
n
rm> .
J
6 ÜBER DEN EINFLUSS DES KLIMAS
wachsen ? warum kommt im tropischen Amerika ursprünglich fast keine
einzige Art vor, die in den Tropen des alten Continents ihre Heimat
hat? iMne weitere Ausführung würde ins Unbegrenzte gehen, aber im
Allgemeinen wird hier diese Erscheinung erwähnt, um anzudeuten,
wie wenig naturgemäss es zu sein scheine, die Floren nur nach willkürlichen
klimatischen Bestimmungen zu begrenzen, wie es der Erftihrung
auf jedem Schritte widerspreche, dass gleiche klimatische Bedingungen
auch-gleiche Pflanzenarten produciren.
Es soll uns hier die Frage beschäftigen, ob überhaupt klimatische
Bestimmungen der natürlichen Floren möglich sind, oder ob man sich
mit ihrer Begrenzung von botanischer Seite begnügen müsse. Wir
wollen mit einigen Bemerkungen über den bisherigen Gang dieser
Untersuchung beginnen. Die Abhängigkeit des Pflanzenlebens von
Temperaturextremen ^ musste eine der ältesten Erfahrungen des Menschen
sein: südliche Kulturpflanzen ertrugen ein rauheres Klima nicht,
andere waren dagegen unempfindlicher;- aber wenn aus dieser Beobachtung
sich ergiebt, dass jede Pflanzenart ihre eigenthümliche Temperatursphäre
habe, eine Thatsache, die für die Pflanzengeographie unfruchtbar
ist, deren Objekt die klimatische Bedingung einer ganzen Flora,
also vieler Arten, die eine gemeinsame Abhängigkeit von physikalischen
Einflüssen haben sollen, nachzuweisen fordert: so musste, wie dies der
Grundgedanke vergleichender Wissenschaften ist, erst ein grösserer,
aus allgemeineren Anschauungen geschöpfter Maassstab an diese Verhältnisse
gelegt werden, unter denen die Verschiedenheit in den Wärmesphären
einzelner Arten derselben Flora ein verschwindendes Moment
wird. Dazu gehörte zuerst die Beobachtung der Wiederkehr einer
ganzen Flora aus höheren Breiten im Gebirge. Wie nun dieser Erscheinung
die Abnahme der Temperatur nach der Höhe und nach der Entfernung
vom Äquator, die durch ihr arithmetisches Mittel gemessen
wird, parallel geht, so folgerte man daraus folgenden Satz: Finde sich
gleich, dass einzelne Pflanzenarten grosse Temperatur-Difl-erenzen ertragen
können und daher über einen grossen Theil des Erdbodens sich
zu verbreiten im Stande seien, so gelte doch bei Weitem von der Mehrzahl
der Pflanzen, und somit als pflanzengeographisches Gesetz , dass
nur eine mittlere Jahreswärme unter engen Grenzen einer jeden Flora
entspreche, und dass die Arten derselben überall da auftreten können,
wo diese mittlere Wärme vorkomme. Darüber ist hier vorläufig zu bemerken
, dass man zwar die jährliche Temperaturkurve auf ein arith-
1 Der Einfluss der Wärme auf die Pflanzen innerhalb dieser Extreme gehört nicht der
Pflanzengeographie, sondern der Physiologie an.
AUF DIE BEGRENZUNG DER NATÜRLICHEN FLOREN. 7
metisches Mittel zurückführen könne, nicht aber den Process der vegetabilischen
Entwicklung, in der jede Stufe ein notliwendiges Glied
bildet, das seine besonderen Bedingungen, seine besondere Temperatursphäre
hat. Sodann entsprachen weitere Erfahrungen jener Hypothese
nicht. Nirgends zeigt sich eine grössere Mannichfaltigkeit der vegetabilischen
Formen, eine engere Begrenzung der natürlichen Floren,
als unter dem Äquator, wo dagegen die mittlere Jahreswärme nur
zwischen 27° und 29° difl-erirt; Nordamerika und Mitteleuropa haben
nur einen kleinen Theil von Pflanzen gemeinschaftlich, aber alle mittleren
Temperaturen von Mitteleuropa kommen in den Vereinigten
Staaten vor; Moskau hat eine mittlere Temperatur = Warschau
= 8 und doch gehören beide Städte zu derselben Flora u. s. w.
Ferner 'ist die Thatsache, dass auf den Gipfeln der Alpen Pflanzen
wachsen, die in Lappland und dem arktischen Asien und Amerika
wiederum vorkommen, viel zu sehr verallgemeinert worden. Schon
auf dem Aetna, auf dem Pic von Teneriffa hört diese Ubereinstimmung
in den Arten auf; im tropischen Amerika aber wiederholt sich auf den
Anden keine der Arten S die in Nordamerika bei entsprechender mittlerer
Jahreswärme wachsen, und wenn Eichen und Tannen in der Cordillère
von Mexiko wiederkehren, so sind es einmal von den nordischen
verschiedene Arten, und „die Gruppirung derselben zu einem Ganzen
nimmt dort den verschiedensten Charakter an 2".
Da diese einer gangbaren Hypothese entgegenstehenden Thatsachen
theilweise hier und da ausgesprochen wurden, der Zusammenhang
des Klimas und der pflanzengeographischen Phänomene aber im
Allgemeinen nicht geleugnet werden konnte, so versuchte man, die
Theorie dadurch zu verbessern, dass man aussprach: nur die mittlere
Wärme des Sommers sei es, von der man bei solchen Untersuchungen
ausgehen müsse. Man erkennt den Fortschritt der Erkenntniss, der
die gleichgültige Temperatur während des Winterschlafs der Pflanzen
von der wirksamen während ihrer Vegetation absondert, aber man sieht
auch, wie willkürlich es sei, in dieser Rücksicht 6 Monate für alle Zonen
der Erde festzustellen, während auf den Alpen das thätige Pflanzenleben
nur halb so lange dauert, in Italien fast 9 Monate, dass man
ferner diese Bestimmung auf tropische Länder gar nicht anwenden
könne, wo das Pflanzenleben in feuchten Gegenden gar nicht unterbrochen
ist, in trockenen dagegen nur während der Regenzeit flüchtig
1 Befaria paniculata Mich., die man zu diesem Zwecke anführt, ist von den Arten
in den Anden specifisch verschieden.
•2 A. V. Humboldt, Ansichten der Natur p. i75-
M
'f >1
[''I
»(r
li