
^v-hi'il
mm
1
-mV- u
370 BERICHTE ÜBER DIE FORTSCHRITTE
und dadurch nach seiner Ansicht zu neuen, endemischen Arten sich
allmählich umgestalten. Aus diesem Gedankengange wäre es auch einfach
abzuleiten, dass mit der Änderung der Lebensbedingungen in den
Zeiträumen der Vorwelt jede ursprünghche Flora, wenn sie sich nicht
umbilden und in den neuen Verhältnissen nicht gedeihen konnte, nach
und nach aussterben musste, während eingewanderte Pflanzen, mit den
Kräften der Metamorphose ausgestattet, im Kampfe um den Raum und
die Nahrung den Sieg davontrugen. Solche aus der Erblichkeit individueller
Gestaltung und aus der geometrisch wachsenden Vermehrung
der Keime geschöpfte Auffassungen haben für das Verständniss der
klimatischen Varietäten einen entschiedenen Werth, wie sie sich auch
bei der Verdrängung autochthoner Menschenstämme in den Kolonien
bewahrheiten, aber es bleibt auch hier die Frage bestehen, ob das, was
für Variationen passt, auf die Entstehung von Arten und Gattungen
übertragen werden darf, ohne dass darüber directe Erfahrungen vorliegen.
Wie sehr übrigens auch die Variationen nicht bloss von den
äusseren Einflüssen, sondern von der Anlage der einzelnen Art abhängig
sind, geht daraus hervor, dass gerade in den ausgezeichnetsten
Fällen massenhafter Einwanderung, bei den meisten europäischen
Segetal- und Ruderalpflanzen in Nordamerika und anderen Kolonien,
bei der Überkleidung der Pampas durch die Artischockendistel keine
besondere Varietäten entstanden sind oder bei der Ansiedelung der
Opuntien am Mittelmeer sich neben solchen auch die ursprüngliche
Form Amerikas erhalten hat. Die Frage, ob neue Arten und Gattungen
aus Wanderungen hervorgehen konnten, ist in den unerreichbaren Geheimnissen
der Paläontologie verborgen, ihre Parallelisirung mit den
Variationen ein trügerischer Schluss aus Analogien, deren thatsächliche
Begründung der Beobachtung bis jetzt entzogen bleibt. Es ist die
Aufgabe, die Thatsachen, die in dem Wettkampf der Organismen vor
Augen liegen, von den Erscheinungen zu unterscheiden, über welche,
weil sie der Vorzeit angehören, nur Muthmaassungen möglich sind. An
sicherer Begründung kann die Geobotanik nur dadurch gewinnen, dass
sie den Grundsatz der Geologen sich zu eigen macht, zuerst zu untersuchen,
inwieweit durch die in der Gegenwart wirkenden Kräfte die
Mischung der Arten möglich war, und als vorläufig unerklärbar die Erscheinungen
auszuscheiden, die mit der Ansiedelung durch Migrationen
unvereinbar sind. Über die mechanischen Schranken der Wanderungen
enthält Wagner's Schrift eine reichhaltige Auswahl von Thatsachen,
die ihm dadurch, dass er dieselben als veränderlich auffasst, zur Unterstützung
seiner Ansichten dienen.
Delpino beschäftigte sich mit Untersuchungen über die Befruchtung
IN DER GEOGRAPHIE DER PFLANZEN. 371
der Pflanzen durch Insecten, wonach es wahrscheinlich ist, dass die
Gestalt ihres Wohngebietes sich gegenseitig bedinge (Appunti di geografiabotanica,
inBollettino dellasoc. geografica italiana, 1869, Fase. II).
Bei vielen Blüthen werde die Übertragung des Pollen nur durch bestimmte
Insecten bewerkstelligt, wo diese fehlten, könne die Art sich
nicht erhalten. In den botanischen Gärten trage Lobelia syphilitica,
von Bombus-Arten befruchtet, reichlich Samen, nicht aber Lobelia cardinahs,
bei welcher doch durch künstliche Befruchtung dieser Zweck
mit Leichtigkeit zu erreichen sei. Delpino meint, dass diese doch ebenfalls
nordamerikanische Pflanze zu ihrer natürlichen Befruchtung der
Gegenwart von Kolibris bedürfe, welche, die Insecten bis in die Blüthen
verfolgend, allerdings auch den Blüthenstaub verbreiten können. Im
vorliegenden Falle ist diese Meinung indessen ohne Zweifel irrig, da
Lobelia cardinalis zwar nicht überall, aber doch in gewissen botanischen
Gärten allerdings Samen zur Reife bringt. Auch die Blüthezeit der
Pflanzen findet Delpino durch die Zwecke der Befruchtung bedingt. Im
Frühling, wenn erst wenige Insecten vorhanden sind, blühen die Coniferen,
die Amentaceen, die Cyperaceen, deren Befruchtung der Wind
vermittelt, im Sommer sind die Bienen, im Herbste die Fliegen zu
diesem Zwecke thätig, der Metamorphose dieser beiden FamiUen und
der der Schmetterlinge erscheint der Zeitpunkt der Pollenreife angepasst.
Aus der Vergleichung der Floren von Nowaja Semlja und Spitzbergen
wird nachzuweisen versucht, dass auf der letzteren Insel die
durch Bienen befruchteten Pflanzen abnehmen, dass auf beiden diejenigen
fehlen, die der Schmetterlinge bedürfen, und dass die Arten,
denen der Wind genügt, daselbst häufiger werden. Wichtiger noch
sind die Beobachtungen, dass die Körperform des zur Befruchtung mitwirkenden
Insects mit der Form der Blüthe in einem angemessenen
Verhältniss steht. Delpino fand, dass die grössten Blumen auch von
den grössten Insecten befruchtet werden, die Päonien vom Metallkäfer
(Cetonia), die Winde (Convolvulus sepium) von dem nach ihr benannten
Abendfalter (Sphinx convolvuli). Sollte es sich bestätigen, dass der
Bau der Blüthen mit der Gestalt des befruchtenden Insects in einer
nothwendigen Beziehung steht, so würde hierin eine besondere Schwierigkeit
für die Dai^win'scliQ Lehre liegen, die in diesem Falle voraussetzen
müsste, dass bei der Entstehung einer neuen Pflanzenart durch
Umbildung ihrer Blüthe das dazu gehörige Insect in derselben Weise
seine Körperform umzuändern hätte, da nur diejenigen Variationen
Aussicht auf Bestand haben , bei denen diese Harmonie erreicht wäre.
Die Gegner werden -sagen, dass kein Organismus für sich besteht, sondern
dass die in ihren Lebenssphären verknüpften Pflanzen und Thiere
24*
I
irS
I I
f!
41,
Iii
vr
ih m
' ¥ '
ur
Mi n
1