
s68 DIE WIRKSAMKEIT HUMBOLDT'S
sind mit Gentianen und anderen nordischen Gattungen alpine Arten
tropischer Verwandtschaft verbunden (z. B. Sida pichinchensis, Lobelia
nana), eine Synantheree mit dickwolligen Blättern, die Frailexonstaude
. (Espeletia grandiflora), tritt in geselliger Fülle auf, aber bis zu grossen
Höhen steigen auch Sträucher derselben Famihe (Baccharis).
Region der alpinen Gräser, 4100 —4600 m (i 2,600 — 14,200';!.
Nach dem Vorkommen des gelblich gefärbten Stiparasens entsprechen
sie der Punaregion des wüsten Hochlandes von Bolivien. Oft ist in
diesen Höhen der Boden wochenlang von Schnee bedeckt und die
Lamaheerden, welche sie bewohnen, werden dann vom Hunger getrieben,
in die Region der Alpenkräuter hinabzusteigen. Von der oberen
Grenze der alpinen Gräser bis zur Linie des ewigen Schnees fand Humboldt
wwt^x dem Äquator kein phanerogamisches Gewächs mehr: nur
sparsam belebten Steinlichenen das nackte Gestein, von denen zwei
Arten (Umbilicaria pustulata und Lecidea geographica) als die letzten
organischen Wesen am Chimborasso auf einer aus dem Schnee vorspringenden
Klippe in der Höhe von 5554m (16,480') bemerkt wurden.
Ähnliche Untersuchungen über die Anordnung der Vegetation
nach ihren Niveaugrenzen hat Humboldt auch auf den Anden Mexicos ^
und am Pik von Teneriffa 2 angestellt, und hierdurch die früher dargelegten
Ansichten erweitert, welche, so lange sie auf ein äquatoriales Klima beschränkt
blieben, über das Verhältniss niederer zu höheren Breiten kein
hinreichendes Licht verbreiten konnten. Hier können sich in der alpinen
Region nur die Gattungen entfernter Zonen wiederholen, die
Arten sind durchgehends verschieden.^^ Zwischen den weiten Hochebenen
Mexicos und den Prairien Nordamerikas hat dagegen ein Austausch
derselben Gewächse stattgefunden, weil der Wechsel des Klimas
mit der Declination der Sonne allmählich erst hervortritt, zum Theil freilich
auch desw^egen, weil die Steppenpflanzen von der jähriichen
VVärmevertheilung unabhängiger sind als von der vorübergehenden
Befeuchtung des Erdbodens.
Zum Schluss dieser Übersicht der auf den Zusammenhang zwischen
Klima und Vegetation sich beziehenden Arbeiten mag noch eine
Beobachtung4 erwähnt werden, deren Tragweite über die Grenzen
einer mechanischen Auffassung des Pflanzenlebens hinausreicht. In
Venezuela sah Humboldt an gewissen Bäumen, welche in der trockenen
Jahreszeit ihr Laub abwerfen, die Erneuerung der Blätter schon einen
1 Prolegomena de clistributione plantarum, S. 90, und Essai politique sur la Nouvelle
Espagne. Deutsche Ausg., II, 54. 2 Relation historique, I, 183. Prolegomena,
S- 248. 3 Relation historique, I, 601. 4 Ebend., Il, 45.
IM GEBIETE DER PFLANZENGEOGRAPHIE UND BOTANIK.
Monat dem Eintritt der Regenperiode vorausgehen, als entspreche die
Entwickelung nicht blos gegenwärtigen, sondern auch zukünftigen Bedingungen,
unter denen die Functionen des Organs eigentlich erst beginnen
können. Die Ursache eines solchen Wachsthums entzieht sich
unserer Forschung, da doch die Belaubung einen verstärkten Saftzufluss
voraussetzt, dessen Quelle in der trockenen Jahreszeit verborgen bleibt.
Denn die Erklärung, welche Humboldt versuchte, dass nämhch zu
dieser Zeit schon der Dampfgehalt der Luft erhöht sei, ist nicht zutreffend,
weil die Wassercirculation der Pflanzen des Zuströmens tropfbarer
Feuchtigkeit aus dem Erdboden bedarf. Es hegen hier unstreitig jene
dem Instinct der Thiere vergleichbaren Äusserungen des vegetativen
Lebens zu Grunde, von denen Humboldt bei diesem Anlass selbst ein
weiteres Beispiel anführt. Nach seiner Angabe sollen Gewächse, die
aus einer Hemisphäre in die andere verpflanzt worden sind, lange Zeit
hindurch die Ordnung ihrer Vegetationsphasen dem Klima ihrer Heimat
gemäss beibehalten.
Um den Charakter der Florengebiete vergleichend darzustellen,
legte Humboldts ein Hauptgewicht auf diejenigen Erscheinungen der
Vegetation, durch welche die Physiognomie der Landschaft bestimmt
wird. Eine solche physiognomische Klassifikation der Pflanzen nach
der Entwickelungsweise ihrer Vegetationsorgane begründet zu haben,
ist eine seiner wichtigsten Leistungen auf diesem Gebiete, die jedoch
bis jetzt weder nach ihrer Bedeutung hinreichend gewürdigt, noch in
seinem Sinne erheblich weitergeführt worden ist. Ihm verdanken wir
die erste Darstellung sowohl der Vegetationsformen, die er mit einem
vielleicht etwas zu allgemeinen Ausdrucke als Pflanzenformen bezeichnete,
als auch die Anordnung, nach der sie gruppirt sind, oder, wie
man jetzt sagt, die Formationen der Landschaft bilden. Die Bedeutung
dieser Untersuchungen beruht darauf, dass in der Physiognomie der
Natur der Zusammenhang zwischen der Bildung der Vegetationsorgane
und ihren physischen Bedingungen sich weit bestimmter erkennen lässt.
als in denjenigen Seiten der Organisation, welche der systematischen
Botanik zu Grunde hegen.
Anfangs unterschied Humboldt siebzehn , später neunzehn ^
Grundgestalten der Vegetation, auf welche man w^ahrscheinlich alle
übrigen zurückführen könne. Die ältesten Versuche, das Pflanzenreich
einzutheilen, welche der Systematik Tourncforf s und Linne s vorausgingen,
kommen hier wieder zur Geltung, indem auf die Vergleichung
1 Ansichten der Natur, 11^ 242. 2 Ideen, S. 25.
Natur (Physignomik der Gewächse), II, i—248.
3 Ansichten der
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