
I
^ m
>
246 DIE GEOGRAPIIISCIIE VERBREITUNG
Die erste Reihe wird durch diejenigen Pflanzen gebildet, deren
Verbreitung von Westindien bis zur Äquatorialzone Amerikas nachgewiesen
ist. Mehr als die Hälfte derselben reicht nordwärts bis Cuba
und bewohnt den ganzen Raum der nördlichen Tropenzone längs der
östlichen Küsten des Continents , ohne in der Regel die Anden zu überschreiten.
Es entsteht die Frage, weshalb sie, in solchem Grade wanderungsfähig,
auf das diesseitige Gebiet des Äquators in Brasihen
beschränkt sind. Für die Sicherheit der Thatsache spricht, dass in
einigen Fällen, wie bei den Malpighiaceen, alle vorhandenen brasilianischen
Sammlungen dieses negative Ergebniss geliefert haben, überall
aber wenigstens Pflanzen verglichen worden sind, die eine so
reiche Übersicht der Flora jenseits des Äquators gewähren. Mögen
daher einzelne Arten künftig als der vorigen Reihe angehörig sich erweisen,
für die meisten muss es eine physische Ursache geben, welche
sie hindert, in die südliche Tropenzone einzudringen. Von klimatischen
Linien solcher Art, wie wir sie in der nördlichen gemässigten Zone
finden, wo sie, ganze Continente gliedernd, die Vegetation bald in östliche
und westliche, bald in südliche und nördliche Gebiete scheiden,
kann im tropischen Amerika überhaupt nicht die Rede sein : denn hier,
wo die Idimatischen Vegetationsgrenzen in der Ebene auf den Regenzeiten
beruhen und Mangel an Wärme kein Hinderniss der Verbreitung
ist, sind die Areale von übereinstimmendem Charakter der Feuchtigkeit
unregelmässig über beide Zonen vertheilt, wie schon aus der Anordnung
der Urwälder und Savanen, dem Ausdruck ihrer höchsten Gegensätze,
hervorgeht. In den östlichen Landschaften Südamerikas, in Venezuela
und Guiana, ebenso wie jenseits des Äquators in dem grössten Theile
Brasiliens folgen die Urwälder den Küsten und Flusslinien, während
der innere Raum der Wasserscheiden durch weite Savanen bezeichnet
ist. Li Westindien sind die klimatischen Verhältnisse mannigfaltiger,
und, obgleich die Inseln sämmtlich in der Passatzone liegen, wechseln
nach dem Niveau, nach der Richtung und Gestaltung ihrer Gebirge,
Dauer, Continuität und Intensität der Niederschläge in hohem Grade.
Die Solstitialregenzeit vermindert sich auf den grossen Antillen in Folge
der höheren Breite und kommt auf den östUchen Karaiben wegen ihrer
Kleinheit und Gebirgslosigkeit nicht zu voller Entwickelung. Auf ihren
westlichen, vulkanischen Nachbaren und an der gebirgigen Nordküste
von Trinidad verlängert sich hingegen die Dauer der nassen Jahreszeit.
Unabhängig vom Stande der Sonne entladet der Passatwind, wo er an
den quervorliegenden Höhenzügen von Cuba, Haiti und Jamaika aufwärts
weht, auch in anderen Jahreszeiten reichliche Niederschläge, die
an der trockeneren Südküste der letztgenannten Insel oder, wie man
sich ausgedrückt hat, im Windschatten ihrer Hochgebirge fehlen».
Westindien besitzt daher, wenn es gleich nirgends die volle Waldenergie
äquatorialer Regenzeiten entfaltet, hievon abgesehen die ganze Fülle
klimatischer Gliederungen auf einem engen Räume vereinigt. Bleiben
wir bei der dem Continent am nächsten liegenden Insel, bei Trinidad,
stehen, so leben sowohl die Bäume an der Küste, als die Savanenpflanzen
des Inneren unter gleichen klimatischen Bedingungen, wie die Vegetation
von Venezuela und Guiana, die denn auch in der That die
wanderungsfähigen Arten jener Formationen vollständig in sich aufnimmt.
Weshalb aber finden so viele derselben sich nicht in den Savanen
und Uferwäldern jenseits des Amazonenstroms wieder, wo die
äusseren Lebensbedingungen dieselben sind, wie in Guiana, und der
geographische Abstand nicht grösser ist, als von Trinidad bis Cayenne?
Diese Frage weist auf ein mechanisches Hinderniss, und dieses erkennen
wir in dem breiten Urwaldsgürtel, der die Äquatoriallandschaften Brasiliens
erfüllt und den Stromlauf des Amazonas in ganz anderm Umfange
als seine Nebenflüsse umspannt. Dieser Urwald enthält eine grosse
Anzahl endemischer Bestandtheile, welche, durch Niederschläge in
allen Monaten des Jahrs und durch die Überschwemmungen des Stroms
befeuchtet, eine vegetative Kraft besitzen, die nirgends in Amerika
ihres Gleichen hat, und deren weithin zusammenhängendes Dickicht
den meisten Gewächsen der seitlich anliegenden Gebiete undurchdringlich
und unüberschreitbar gegenübersteht.
Untersucht man, in welcher Richtung die durch die nördliche Tropenzone
Amerikas verbreiteten Gewächse gewandert sind, so lässt sich
in vielen Fällen nachweisen, dass der Ausgangspunkt auf dem südlichen
Continent und nicht auf den Antillen lag; oft ist der Typus der Flora
von Guiana in ihnen ausgeprägt. Es fehlen dagegen die artenreichsten
Gattungen Westindiens entweder ganz (z. B. Phyllanthus, Pilea, Clidemia,
Rondeletia), oder sind, wenn Südamerika ebenfalls eine grössere
Reihe von Formen besitzt, durch einzelne, gemeinsame Arten vertreten
(z. B. Croton, Eugenia, Passiflora, Psychotria, Eupatorium, Ipomoea)..
Ueberhaupt sind die für die Flora Westindiens charakteristischen Gattungen
auch fast immer in Bezug auf sämmtHche, daselbst vorkommenden
Arten endemisch (z.B.Calyptranthes, Mouriria, Calycogonium,
Exostemma, Stenostomum, Critonia, Salmea, Leianthus, Brunfelsia,
Conradia, Pentarhaphia, Thrinax, Rajania) : fast die einzige bcrnerkenswerthe
Ausnahme würde die Gattung Malpighia sein. wenn nicht feststände,
dass die in Guiana vorkommenden Arten wegen ihrer essbaren
1 Journ. ofbotany. z. p. 276.
>•>•' 'iiii
i t
i i
m
Vi
1t
1
' 1
fii
i ;