
m
IBI
i
!
-ai
- üS
490 BERICHTE ÜBER DIE FORTSCHRITTE
Natur durch Erblichkeit ihrer Eigenthümlichkeiten unverändert fortbestehen
können, während die Bedingungen, unter denen sie entstanden,
fast vüUig unbekannt sind. Aber dass sie unter unseren Augen
täglich entstehen, der Ursprung von Arten hingegen nur in den seltensten
Fällen nachgewiesen werden kann, darüber belehren am Besten
die Erfahrungen in grossen Handelsgärten, deren Aufgabe es ist, neue
und werthvolle Varietäten zu erzielen. In einem solchen Garten fragte
ich einst den Besitzer, wie er die endlosen Reihen von Levkojen, die
in abgesonderten Töpfen aus demselben Samen gezogen waren, in seinem
Handel abzusetzen im Stande sei. Er erwiederte, kein Individuum
sei dem anderen völlig gleich, und wenn er unter Hunderten nur eine
neue und ausgezeichnete Varietät fände, so sei die Mühe reichlich gelohnt,
alle übrigen würden beseitigt. Darin liegt eben der Unterschied
zwischen vegetativer Fortpflanzung und der Reproduction durch Befruchtung
verschiedener und daher nicht völlig gleicher Individuen
unter einander, dass im letzteren Falle neue Eigenschaften entstehen
können, die vorher in der Natur nie vorhanden waren, und die sich
nun durch Vererbung erhalten lassen. Welchen Werth aber die Natur
diesen Spielen der bildenden Kräfte gegenüber auf die Erhaltung des
Typus der Arten legt, wie sie diesen durch Kreuzung der in verschiedenen
Richtungen abweichenden Formen immer wieder herstellt und
dadurch die Begriffe von Art und Varietät auseinanderhält, darüber
belehrt die Erfahrung, dass es nur durch Zuchtwahl, durch Trennung
der wcrthvollen Levkoje von den übrigen, möglich ist, Abweichungen
vom Typus dauernd zu erhalten. Dasselbe kann auch in der freien
Natur durch Separation herbeigeführt werden, aber, so schwierig das
Ziel in manchen Fällen zu erreichen ist, so bleibt es doch die wissenschaftliche
Aufgabe des Systematikers, durch unausgesetzte Beobachtung
der natürlichen Formenkreise zu untersuchen, was dem Typus
angehört, dem die Organisation entgegenstrebt, und wo sie durch
Kreuzungen, durch Variationen und Missbildungen sich freier bewegen
darf. Nichts spricht vielleicht mehr gegen die allgemeine Bedeutung
der Descendenzhypothese als die Einrichtungen, welche in der Natur
bestehen, die Abweichungen von einer bestimmten typischen Form
auszugleichen, welche eine Folge der individuellen Herkunft und Entwicklungsgeschichte
sind. Denn die Thatsache, dass neben der zur
Erhaltung der Arten im Pflanzenreiche genügend ausreichenden vegetativen
Fortpflanzung bis zu den einfachsten Organisationen hinab eine
Befruchtung, also die Vermischung von Zellensäften zweier verschiedener
Individuen stattfindet, zeigt, welcher Werth darauf gelegt ist,
dass jede Abweichung vom Typus durch Mittelformen verringert werden
IN DER GEOGRAPHIE DER PFLANZEN. 491
soll. Dieses Verhältniss wird eine Theorie der Befruchtung nicht umhin
können anzuerkennen.
Caspary hat durch genaue Untersuchungen über den Ursprung der
sogenannten Schlangenfichte (Pinus Abies virgata) und der Pyramideneiche
(Quercus pedunculata fastigiata) dargethan, dass die so auffallende
Eigenthümlichkeit im Wuchs dieser Bäume spontan, aber vereinzelt
unter der Stammart entsteht und fortgesetzt sich von Neuem
bildet, ohne dass die Ursache der Erscheinung zu erkennen ist (Schriften
der Physikahsch-Ökonomischen Gesellschaft zu Königsberg, 14,
S- 115—136). Durch bestimmte Beobachtungen wird ferner in dieser
Abhandlung nachgewiesen, dass die Pyramideneiche am sichersten auf
vegetativem Wege fortgepflanzt wird, dass aber auch ein grosser Theil
der aus Samen gezogenen Bäume „der Mutterpflanze ziemlich treu
bleibt" (S. 134), indessen doch eine Tendenz besteht zurückzuschlagen,
wobei vielleicht Kreuzungen mitwirken.
Am weitesten entfernt sich v. Ettingshansen von Nägelis Vorstellung
über die Entstehung der Arten , indem er statt einer Vervielfältigung
derselben durch neue Bildungen vielmehr von dem Untergange
früherer Bestände die heutige Vegetation ableitet und die ungleichen
Elemente der Florengebiete mit ihrem verschiedenen geologischen
Alter in Beziehung setzen will (Sitzungsberichte der Wiener Akademie.
Mathem.-naturwissensch. Klasse, Bd. 69, 70, 71). Die grössere Mischung
der Formen in der Tertiärperiode ist ihm ein Beweis, dass damals
die Vegetation auf der ganzen Erde gleichartiger war, und dass
mit zunehmender Absonderung der Klimate sich nur diejenigen Elemente
erhalten haben, die den örtlichen Bedingungen^ entsprechend
sind. Damals also denkt er sich die Floren z. B. von Australien und
Europa, in ihren mannigfaltigen Vegetationsformen übereinstimmend,
aber in Europa sind die australischen , in Australien die europäischen
Typen grösstentheils zu Grunde gegangen. Es wäre nur zu wünschen,
dass die Identität von tertiären Blattabdrücken mit australischen oder
südafrikanischen Formen ebenso sicher nachgewiesen werden könnte,
als dies bei den Eichen und anderen Laubhölzern möglich ist. Der
ganzen Auffassung liegt zu Grunde, dass die natürlichen Floren durch
ihre charakteristischen Pflanzenformen streng von einander abgesonderte
Complexe darstellen sollen, ein Gedanke, der sich nicht ohne
Willkür durchführen lässt, weil die Gattungen mit einer Mehrzahl von
geographisch getrennten Vegetationscentren nach Belieben der einen
oder anderen Flora zugezählt werden können. Dies zeigt sich bei
iA Ettingshausais Versuchen, auf die Floren Australiens und des Caplandes
seine Hypothese praktisch anzuwenden , deren Bestandtheile er
i f iM ^
ililfe'::
I l)f ü|!