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598 ÜBER VON RICHTHOFEN'S CHINA.
Die zweite und grössere Abtheilimg des vorliegenden Bandes behandelt
die Entwicklung der Kenntniss von China, von den ältesten
Überlieferungen der chinesischen Litteratur bis zu den neuesten Berichten
europäischer Reisenden. Ich hoffe, dass auch diese bedeutende
Arbeit in den Anzeigen von kundiger Feder beleuchtet und ihr Werth
gewürdigt werden wird. Nun aber kann ich die meinen eigenen Studien
entsprechenden Mittheilungen über die grosse ideenreiche Leistung
V, Richthofciis nicht abschliessen, ohne noch besonders seiner
eigenthümUchen geographischen Richtung zu gedenken, die er so
glücklich mit seinen geologischen Forschungen verbunden hat.
Der Verfasser gehört zu den wenigen geographischen Schriftstellern,
die den Ideenkreis Ritter's von dem Verhältniss der Plastik
des Erdbodens zur Geschichte und Eigenart der Völker sich vollständig
angeeignet haben und ihn mit gleicher Sachkunde, auch in derselben
Classicität der Darstellungsweise anzuwenden verstehen, wie
ihr grosser Vorgänger. Aber auch hier fügt er dieser Methode aus dem
eigenen Bildungsgange ein neues Glied ein, welches fruchtbar zu werden
verspricht. Ritter ging von der Gliederung der Continente nach
ihrem Küstenumriss und ihren Hebungen als einer gegebenen Grösse
aus von welcher die Schicksale der Völker bedingt werden: v. Richthofen
lenkt den Blick zugleich auf ihre Veränderlichkeit und bringt dadurch
die Geologie in unmittelbaren Zusammenhang mit Geographie
und Geschichte. Hierin besteht die Eigenthümlichkeit und zugleich
das Fesselnde seines Vortrages, wie man sofort aus der früher berührten
Ansicht entnehmen kann, dass die chinesische Cultur erst dann
ihren Ausgangspunkt gewinnen konnte, als die Lösslandschaften mit
dem gelben Flusse und dem Meere in Verbindung traten, so dass der
Einwanderung statt öder Steppe ein fruchtbarer Boden für den Ackerbau
von der Natur geboten wurde. Hier sind auch die ansprechenden
Schilderungen zu erwähnen, wie ebenda, wo einst das Kreidemeer des
Tarymbeckens seinen Abfluss fand, die beiden Ausgangspforten der
Gobimulden in entgegengesetzter Richtung in das Tiefland führen,
durch welche die Steppenvölker von Zeit zu Zeit bald nach dem Westen,
bald nach China in die peripherischen Kulturländer auf ihren Eroberungszügen
eingebrochen sind. Hierbei hat es immer seine Schwierigkeit,
zu verstehen, was doch historische Wahrheit ist, dass eine so
spärlich zerstreute Bevölkerung, wie sie die Steppe zu ernähren vermag
, so viel Schrecken und Unterwerfung und so weithin verbreiten
konnte. Roscher hat in einer trefflichen Darstellung dieses Problem zu
lösen gewusst und namentHch darauf hingewiesen, dass die mongolischen
Nomaden Reitervölker waren und die unberittenen Ackerbauer
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des Kulturlandes sich überrascht ihren Zügen anschliessen mussten.
Hierzu kann man, auf dem Standpunkte des Naturforschers, noch bemerken,
dass eben die Gobi die Heimat des Pferdes ist, dessen Verwendung
daher den Bewohnern dieser Steppen ein unvergleichliches
Übergewicht geben musste. Denen, welche sich mit den Wanderungen
der arischen Völker beschäftigen, sind die Auffassungen des Verfassers
über den angeblichen Ursitz des Menschengeschlechtes in den Pamir-
Landschaften zu weiterer Würdigung zu empfehlen.
Die Ausstattung des Werkes ist seines Inhaltes würdig, sie möchte
von keinem anderen in der deutschen Litteratur übertroffen werden.
Aber noch erfreulicher ist es, dass, wie man aus der Vorrede ersieht,
die Herausgabe von v. R i c h t h o f e i i ! i n einem so umfassenden
Maassstabe und in so glänzender, äusserer Form durch die Theilnähme
der Regierung ermöglicht und sogar aus der Privatschatulle des
Kaisers unterstützt worden ist. Auch dies ist ein Zeichen der Zeit, in
die das Vaterland eingetreten ist, und in welcher die Pflege der Wissenschaften
nicht verkümmern kann. Möchte es nun dem Verfasser beschieden
sein, dass er neben diesem der physischen Geographie und
Geologie gewidmeten Lebenswerke auch mit der zugesagten Darstellung
seiner chinesischen Reise alsbald an das Licht treten könnte, ehe,
wie es Humboldt erging, als er die seinige unvollendet lassen musste^
die lebhaften Bilder seiner persönlichen Erlebnisse in seinem Erinnerungsvermögen
in der ursprünglichen Frische nicht mehr bewahrt
werden. Giebt es doch keinen anderen Reisenden, der, wie er, von
den achtzehn Provinzen des himmlischen Reiches nicht weniger als
dreizehn aus eigener Anschauung kennen gelernt hat, und der die
Natur, wie das Völkerleben, in diesem fremdartigen und noch so wenig
bekannten Lande mit gleicher Wärme und Wahrheit aufzufassen weiss.