Sammlungen schlägt die Geschichte ihr in bunten Bildern illustrirtes
Panorama auf, hat sie sich selbst geschrieben in leicht verständlichen
Hieroglyphen, deren rasche Entzifferung dem logischen
Denker doppelte Befriedigung gewährt. Die Geistesthätigkeit, die
moralische Stimmung, die Kunstfähigkeit, der religiöse Sinn,
jed e nach aussen getretene Denkregung liegt in der ethnologischen
Thatsache verwirklicht vor uns und kann in den Sammlungen,
allen ihren Beziehungen nach comparativ studirt werden.
So lange man in den Kunstschöpfungen des Schönen unbegreifliche
Urformen vor sich zu haben glaubte, mochte man
sie feiern und preisen, musste aber auf jedes eingehende Ver-
ständniss verzichten. Auch jetzt erkennen wir in ihnen ewige
und unveränderliche Gesetze; wir wissen jedoch, dass auch
einem für unsere Auffassung in der Zeit ewig und unveränderlich
fortdauerndem Typus Processe des Werdens vorangegangen
sein müssen, die dem methodischen Forschungsgange nicht
verschlossen bleiben können. Den musikalischen Theoretikern
und Historikern gegenüber, meint Helmholtz, „dass das System
der Tonleiter, der Tonarten und deren Harmoniegewebe nicht
auf unveränderlichen Naturgesetzen beruht, sondern dass es die
Consequenz ästhetischer Principien ist, die mit fortschreitender
Entwicklung der Menschheit einem Wechsel unterworfen sind
und ferner noch sein werden.“ Den gleichen Zusammenhang der
architektonischen Constructionsregeln mit dem Yolksgeist weist
er in den Stilprincipien der geraden Horizontallinie, des Rundbogens
und des Spitzbogens nach. Das liesse sich weiter über
Indier, Mexicaner, Peruaner ausdehnen, und überall würde ein
organisch in einander greifendes Ganze hervortreten, in dem
sich Mythologie, Aesthetik, Poesie und der gesammte Musen-
Chor zum harmonischen Reigen durchschlingen. Wenn uns
solche Totalbilder überall auf dem Globus die Culturbedingungen
der ethnologischen Kreise spiegelten, dann würde sich in desto
deutlicherem Reflex das unsere eigene N ationalität durchwaltende
Gesetz daraus hervorheben.
In den ethnologischen Thatsachen sehen wir die Incarnationen
des Menschengedankens vor uns in der ganzen Fülle
seiner Phämenologie, in allen seinen mannigfaltigen Phasen und
Wandlungen, in stummen Zeugen, die nicht trügerisch überreden,
die noch weniger lügen können, die dagegen in unwiderleglichen
Thatsachen zu den Augen sprechen und wenn, diese gesund
sind, nicht missverstanden werden können. Nicht jedes Yolkes
Architektur klingt in den harmonischen Accorden, die die steinerne
Musik der Classiker durchweht, und oft genug mag
den Geistesproducten armer und verkümmerter Indianerstämme
der poetische Hauch ermangeln, der die Kunstdichtungen griechischer
Sculptur umduftet; aber wie in der Botanik die künstlich
gezüchteten Culturpflanzen, die in blendender Farbenpracht
den Schmuck der Gärten bilden, nicht den Anfang, sondern nur
das Ende methodischen Studiums bilden können, wie erst die
Untersuchung einfachster *) Zellbildung, die in den Kryptogamen
durchsichtiger vorliegt, dem Pflanzen-Physiologen diejenigen
Aufschlüsse gegeben hat, wodurch die Grundlagen eines
wissenschaftlichen Systems gelegt sind, so wird auch der Ethnologe
seine Aufmerksamkeit zunächst den Repräsentanten ursprünglicher
Menschenrassen zuwenden müssen, um die psychologischen
Elemente zu sichten und zu ordnen, um aus ihnen
dann die Gesetze zu verstehen, unter denen der Geistesorganismus
in der Geschichte emporgewachsen.
*) Dem Philologen dient die Sprache zunächst als Mittel, um die historischen
Monumente aufzuschliessen, aber: „in comparative philology the case is totally
different (language itself becoming the sole object of scientific inquiry). Dialects,
which have never produced any literature at a ll, the jargons of savage tribes,
the clicks of the Hottentotts, and the vocal modulations of the Indo-Chinese
are as important, nay, for the solution o f some problems more important, than
the poetry of Homer or the prose of Cicero (Max Müller).