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624 BIOGRAPHISCHE NACHRICHTEN
Möge Niemand an solchen Stalten vorübergehen, ohne sich der Aufgabe bewusst zu
sein die er hier zu erfüllen hat. Welcher Beruf ihm auch einst beschieden ist, wenn
er als Lernender seine Pflicht übt , wird er auch als Glied der bürgerlichen Gemeinschaft
wissen, was er zu leisten hat, und dereinst freudig auf den Gang seines Lebens
zurückblicken. Denn aus dem Strom der Vergänglichkeit erhebt sich, wer für das
Heil der Gesammtheit zu wirken strebt und in dessen Brust der Sinn für ideale Zwecke
lebendig ist.
Eingedenk dessen, was wir dem Staat und uns selbst schuldig sind , lasst uns das
Andenken an die entschlafenen Brüder, die für unsere Wohlfahrt in den Tod gingen,
treu im Gedächtniss bewahren 1 Lasst uns sie ehren , indem wir den Preis ihres Sieges
hochhalten, indem wir ausrufen : Gott schütze und erhalte Kaiser und Reich ! "
Die auf den Fürsten Bismarck bezügliche Stelle findet ihre Erläuterung
darin, dass Grisebach in den Jahren 1832 und 1833 mit dem
Fürsten zusammen in Göttingen studirte und demselben Corps angehörte.
Gr^i Kej/sa'-lwg schreibt darüber (a. a. O.) :
„Es lag in der maassvollen und würdigen Natur Grisebaclis, dass
er später Scheu trug, dem zum grössten Heros unserer Zeit gewordenen
Studienkameraden wieder nahe zu treten. Als er aber in bestimmter
Veranlassung in seinen letzten Lebensjahren mit dem grossen Manne
wieder in Berührung kam, war er herzlich erfreut und ergriffen, die
treue Freundschaftlichkeit zu erfahren, die der Fürst seinen Jugendbekannten
in so seltenem Grade zu bewahren pflegt. Aber auch Grisebach
war ein treuer Freund seiner Freunde und ein überaus liebenswürdiger
Mensch, wie das bei einem so ungewöhnlich harmonischen
Character kaum anders sein kann."
Schon im Winter 1878/79 klagte er, was sonst nicht seine Art war,
über seine Gesundheit. Trotzdem fühlte ersieh wohl genug, um in den
Osterferien, wie alljährUch, eine Reise nach dem Süden anzutreten, von
der er am 17. April, seinem 65. Geburtstage, nach Göttingen zurückkehrte.
Über diese Reise schrieb er noch Ende April seinem ältesten
Sohne : „Namentlich eine Fahrt bei prachtvollstem Frühlingswetter von
Frascati bisNemi und Albano, sowie auf der appischen Strasse nach Rom
zurück gehört zu den angenehmsten Erinnerungen meiner Reise, da auch
die Vegetation in den Albanerbergen weit vorgeschritten war und die
Landschaft von mannigfaltigen blühenden Gewächsen prangte. . . Aber
diesseits der Alpen empfing uns das rauhe Germanien mit einem fast
beispiellos verspäteten Frühjahr. M. hat diesen schrofi'en Wechsel
besser ertragen als ich, der ich nun an einem heftigen Katarrh leide . .
Am I. Mai hielt er noch sein am 25. April begonnenes Colleg über
Allgemeine und specielle Botanik zur gewohnten Stunde um 7 Uhr
Morgens.
UND BIBLIOGRAPHIE. 625
Es sollte seine letzte Vorlesung sein.
An demselben Tage brachte er noch die Ergebnisse der von ihm
untersuchten, eben im Garten zur Blüthe gelangten Pflanzen zu Papier.
Es war Helleborus viridis L. var. dumetorum Kit. und Asphodelus
ramosus L. i — seine letzte botanische Beobachtung.
Der Katarrh enthüllte sich alsbald als acute Brighfsche Krankheit
und einer zu letzterer noch hinzutretenden Lungenentzündung erlag der
sonst noch so rüstige Mann, ohne sein Ende zu ahnen, sanft einschlafend.
Er starb am 9. Mai 1879 gegen 7 Uhr Morgens.
Sein Grab auf dem St. Albani-Kirchhof, gegenüber dem Granitmonument
von K. Fr. Gauss, zierte als schönster Schmuck ein voller
Lorbeerkranz und ein Palmenzweig, die Fürst Bismarck aus Berlin gesendet
„als Erinnerungszeichen auf den Sarg seines Freundes". (Worte
des Fürsten in einem seine herzliche Theilnahme aussprechenden Schreiben
vom 15. Mai 1879).
Von den zahlreichen in deutschen Blättern erschienenen Nekrologen
möge hier der Schluss des ihm in der Augsburger Allgemeinen
Zeitung von einem Göttinger, nicht zu den Fachgenossen gehörenden
Collegen gewidmeten Nachrufes stehen:
Alle dife Grisebach kannten oder die dem zartorganisirten, reichbegabten
, feingebildeten Mann als Freunde, Schüler oder Collegen
näher zu treten das Glück hatten, werden ihm ein freundliches Andenken
der Achtung und Liebe bewahren, nachdem sich so unerwartet
früh und rasch des Vaters Homeros botanischer Spruch an ihm erfüllt
hat;
Wie der Blätter Geschlecht, so sind die Geschlechter der Menschen!"
Auch von seinen eigenen Werken abgesehen kann Grisebaclis Name
in der botanischen und geographischen Wissenschaft nicht erlöschen.
Schon 1838 nannte J. F. Klotzsch eine den Eriken verwandte Gesträuchgattung
des Caplandes G r i s e b a c h i a , indem er dazu bemerkte:
Hasplantas ornavi nomine Atig. Henr. Rud. Grisebach Göttingensis, cujus egregia
Monographia de Gentianis inter omnes jam dudum constat, quique hoc tempore
Malpighiaceas Brasilienses Herbarii regii Berolinensis disquirit, ut quanti huncce
animo literisque praestantissimum virum faciam, publice possim profiteri."
Später gaben H. Wendland Drude einer neuentdeckten Arekar
v i e r z i g Jahre vorher, am 28. April, hatte er diese südliche Pflanze auf den Prinzenmseln
im Marmarameere gesammelt. „Vor dem Hügel erhebt sich eine Olivenpflanzung,
seitwärts liegt eine bunte Asphodeloswiese (Asphodelus ramosus. L.) Die weissen Lilienblüthen
mit ihrer Purpurzeichnung auf klafterhohem Schaft und aus dichten Schüfrasen
hervorgewachsen sind die Typen des milden Himmels." (Reise nach Rumelien I, 4S)-
A. G r i s e b a c h , Gesammelte Schriften. 4°