wir uns einen vergleichenden Ueberblick über die die Erde bewohnenden
Menschenstämme verschaffen. Niemand wird heutzutage
eine einzelne Thiergattung studiren wollen, ohne die
Grundlage einer descriptiven Zoologie, Niemand über eine einzelne
Pflanze etwas aussagen wollen, wenn man ihm Rückblicke
auf die allgemein beschreibende Botanik verböte, und wie
könnte der Mineralog einen einzelnen Stein bestimmen, wenn
er nicht das ganze System vor sich hat, aus dessen Zusammenhang
sich erst die richtige Stelle der Einordnung ergiebt? Beim
Menschen haben wir bisher geglaubt, aller Htilfsmittel, die die
vergleichenden Wissenschaften bieten und versprechen, entbehren
zu können. Mit unserer einheimischen Flora und Fauna haben
wir uns nicht begnügt, aber es schien uns hinlänglich, den
Menschen zu kennen, wie er unter unserem eigenen Volke oder
unseren nächsten Nachbarn leb t, als ob es möglich wäre, einen
herausgerissenen Theil zu verstehen, ehe wir das Ganze kennen,
innerhalb welches der Theil erst aus relativen Verhältnissen seine
selbstständige Gültigkeit gewinnt. Als Vorbedingung einer Lehre
vom Menschen bedarf es zunächst einer beschreibenden Menschenlehre,
eben so gut wie die beschreibende Lehre von Steinen,
Pflanzen und Thieren allen übrigen Verwendungen der aus ihrer
Kenntniss gezogenen Resultate vorhergehen muss. Da der
Schwerpunkt des Menschen vorzugsweise in das geistige Gebiet
fällt, so muss die Eintheilung die psychische und culturhisto-
rische Seite besonders in’s Auge fassen, d arf aber, bei dem in den
Naturwissenschaften jetzt unauflöslich feststehenden Zusammenhang
zwischen Geist und Körper, eben so wenig die physischen
Merkmale vergessen. Die Berücksichtigung der in der
Culturgeschichte abgelaufenen Phasen würde unsere Sammlungen
mit den Kunsterzeugnissen fremder Völker versehen, mit
den Zeugen einer bald überschwänglich wuchernden, bald ärmlich
verkümmerten Phantasie, mit Producten, die, für sich allein
betrachtet, der in unserer Subjectivität als orthodox geltenden
Kritik werthlose Scharteken zu sein scheinen mögen,, die aber, in
ihren richtigen Zusammenhang gestellt, den Entwicklungsgang
des Menschengeistes dem Verständniss eröffnen werden und
Architekten oder Maler zu neuen Motiven anregen könnten.
Das vergleichende Studium politischer und socialer Institutionen
bei den unter verschiedenen Umgebungen lebenden Völkern würde
aufklärende Lichtblicke auf die Entwicklung unserer eigenen
werfen, das vergleichende Studium der Rechtsideen dem Juristen
von Interesse sein, das traditionell geheiligter und mythologischer
Vorstellungen dem Philosophen. Der für ausser-europäische
Consulate bestimmte Diplomat bedarf der Ethnologie, um die
historischen Ueberlieferungen, die Staatsgebräuche, das Cere-
moniel, die Geschichte derjenigen Völker zu kennen, mit denen
er internationale Verträge abzuschliessen h a t, und wie für die
Leitung diplomatischer Verhandlungen, ist das Studium der
Ethnologie unerlässlich für die Entscheidung des Politikers, wenn
es gilt das Interesse der eigenen Nation zu wahren. Die unermesslichen
Capitalien, die von unseren Hafenstädten aus im
überseeischen Handel flüssig werden, involviren das Wohl und
Wehe ausgedehnter Klassen von Industriellen im Oberlande,
auf deren Wohlstand sie durch Förderung der Gewerbe zurückwirken.
Der Kaufmann bedarf der Ethnologie, um die n atürlichen
Handelswege althergebrachter Verbindungen zu kennen,
und sich demgemäss seine eigenen zu öffnen, der F ab rik an t hat
aus der Ethnologie den Geschmack fremder Völker kennen zu
lernen, um der bei ihnen herrschenden Mode gemäss seine
Musterzeichnungen zu entwerfen. Die von Missions- und anderen
Gesellschaften in die Ferne gesandten Apostel europäischer Aufklärung
müssen sich aus der Ethnologie mit den religiösen Anschauungen,
den philosophischen Systemen derjenigen Völker
bekannt machen, auf deren moralischen und geistigen Zustand