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558 DIE WIRKSAMKEIT HUMBOLDT'S
Schlüsse des 18. Jahrhunderts vollzog sich in dieser Wissenschaft ein
ähnlicher Umschwung, wie im Anfang desselben durch Tourncfort, In
der Systematik begann Laurent Jiissicit die Anschauungen Limte's zu
verdrängen, und, indem er bei der Vergleichung der Formen ihren
typischen Bildungsplan aufsuchte, schuf er die natürlichen Gruppen
von Organisationen, die auch ihrer räumlichen Anordnung zu Grunde
liegen. Während Hitmboldt noch unter den Tropen verweilte, beschäftigte
sich Theodor Saiissiire mit jenen bewunderungswürdigen Forschungen
über die Ernährung der Pflanzen, an welchen die Einsicht in
die Bedingungen ihres Lebens erst allmähhch reifen sollte. Auf die
geographische Naturkunde selbst, auf das Feld , welches nun noch zu
bearbeiten übrig blieb, war durch einzelne Vorgänger von verschiedenen
Seiten aus die Aufmerksamkeit gelenkt worden. Förster^ dessen
persönliche Anregung von Humboldt so lebhaft anerkannt wird, hatte
zahlreiche Beiträge zur Vergleichung entlegener Länder nach ihren
Naturerzeugnissen geliefert, Ramond erkannte auf den Pyrenäen die
Ähnlichkeit der Gebirgspflanzen mit denen, die in den Ebenen höherer
Breiten wachsen, Link in Göttingen die Abhängigkeit der Eichenen
von dem Gestein, auf welchem sie vorkommen ; dort wurde der Blick
auf die klimatischen, hier auf die topographischen Bedingungen der
Vegetation zuerst geöffnet. Aber wie lozirnefort nur aphoristische
Einzelheiten vorfand, aus denen durch seine Untersuchungen die systematische
Botanik erst zu einem wissenschaftlichen Ganzen sich gestaltete
, so war es Humboldt vorbehalten, die zerstreuten Gedanken nicht
blos zu sammeln, sondern aus einem Schatz von Anschauungen, der
vor ihm nie seinesgleichen hatte, die in ihrer Allgemeinheit einfachen
Probleme geordnet zu entwickeln, welche in der geographischen Anordnung
der organischen Naturkörper enthalten sind.
Seit seiner frühesten Jugend hatte Hitmboldt diesen Ideen sich
hingegeben. Gern versenke, sagt er später einmal wer nach geistiger
Ruhe strebe den Bhck in das stille Leben der Pflanzen und in der
heiligen Naturkraft inneres Wirken. Auf der Reise nach den Tropenländern
waren seine-Ansichten zu einer solchen Reife gediehen, dass
der grössere Theil der oben erwähnten Abhandlung schon während
des Aufenthalts in Quito (1802] niedergeschrieben werden konnte. Von
einer blos geographischen Darstellung der Vegetation unterscheidet
sich die Geobotanik Humboldts dadurch, dass sie ihre physischen Bedingungen
zu erforschen strebt. In der grossen Verkettung von Ursachen
und Wirkungen dürfe kein Stoff, keine Thätigkeit isolirt be-
1 Ansichten der Natur, 3. Aufl., I, 38.
IM GEBIETE DER PFLANZENGEOGRAPHIE U. BOTANIK. 559
trachtet werden i; ein vollständiger Überblick der Natur, der letzte
Zweck ihres Studiums, könne nur dadurch erreicht werden, dass keine
Kraft, keine Formbildung unberücksichtigt bleibt. Durch diesen
Grundgedanken, aufweichen alle Beobachtungen über die räumliche
Anordnung der Pflanzen zu beziehen sind, wurde der botanischen
Wissenschaft und zugleich der Physik des Erdkörpers ein neues GHed,
ein umfassendes Gebiet der Forschungen hinzugefügt und nach seinem
Umfang, wie nach seinem Inhalt mit so sicherem Blick vorgezeichnet,
dass man erstaunt ist, nach mehr als zwei Menschenaltern in den Ideen
Humboldts fast keine einzige der Aufgaben zu vermissen, um deren
Lösung sich seitdem so viele und hervorragende Naturforscher unausgesetzt
bemüht haben. Jede neue Thatsache liess sich mit Leichtigkeit
den damals aufgestellten Grundzügen einfügen. Es wäre eine anziehende
Studie, dem Bildungsgange Humboldts selbst auf einem Gebiete
zu folgen, welches er sein ganzes Leben hindurch nie wieder aus
den Augen verlor. Da aber in diesen Blättern nur eine Übersicht seiner
Gesammtleistungen zu entwerfen versucht werden soll, so beginnen
wir, diese zusammenfassend, mit den physischen Problemen, die er
zu lösen suchte, und lassen hierauf eine Darstellung der Methoden
folgen, nach denen die geographischen Thatsachen zu ordnen und in
anschaulicher Form zu bearbeiten sind.
Wenn die Anordnung der Vegetation zunächst auf die räumlich
gegliederten Einflüsse des Klimas und des Bodens hinweist, von denen
ihre Organisation bestimmt wird, so bleibt doch eine Klasse von Erscheinungen
übrig, welche den gegenwärtig wirksamen Kräften der
unorganischen Natur fremdartig gegenübersteht und ihre Erklärung
nur von der Geschichte vergangener Erdperioden zu erwarten hat. Die
ungleichen Erzeugnisse abgesonderter Länder, deren physische Lebensbedingungen
gleichartig sind, stehen mit der Paläontologie in einem
bestimmten, wenn auch oft nur dunkel geahnten Zusammenhange.
Diese Doppelbeziehung der Vegetation zum Raum, wo sie gedeihen
kann, und zu der Zeit, aus welcher sie abstammt, hat Hiimboldt gleich
anfangs scharf auseinandergehalten und über die geologische Seite der
Frage sich mit der ihm eigenen Klarheit ausgesprochen. Zwar erlebte
er es nicht mehr, wie sehr durch Darwin's Hypothese über den Ursprung
der Arten gerade von dieser Aufgabe die Wissenschaft beherrschtwird,
aber noch jetzt haben seine damaligen Ansichten ihre
Bedeutung nicht verloren, wenn er davon redet dass alle Pflanzen
und Thiere der gegenwärtigen Schöpfung seit Jahrtausenden ihre
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Naturgemälde, S. 39. - Ideen, S. 10, 20.