England, Frankreich und Holland sowohl, wie in Nordamerika und
Russland. Dass sie in Binnenländern wenig Berücksichtigung fand,
ist erklärlich und entschuldbar, aber bei Ausdehnung des weltgeschichtlichen
Horizontes muss auch die Ethnologie mit ihrem
bunten Völkerleben in denselben eintreten. Sie verlangt laut
und unabweisbar ihre Anerkennung seit der neuen Einigung
Deutschlands, seit sich so weitaussehende Interessen mit überseeischen
Ländern zu verknüpfen beginnen, mit Ländern, welche
bisher in unseren Lehrgegenständen kaum vertreten und deshalb
fast g a r nicht, oder unrichtig bekannt sind, welche aber
unter den jetzigen Zeitanforderungen genau und gründlich bekannt
sein müssen, damit nicht unsere Unkenntniss derselben
durch theuer bezahlte Missgriffe gebüsst werde.
Es wird sich unzweifelhaft schon bald für unsere socialen
Interessen wünschenswerth und nothwendig zeigen, den Gesichtskreis
der Geschichte*) um ein Ansehnliches zu erweitern. Sie
hat sich allzu lange mit dem aus dem Alterthum überlieferten
Horizont begnügt, denn wenn auch allmälig die europäische Colonialgeschichte
hinzutrat, mit Ende vorigen Jahrhunderts die Geschichte
der Vereinigten Staaten, mit Anfang dieses die der übrigen Republiken
Amerikas, so blieb der Osten doch innerhalb seiner
engen Marken, wie sie von Herodot gezogen waren, höchstens
mit der von Ptolemäos zugefügten Ausdehnung. Erst eins der
neuesten Geschichtswerke hat auch Indien in den historischen
Kreis hineingezogen und damit einen Schritt weiter gethan, um
das zu erreichen, was in dem Namen der Weltgeschichte aus-
gedrückt liegt. Warum aber bleibt China noch immer ausgeschlossen?
China, das fast die Hälfte der die Erde bewohnen*)
Ethnology is in fact more nearly allied to history, than to natural science
(Prichard). Die Anknüpfung der Anthropologie nnd Ethnologie an die Geschichte
datirt gewissermassen seit W. Edwards’ Brief an Thierry 1829.
den Menschenmenge schon seit den frühesten Zeiten mit seinen
civilisatorischen Einflüssen durchströmt h a t, China, das in den
folgenreichsten W endepunkten unserer alten und mittelalterlichen
Geschichte Rückwirkungen ausgeübt hat, die, wenn in ihrer
vollen Tragweite anerkannt, ungeahnte Lichtquellen eröffnen
würden, China vor Allem, das je tz t, wo die Enden der Hemisphären
näher zusammen gerückt sind, auf das Bedeutsamste in
den Wechselbeziehungen unseres Westens mitzusprechen beginnt,
das zugleich durch seine uralte Civilisation origineller Gestaltung
das würdigste Beobachtungsobjeet der Geschichtsphilosophie b ild e t!
Weshalb es im Alterthum k e in e r Ethnologie gab und nicht
geben k o n n te , ist nicht schwer zu verstehen. Was aus fremden
Völkern interessirte, wurde in die Geschichte von denselben
hineingezogen, und es fehlte noch das unsere Zeit edelnde Ver-
ständniss einer nur ihrer selbst wegen angebauten Wissenschaft.
Erst mit den die Oberfläche unseres Planeten unvermuthet er-
weiterternden und umziehenden Entdeckungsreisen, als plötzlich
eine Menge Völker in den Gesichtskreis eintraten, die in
den Tagesfragen noch nicht eine solche Rolle spielten, um schon
ihre geschichtliche Würdigung verlangen zu können, die aber
doch, in Voraussicht einer späteren Bedeutung, Beachtung verdienten
und zugleich durch eulturhistorische Vergleichung zur
Lösung wissenschaftlicher Aufgaben auf anderen Gebieten beizutragen
versprachen, erst damals constituirte sich die Ethnologie
als fest umschriebene Wissenschaft, und erst seit den
Weltumsegelungen Cook’s, denen Buffon’s L’Histoire de l’Homme
folgte, kann von ihr, als einer solchen, geredet werden.
Nur durch Verwechslung verwandter Disciplinen mit der
Anthropologie hat man sich veranlasst sehen können, ihre Anfänge
auf Thaies, auf Anaximander und Anaximenes, auf He-
rak lit, Empedokles und die Eleaten zurückzuführen, denn auf
diesen für den philosophischen Geschichtsschreiber leitenden