aufzufassen
und die Art der Einwirkung nachzuweisen. So darf man
hoffen, dass der allmähliche Fortschritt, auf sicherer Grundlage angebahnt,
zu einfacheren Vorstellungen und tieferen Einsichten in den
Haushalt der Natur dereinst führen werde. Die Vielseitigkeit Htmboldts.
durch welche er fähig war, jede Naturerscheinung von den verschiedensten
Gesichtspunkten aufzufassen, und, wie die Fäden eines
Gewebes sich kreuzen, ein verwickeltes Problem durch die geordnete
Darstellung der bestimmenden Kräfte anschaulich auseinanderzulegen,
war vor ihm von niemand erreicht worden, und sie erhöht den seinen
Schriften eigenen Reiz, unter dessen Einfluss der Sinn unseres Jahrhunderts
für die Betrachtung und Beherrschung der sichtbaren Welt
so allgemein sich entwickelt hat. Bei der Vergleichung der ähnHch
gestalteten Continente Afrikas und Südamerikas fügt er ein Gesammtbild
des neuen Erdtheils zusammen indem er neun verschiedene geographische
Momente unterscheidet, durch welche er die verminderte
Dürre und Wärme des Klimas und jene ,,Frondosität des Pflanzen-
1 Ansichten der Natur, 3. Aufl., II, 136.
3 Ansichten der Natur, I, 14.
2 Lignes isothermes, S. 96.
IM GEBIETE DER PFLANZENGEOGRAPHIE UND BOTANIK. 565
Wuchses" erklärt, die der eigenthümliche Character desselben sei. Die
meisten Verhältnisse, auf welche er die Aufmerksamkeit lenkte, waren,
als Humboldt sie zuerst besprach, ebenso neu als einleuchtend: man
erinnert sich jetzt, wo seine Ansichten jedem Naturforscher geläufig
sind, kaum noch der Quelle, aus welcher sie abstammen. Es ist leicht
einzusehen, dass die Vegetation einer mit Gräsern bewachsenen Fläche 1,
und in noch höherem Grade das dürftige Pflanzenleben der Wüste von
den grossen Temperaturschwankungen beeinflusst wird, welche die
Folgen der verstärkten Insolation und Ausstrahlung eines schattenlosen
Bodens sind, aber es dürfen zugleich weder die Luftströmungen, welche
die Wolkenbildung verhindern, noch die Feuchtigkeit und Mischung
der Erdkrume bei der Frage über ihren Ursprung vernachlässigt werden.
In Bezug auf die klimatische Stellung der Wälder hat man Einwürfe
gegen Humboldts Ansichten zu machen versucht, obgleich er
gerade hier auch die physiologische Rückwirkung des Baumlebens auf
die Wärme sorgfaltig in Betracht zog. Im Kloster von Caripe^, welches
an der Küste von Venezuela 2400' über dem Meere bei Cumana liegt,
fand er die senkrechte Abnahme der Temperatur ungewöhnlich gesteigert
und betrachtete dies, abgesehen von anderen örthchen Einflüssen,
als Beweis von der erkältenden Wirkung einer dichten Waldvegetation,
auf deren feuchten, beschatteten Boden die Sonnenstrahlen
nicht eindringen und deren Kühle durch die Ausstrahlung der Blätter
und ihre Verdunstung erhöht wird.^
Die Temperaturmessungen in den Anden boten den Schlüssel zum
Verständniss der Pflanzenregionen, welche hier auf einem engen Räume
die Vegetation aller Zonen vom Äquator bis zu den Polarländern vor
Augen führen. Die übereinstimmende Physiognomie der Landschaft
bei gleicher mittlerer Luftwärme, die abnehmende Grösse der Stammorgane,
wodurch die Gebirgshöhen mit entfernten, dem Pole näher
Hegenden Tiefebenen verknüpft werden, ist ein allgemeines Gesetz,
welches Hitmboldt zuerst aussprach^ und worauf er seine geographischen
Vergleichungen begründete. Um die Fülle so verschiedenartiger
Pflanzenformen zu entwickeln, bemerkt er^^ bleibt der Natur auf dem
Abhänge der Gebirge unserer Breiten kaum die Hälfte des Raumes,
welchen ihr die Tropen darbieten, wo auf den Cordilleren die Vegetation
erst in der Höhe des Montblanc aufhört. Dies ist das Niveau der
SchneeHnie nahe am Äquator, „eine der bestimmtesten und unabänder-
1 Centralasien, II, 128. 2 Rektion historique, I, 411. 3 Ansichten der
Natur, I, 158. 4 Relation historique, I, 600. 5 Naturgemälde der Tropenländer,
S. 36, 159.
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