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gröbere Sand in den beweglichen Dünen der Wüste zurückbleibt und
die feingepulverten Bestandtheile des verwitterten Gesteins über die
Lösslandschaften ausgestreut werden, deren Fruchtbarkeit durch ihren
Gehalt an mineralischen Nährstoffen bedingt ist. Hier bedarf der chinesische
Ackerbau keines Düngers, wie derselbe jenseits des Hoangho
so sorgsam aufgespart wird. Seit dem höchsten Alterthum stand jenes
ergiebige Land zwischen der Wüste und dem gelben Flusse, der ursprüngliche
Sitz der chinesischen Cultur, unter dem Schutze der Gobi
und der Monsunwinde, und in den noch weit längeren, unserer Vorstellung
unerreichbaren Zeiträumen , die der historischen Überlieferung
vorausgingen, konnten sich hier aus gleichen Ursachen die Lössgebilde
zu einer Mächtigkeit auftürmen, wie sie in den übrigen Erdtheilen
nicht ihres Gleichen hat. Aber die verhältnissmässig geringfügigen
atmosphärischen Ablagerungen derselben Art am Rhein und in anderen
Theilen Europas konnten erst in China nach ihrer Entstehungsweise
richtig gedeutet werden. Denn hier hat, entsprechend der Dauer ihrer
Bildungsperiode und des noch heutigen Fortbestehens derselben, das
fliessende Wasser so tiefe Furchen in die Lössebene eingegraben und
fährt fort sie nach rückwärts zu erweitern, dass vermöge der senkrechten
Zerklüftung des Bodens die Profilansichten des inneren Baues bis
zu grosser Tiefe überall aufgeschlossen sind. Wenn man die hierauf
sich beziehenden Holzschnitte, die Hohlwege betrachtet (S. 96), die
von drohenden Wänden schauerhch umschlossen sind, oder die Bastionen
(S. 72) , worin die Einwohner ihre Wohnungen ausgehöhlt haben,
so wird man gestehen, dass kein zweites Land bekannt ist, wo eine
ebene Fläche in so eigenthümhcher Weise von unüberschreitbaren
überallhin verzweigten Schluchten durchsetzt wird (S. 68). Nirgends
ist eine Ortsbewegung in bestimmten Richtungen möglich, weil jeder
Zufluss, auch des kleinsten Baches, senkrechte Wände erzeugt hat,
nicht, wie in den Canons von Nordamerika, nur die grossen Stromläufe.
Diese Beobachtungen gewinnen dadurch in unerwartet grossem
Umfange an Tragweite, dass der Boden in den weiten Mulden der Gobi
und in Centraiasien selbst, so wie in den Steppenlandschaften anderer
Erdtheile aus demselben Löss gebildet wird und daher auf dieselbe
Weise entstanden ist, wie im nördhchen China. Wenn auch in trockenen
Klimaten die Erosionen durch das fliessende Wasser nicht stattfinden
können und daher die Tiefen der Erdrinde nicht aufgeschlossen
sind, so fand der Reisende doch, als er die Gobi erreichte, Gelegenheit,
die gleichartige Bildungsweise zu beiden Seiten der Randgebirge
festzustellen. Somit wurden die chinesischen Lösslandschaften ihm
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der Schlüssel zu einer veränderten Auffassung von der Entwicklungsgeschichte
der ganzen Aussenfiäche des Planeten und dadurch ist den
geologischen Forschungen ein Gebiet eröffnet worden, welches , vielseitig
bearbeitet, reiche Früchte verspricht. Nun sind es nicht mehr
allein Vulkanismus und Neptunismus, wodurch das Festland sich aufgebaut
hat und der Meeresboden sich erhöht, sondern mit den atmosphärischen
Bewegungen ist eine dritte Klasse von Kräften gegeben in
beständiger Wirksamkeit, um die Höhen und Tiefen auszugleichen
und, den Bedürfnissen des organischen Lebens entsprechend, die Aussenfiäche
der Erde zu erneuern und umzugestalten.
Seit vielen Jahren war es mir klar geworden und ich habe es auch
ausgesprochen (Vegetation der Erde, I, 269), dass eine unbegrenzt gesicherte
Dauer der Vegetation ohne Erneuerung der Erdkrume, aus
welcher die Pflanzen ihre mineralischen Nährstoffe schöpfen, nicht denkbar
sei, weil sie verbraucht oder fortgeführt werden und zuletzt nur
unlöshche Verbindungen übrig bleiben, die der Organismus zurückweist.
Die Erneuerung aus dem Innern der Erde wird durch die Quellen
und das fliessende Wasser gewährleistet und damit die Erhaltung
der Fruchtbarkeit des Bodens wenigstens in dem Überschwemmungsbereich
der Flüsse durch Alluvionen erreicht. Aber wenn wir sehen,
dass in den weiten Zwischenräumen, die vom fliessenden Wasser nicht
berührt werden , die gleiche Fruchtbarkeit im Naturzustande der Wälder
und anderer Vegetationsforniationen fortbesteht, so konnte hier
die Erneuerung der Nährstofi'e nur dem atmosphärischen Staube beigemessen
werden, den der Regen stetig der Luft entzieht oder die
Schwerkraft sinken lässt. Dieser mochte , aus den noch unzersetzten
Gesteinen der Berge herabgetrieben, ungeachtet der Geringfügigkeit
der Masse dem Bedürfniss genügen, aber, um die Wirklichkeit und
Stetigkeit der Vorgänge nachzuweisen, boten sich nur die von solchen
Stoffen und nicht, wie man früher meinte, von dem Schutt zerstörter
Gebäude überdeckten Ruinen des Alterthums, wie die Profilansichten
des Erdreichs z. B. auf dem frei gelegten F o r u m romanum klar erkennen
lassen. Zwar hat man grabenden Thieren einen grossen Antheil
an der Erneuerung der Erdlmime zugeschrieben, aber der Spielraum
ihrer Thätigkeit, Nährstoffe für die Pflanzen an die Oberfläche
zu fördern, reicht nicht weiter in die Tiefe als die Wurzeln selbst eindringen.
Erst durch die Lössbildungen in China, wo die durch atmosphärische
Kräfte bewegten Stoffe eine fünfzig- oder hundertfach mächtigere
Decke gebildet haben als in Italien und dadurch eine Vorstellung
von den Zeiträumen geben, die zu ihrer Ansammlung erforderlich
waren j und durch die Ausdehnung gleichartiger Formationen über
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