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BERICHTE ÜBER DIE FORTSCHRITTE
gemäss mich auszusprechen und, indem ich übrigens auf den JiistirZ
r« Jahresbericht (Jahrgang 2, BerHn 1876) verweisen kann, beabsichtige
ich besonders solche Quellenschriften aus den beiden letzten
Jahren zu berücksichtigen, die dort nicht berührt oder doch nicht ausführlich
behandelt sind, weil den Herausgebern der botanische Gesichtspunkt
näher lag, als der geographische. •
In den noch immer zahlreich erscheinenden Schriften über die
E n t s t e h u n g der Arten lässt sich insofern eine veränderte Richtung
der Anschauungen erkennen, als die Versuche sich vermehren,
an der ursprünglichen Lehre Dartvin's nicht weiter festzuhalten, sondern
die vorausgesetzte Umbildung der morphologischen Formen von
verschiedenartigen Einflüssen abzuleiten, wodurch die Meinungen mehr
und mehr auseinander gehen, so dass ohne Entdeckung neuer Thatsachen
eine Ausgleichung der Ansichten oder ein wissenschaftlicher
Fortschritt kaum zu erwarten ist. Nägeli suchte durch Anwendung der
Wahrscheinlichkeitsrechnung nachzuweisen, dass die Annahme^, es
würden durch die vortheilhafter angepassten Formen die weniger widerstandsfähigen
vollständig verdrängt, ungegründet sei, woraus demnach
eine stetige Vermehrung derselben folgen würde (Sitzungsberichte der
Münchener Akademie 1874, S. 109—16.+ , abgedruckt in TV^^r/?''.? Botanischen
Mittheilungen); ob die Mannigfaltigkeit der Organisationen in
früheren Erdperioden geringer gewesen sei, als in der gegenwärtigen
Schöpfung, dürfte z.B. nach Maassgabe der im Bernstein eingeschlossenen
Insecten zweifelhaft erscheinen.
M. MV^r hält an der Vorstellung fest, dass die Umbildung der
Arten durch geographische Isolirung erfolgt sei, was Rir die Entstehung
klimatischer Varietäten unzweifelhaft richtig ist; er suchte seine Ansicht
durch die Erzeugnisse der oceanischen Inseln weiter zu begründen (der
• Naturprocess der Artbildung: Ausland, 1875, S. 570 — 5 9 3 v g l . Be-
• richte II, S. 369f. und III, S. 405). Die Schwierigkeit, dass 'die endemischen
Gewächse der Galapagos, die er sämmtlich durch Einwanderung
vom amerikanischen Continent und nachträgliche Umbildung sich
entstanden denkt, nicht in allen Fällen auf verwandte Typen sich beziehen
lassen, meint er dadurch zu beseitigen, dass solche Verwandtschaften
auf dem Festlande möglicher Weise noch entdeckt werden
könnten, und vermuthet, dass die krystallinischen Gesteine der Anden
vermöge ihres höheren geologischen Alters leichter eigenthümliche
Organisationen hätten hervorbringen können, als ein vulkanischer
Archipel. Indessen, ist die Bemühung, endemische und nicht endemische
Inseln, wie die Galapagos und Island, nach ihrem geologischen
Alter zu unterscheiden, bis jetzt fruchtlos gewesen : es genügt, in dieser
IN DER GEOGRAPHIE DER PFLANZEN.
Beziehung auf die kleinen Antillen hinzuweisen, wo das vulkanische
Dominica die meisten endemischen Pflanzen geliefert hat und die Östliche
, nicht vulkanische Reihe der Karaiben fast nur eingewanderte
Arten besitzt. Dabei will ich aber nicht unterlassen, daran zu erinnern
dass auf den oceanischen Archipelen allerdings einzelne Erscheinungen
vorkommen, die sich durch eine Umbildung der Arten und durch
Wagner's Separationshypothese am einfachsten erklären lassen, wie ich
diess bei der Vergleichung der Gap-Verden mit den canarischen Inseln
schon früher bemerkt habe (Vegetation der Erde, 2, S. 51
Emen anderen Versuch hat Kerner gemacht, die Entstehung neuer
Arten mit der von Varietäten in nähere Beziehung zu setzen. (Vorläufige
Mittheilung über die Bedeutung der Asyngamie für die Entstehung
neuer Arten. Innsbruck 1874.) Er legt ein besonderes Gewicht
auf den Fall, den er als Asyngamie bezeichnet, dass einzelne
Individuen ihre Geschlechtsorgane früher oder später als bei normaler
Entwicklung zur Reife bringen und dadurch zu einer abgesondert selbständigen
Fortpflanzung gelangen, welche jene Kreuzungen ausschliesst,
durch welche sonst Varietäten in den Stamm zurückschlagen können.'
Solche asyngamische Varietäten können, unter abweichende physische
Lebensbedingungen versetzt, sich an Orten erhalten, wo die Stammform
vielleicht zu Grunde ginge, z. B. in alpinen Höhen, wo diese
wegen der kürzeren Vegetationsperiode und später eintretender Befruchtung
den Samen nicht zur Reife bringt. Die Möglichkeit solcher
Vorgänge wird nicht zu bestreiten sein, aber die thatsächliche Nachweisung,
die noch nicht gegeben ist, würde, auch wenn sie gelänge,
doch immer nur für den genetischen Zusammenhang nahe verwandter
Formen von Interesse sein, ohne Organismen von verschiedenem Typus
zu verknüpfen.
Von einem entgegengesetzten Standpunkte aus behandelte. Jordan
das Verhältniss der Varietäten zu den Arten, indem er, seit langer Zeit
aufVergleichungen französischer Pflanzen und deren Kultur sich stützend,
die Erblichkeit und Unveränderlichkeit auch der geringfügigsten Formverschiedenheiten
behauptet, wenn Kreuzungen ausgeschlossen sind
(Remarques sur le fait de l'existence en société, à l'état sauvage des
espèces végétales affines. Lyon 1873). Indem er die einheimischen
Varietäten als Arten auffiisst, spaltet er diese ins Unbegrenzte, sucht
sie durch Beschreibungen und Abbildungen kenntlich zu machen und
hofft, die Anzahl der Phanerogamen Frankreichs einst um das Zwölffache
vermehren zu können. Seinen Anschauungen liegt die Thatsache
zu Grunde, dass die Varietäten, wie in der Kultur, so auch in der freien
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