
! i',
l i i f
u-i.' .:
502 BERICHTE ÜBER DIE FORTSCHRITTE
Ursache der Glctscherausbreitung in der Glacialzeit. Denn als die
Alpengletscher zum Jura und zur Donau reichten, waren die Wanderungen
der Pflanzen von den Höhen zu den Unisäumungen des Eises
in einem weit grösseren Maasse erleichtert als in der Gegenwart. Wenn
die^ norwegiscjaen Gletscher sich bis zur Ostsee ausdehnten, konnten
alpine Gewächse auch nach Schonen und Seeland gelangen, wo sie sich
in der Folge nicht erhalten haben, seitdem die Erneuerung solcher
lkwegungen aufliörte. Die weite Ausbreitung der Gletscher in der
Glacialperiode aber kann auf sehr verschiedene Weise erklärt werden,
ohne dass man zu der Annahme einer allgemeinen Erkaltung des Planeten
in diesen Breiten genöthigt ist, aus der damaligen höheren Erhebung
und Masse der Gebirge, die seitdem durch die vereinten Wirkungen
der Verwitterung, des Wassers, des Windes und der Schwere
abgetragen sind, oder durch eine dichtere Wolkenhülle, als das 1-estland
geringeren Umfang hatte und die atmosphärischen Niederschläge
reichhcher den Gebirgsschnee speisten. ^
Ein grösseres, vielleicht ein entscheidendes Gewicht ist den Lagerungsverhältnissen
der arktischen Pflanzen in den Torfmooren Schonens
beizumessen. Denn als sie die Vegetation dieser Halbinsel bildeten,
waren daselbst keine Wälder vorhanden. Wäre dies der Fall gewesen,'
so würde man unter ihren in reichlicher Menge gefundenen Überresten
- auch Baumblätter oder Stammstücke nicht vermissen, die erst über
ihnen abgelagert sind und beweisen, dass, erst nachdem sie verschwunden
waren, Laub- und Nadelhölzer in derjenigen Reihenfolge aufgetreten
sind , die aus den Waldmooren Dänemarks durch Stecnstnip \\xerst
bekannt wurde. Nachdem dieses Verhältniss, wie man nach den
Mittheihmgen Nathorsts nicht zweifeln kann, thatsächlich ermittelt ist,
möchte der Erhaltung arktischer Pflanzen in den Mooren Mitteleuropas
sogar eine grössere Tragweite als der Ausbreitung der Gletscher zukommen
, um daraus auf einen klimatischen Wechsel seit der Glacialperiode
und zwar bestimmter auf eine Erhöhung der Temperatur zu •
schliessen, die nicht allein als eine Folge des Zurücktretens der Gletscher
betrachtet werden kann. Die früheren Beobachtungen über die
nordischen Säugethiere, die in vorhistorischer Zeit und zum Theil noch
später das mitdere Europa bewohnten, konnten von der Einschränkung
der Wälder durch den Ackerbau abgeleitet werden. Den Hypothesen
gegenüber, welche in der Verbreitung der arktischen und alpinen Gewächse
Zeugnisse für eine eingetretene Veränderung in den klimatischen
Bedingungen des Pflanzenlebens erblicken wollten, hatte ich
bislier an solchen Erklärungen festgehalten. Aber die neuen Thatsachen
nöthigen zu einer anderen Würdigung vergangener klimatischer
IN DER GEOGRAPHIE DER PFLANZEN.
Zustände, zu einer Anerkennung vielfach ausgesprochener Annahmen,
die bis dahin unerwiesen waren. Denn die Bedingungen des Baumlebens,
die längere Vegetationsperiode, die zum Wachsthum von Holzstämmen
erforderlich ist, sind von denen der waldlosen Regionen zu
verschieden, als dass sie auf andere Weise erfüllt werden könnten wie
durch eine wärmere Jahreskurve des Klimas. In einer feuchteren Luft
können Gletscher weithin vorrücken, aber Bäume würden in ihr gedeihen,
wenn nur die Temperatur ihnen die Zeit gönnt, ihre jährhch
wiederkehrende Entwicklung zu vollenden. Wenn also Mitteleuropa
baumlos war, als die arktischen Gewächse in den Torfmooren abgelagert
wurden, so musste ein kälteres Klima herrschen als in der Gegenwart,
und diese Kälte konnte, da sie nicht von der Beschattung des
Bodens durch Wälder herrührte, nur eine Folge allgemeiner geologischer
oder kosmischer Bedingungen sein. Hierbei bleibt es fraglich,
ob die Erwärmung des westhchen Europas durch den Golfstrom, der
vor der Entstehung des Kanals von unseren Küsten abgelenkt wurde,
und die Befreiung vom Polareise des weissen Meeres, seitdem dieses
nicht mehr mit der Ostsee in Verbindung steht, genügende Momente
sind, den Wechsel des Klimas herbeizuführen, oder ob hierbei doch
nach Croll's Vorstellung an einen Einfluss der Präcession der Nachtgleichen
zu denken ist, wogegen der oben berührte Einwand spricht,
dass nach Hecr's Untersuchungen die Glacialperioden in der Geschichte
der Erde nicht periodisch aufgetreten sind, sondern nur dieses eine
Mal, am Schluss der Tertiärzeit ihre Spuren hinterlassen haben.
Von Neuem haben sich die Botaniker Norwegens um die Bearbeitung
der Pflanzengeographie ihres Landes vielfach verdient gemacht.
Schübelcr\\^i dem im vorigen Bericht (S. 448) besprochenen Werke
einen reichhaltigen speciellen Theil folgen lassen, worin alle sicher bestimmten
Polargrenzen der einheimischen und kultivirten Pflanzen verzeichnet,
zehnjährige Beobachtungen über Blüthezeiten unter dem
61. Breitengrade mitgetheilt und über alle diejenigen Gewächse ausführliche
Nachrichten gegeben sind, die irgend eine ökonomische, praktische
oder historische Bedeutung haben (Die Pflanzenwelt Norwegens.
Specieller Theil S. 89—468. 4. Christiania, 1875). Fast gleichzeitig
erschien eine Fortsetzung von der systematischen Bearbeitung der norwegischen
Flora, welche Blytt begonnen hatte, und die dessen Sohn,
A. Blytt^ nun zum Abschluss bringen will (Norges Flora. Th. 2. das.
1874: mit dem dritten Bande wird dieses, auf reiche Materialien gegründete
Werk beendet sein). Von allgemeinerem Interesse ist eine
andere Schrift des jüngeren Blytt^ welche den Ursprung und die Wanderungen
der Pflanzen Norwegens behandelt und dabei neue Gesichts-
M
ff
W
m