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570 DIE WIRKSAMKEIT HUMBOLDT'S
nicht der Blüten und Früchte, sondern der Stämme, der Zweige mid
Blätter die Klassifikation begründet wird. Die systematische Botanik
musste diesen Weg verlassen, als bemerkt wurde, wieviel veränderlicher
und unbestimmter die Form dieser Organe ist, von denen die Ernährung
des Individuums abhängt, als der Bau der zur Fortpflanzung dienenden,
auf welchen die Erhaltung der Art beruht. Aber dem Streben des
Systematikers, den morphologischen Plan einer Organisation nach ihrem
Ursprünge und ihrer Entwicklung aufzufassen, steht gleichberechtigt
die Aufgabe gegenüber, zu untersuchen, durch welche Mittel das Leben
gesichert sei, welches durch die Kräfte der unorganischen Natur beständig
zugleich angeregt und bedroht wird. In diesem Sinne ist die
besondere Form der Vegetationsorgane von entscheidender Bedeutung.
Dass eine hiervon ausgehende Aufzählung der Vegetationsformen, wie
Humboldt bemerkt, keiner strengen Klassifikation fähig sei, ist ebenso
gleichgültig, wie derselbe Einwurf, nur in minderm Grade, auch jener
morphologischen Systematik gemacht werden kann. Ein Natursystem
ist nicht nach logischem Maassstabe allein zu beurtheilen, es soll höhern
Zwecken dienen als zur Unterscheidung des Einzelnen anzuleiten.
Das morphologische oder natüriiche System der Organismen soll durch
die Einsicht in die Verwandtschaft der Formen das Dunkel ihrer Abstammung
beleuchten, hier besteht eine Beziehung zu den Centren
ihrer Entstehung; das physiognomische hat eine physiologische Richtung
und zeigt, wie die Natur nach Maassgabe der physischen Hülfsquellen
die Organisation abändert. Zuweilen fallen die Vegetationsformen
mit den Gruppen des natürlichen Systems zusammen 1, in den meisten
Fällen kommt dieselbe Bildungsweise der Ernährungsorgane bei dem
verschiedenartigsten Bau der Blüten und Früchte vor.
Die Verbreitung der meisten Vegetationsformen beweist unmittelbar
ihre Abhängigkeit von klimatischen Einflüssen, einige fordern eine
bestimmte Beschaffenheit des Erdreichs, worin sie wurzeln, oder des
Wasserzuflusses, der sie belebt. Die Andeutungen, ^clchc Humboldt
über ihre Beziehungen zum Klima gab, sind geeignet, zu weitern Forschungen
auf diesem Gebiete anzuregen, deren Fortschritt von der
wachsenden Einsicht in den Lebensprocess der Pflanzen zu erwarten ist.
Die Cactusform, deren Organisation die Flüssigkeit im Gewebe zurückhält,
fand er auf die trockensten Klimate Amerikas angewiesen ihre
Bildungen werden bei hoher Luftwärme um so mannigfaltiger, sind
aber auch von kalten Höhen nicht ganz ausgeschlossen, sie wurden auf
dem dürren Hochlande Mexicos noch im Niveau von 10000 Fuss bei
Ansichten der Natur, II, 247. - Relation historique, I, 295.
IM GEBIETE DER PFLANZENGEOGRAPHIE UND BOTANIK. 571
merkt. ^ Über die Farnbäume stellte Humboldt seine Beobachtung zusammen
^^ als er fünf neue Arten am Orinoco entdeckte^ von denen die
grösste eine Höhe von 35 Fuss erreicht. An ein gemässigtes und
feuchtes Klima, sowie an schattige Standorte gebunden^ sind sie weit
seltener als die Palmen, und wachsen einsam im Halbdunkel des tropischen
Urwaldes, wo die von Wasserdampf erfüllte Luft sich selten erneuert.
Während die Mannigfaltigkeit der Palmen in Südamerika gegen
den Äquator zunimmt, verschwinden die Farnbäume in den waldbedeckten
Tiefebenen, die südwärts vom 6. Parallelkreise nördlicher Breite
vom Casiquiare und Rio-Negro durchströmt werden, weil ihrer Vegetation
ein kühleres Bergklima, ein Niveau von 1800 Fuss am meisten
zusagt und sie nur da bis zu den Küsten hinabsteigen, wo der Boden
sich erhebt und sie zugleich in tiefem Schatten geborgen sind. Diese
Thatsachen waren für die Beurtheilung jener frühen Periode der Erdgeschichte
maassgebend, als die Steinkohle aus ähnlichen kryptogamischen
Bäumen abgelagert ward. Weniger einfach sind die klimatischen Bedingungen
aus der geographischen Verbreitung der Bambusen abzuleiten,
hier begegnen uns bei einzelnen Arten anomale Erscheinungen
gleich denen, die vorhin von den Palmen und der Pisangform erwähnt
wurden. Die Bambusen gehören in Südamerika nicht, wie im tropischen
Asien, zu den herrschenden Bestandtheilen der Vegetation, sie
bilden an der Küste von Venezuela und an den Ufern des Casiquiare
nur vereinzelte Gruppen während sie auf den Anden von Neugranada
grosse Landstrecken in ihrem geselligen Wachsthum bekleiden. In den
sumpfigen Niederungen am untern Orinoco fehlen sie fast gänzlich^
dichte Bambusenwälder, meilenweit ausgedehnt, finden sich dagegen
am westlichen Abhänge der Hochlande bis Quito. Hier sieht man diese
Vegetationsform von der Küste bis zu den Hochthälern der Cordilleren,
aber doch nur bis zum Niveau von 5200 Fuss, also bei weitem nicht so
hoch ansteigen, wie dies am Himalaja der Fall ist.
In der Physiognomie der Landschaft erkennt Humboldt den reinsten
Ausdruck der Harmonie, welche die unorganische mit der organischen
Natur verbindet, aber in seiner Vielseitigkeit weiss er das Interp
s e dieser Betrachtungsweise noch dadurch zu erhöhen, dass er nachweist,
wie die Cultur des Menschen von denselben Einflüssen ihre
erste Anregung empfängt. ^ Er zeigt, wie in der gemässigten Zone die
Indianer von der Jagd, dem Fischfang und wildwachsenden Früchten
sich ernähren, unter den Tropen hingegen genöthigtsind, ihre Nahrungs-
1 Ansichten der Natur, I, 224.
3 Ebencl.,1, 372; III, 571.
- Relation historique Ij 437; II, 414.
4 Ideen, S. 16.
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