
576 DIE WIRKSAMKEIT HUMBOLDT'S
Von den grossem Pflanzenfamilien hat Humboldt die geographische
Verbreitung genauer untersucht 1, ihre Verhältnisszahlen in einzelnen
Ländern festgestellt und die Isothermen angegeben, unter denen
sie-vorkommen. Ausführlicher und mit einer ins Einzelne gehenden
Genauigkeit wurden die Farne und die wichtigern monokotyledonischen
Gruppen behandelt. 2 Da jedoch seitdem die Zahl der bekannt gewordenen
Arten auf das Doppelte und Dreifache, bei den Palmen sogar auf
das F'ünffache gestiegen ist, so haben diese Arbeiten an Interesse verloren,
wenn sie auch als Muster der Behandlung und wegen der darin
mitgetheilten Beobachtungen noch immer benutzt werden können.
Ähnliche Untersuchungen beziehen sich auf die klimatischen Sphären
der Kul turgewächsebei denen Humboldt jedoch damals nur die für
ihren Anbau erforderliche Mittelwärme und höchstens die Temperatur
des Sommers und Winters in Betracht gezogen hat. Im „Naturgemälde
d£r Tropenländer" 4 waren bereits die Niveaugrenzen der Kulturpflanzen.
welche er auf seiner Reise bestimmt hatte, angegeben. Eine umfassende
Erörterung der Erzeugnisse des Pflanzenbaues im tropischen
Amerika wurde sodann in dem Reisewerk bei geeignetem Anlass niedergelegt.
Diese Abschnitte desselben sind eine Fundgrube wichtiger
und genauer Nachrichten über den ökonomischen Zustand und die
'mercantilische Ent^vickelungsfähigkeit der Länder, die damals noch
spanische Kolonien waren.
Wenden wir uns nun von den allgemeinen wissenschaftlichen Aufgaben,
welche die Geographie der Pflanzen zu behandeln hat, zu den
Darstellungen der einzelnen Florengebiete, die Humboldt auf seinen
Reisen kennen lernte, so sind seine Forschungen in Venezuela zwar
fast die einzigen geblieben, die ihm in voller Ausführlichkeit zu bearbeiten
vergönnt war; aber, wie er es liebte, den Überblick über die
Erde, der mit einem Reichthum von Einzelheiten in seinem Geiste lebendig
war, seinen Lesern und Zuhörern in vergleichender Beleuchtung
vorzuführen, so erstreckten sich seine Schriften und Vorträge stets auf
das ganze Gebiet seiner Anschauungen und es fehlt daher nicht an wohlerwogenen
Mittheilungen über die verschiedensten Gegenden der Neuen
und Alten Welt. Die berühmte Schilderung der Savanen oder Llanos
von Venezuela 5 ist indessen die reifste Frucht seiner Kunst, den Ein
druck der Natur anschaulich wiederzugeben, und zugleich jener wissenschaftlichen
Analyse, welche den Zusammenhang der Erscheinungen
1 Prolegomena, S. 31, und Dictionnaire des sciences naturelles. Bd. i^.
Prolegomena, S. 169-247. 3 Ebend., S. 156-161.. 4 Naturgemälde,
S. 170—175. 5 Relation historique, II, 146, 166; III, 4, 31.
IM GEBIETE DER PFLANZENGEOGRAPHIE UND BOTANIK. 577
in der physischen und organisirten Schöpfung zu begreifen strebt. Unscheinbar
beginnt sie^ mit der Beschreibung der Vegetation, der Aufzählung
der Gräser und KyUingien^ die den Rasen bilden, der Mimosen
und andern Stauden, die ihn mit Blüten schmücken; dann folgt, was
diese Grasebenen von den Savanen anderer Tropenländer unterscheidet,
dass sie von schattigem Baumwuchs beinahe entblösst sind und
ausser einer Proteacee (Rhopala) und einer Malpighiacee (Byrsonima)
fast nur Gruppen von Fächerpalmen enthalten, die vor den glühenden
Sonnenstrahlen keinen Schutz gewähren (namentlich Copernicia tectorum,
die etwa 24 Fuss hoch wird.) In der trockenen Jahreszeit, wo die
Temperatur des sandigen Bodens bis auf 40" R. stieg, schien alles zu
ruhen, das jeder Feuchtigkeit beraubte Erdreich begann sich zu spalten,
das Pflanzenleben stand still wie in einer Wüste, die Reptilien hielten
ihren Winterschlaf, nur an den Flüssen erhielt sich das frische Laub
der Mauritiuspalme. Mit dem eintretenden Regen aber erwacht die
Kraft der Organismen aufs neue, plötzhch erscheint die Ebene im lebhaftesten
Frühlingsgrün ihres Grasrasens. Dem Anbau des Bodens
steht hier die Seltenheit der Flüsse und die ebene Oberfläche entgegen,
wodurch die künstliche Bewässerung gehindert wird, sodann die geringe
Dicke der Humusschicht, die sich nicht durch den Laubfall von Holzgewächsen
erneuern kann. Die Dürre wird gesteigert durch die sandige
Erdkrume, durch die Sonnenstrahlen, die den schattenlosen
Boden erhitzen. Die Gräser erschöpfen ihn an Nahrungsstoffen. Endhch
wird der Blick auf die Entstehung solcher Steppen und Wüsten
gerichtet, die durch ihre unermessliche Ausdehnung und die geselligen
Pflanzen, die sie bedecken, dem Wechsel der Vegetation auch im Laufe
der Zeit einen unbezwinglichen Widerstand leisten müssen.
Nicht minder vielseitig ist die Darstellung der Hylaea, jenes ununterbrochenen
grossen Waldgebiets welches vom obern Orinoco zum
Amazonas über den Aequator sich erstreckt und die Llanos von den
Savanen Brasiliens trennt. Dies war die erste, anschauliche Schilderung
des südamerikanischen Urwaldes, an welche seitdem sich die Vorstellung
von der höchsten Üppigkeit des Pflanzenlebens geknüpft hat.
Anfangs noch von Savanen unterbrochen, wurde der Baumwuchs
immer dichter und undurchdringlicher^^ je mehr sich Humboldt, den
Orinoco hinauffahrend, dem Amazonenstrom näherte. Die Ursache
dieses Übergangs einer Flora in die andere erkennt er in der Vertheilung
und steigenden Menge der Niederschläge. Sobald er über den
i Ansichten der Natur, l, 150.
II, 669.
A. Gr i sebach, Gesammelte Schriften.
2 Ideen, S. 4. 3 Relation historique,
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