kreise entsprang, direct an jene Nervenschwingungen anknüpfen,
die den Händen der physiologischen Anthropologie entschlüpften,
als sie das im Auge gesehene Object der Aussenwelt längs des
Optikus zur Brücke verfolgen wollte.
Wir haben die Grundgedanken aufzusuchen, wie sie in allen
Gedankenkreisen, unter allen Zonen und Ländern, in allen Zeiten
mit zwingender Nothwendigkeit aus der mikrokosmischen Anlage
der Menschennatur hervorgewachsen sind, durch die Besonderheiten
der Umgebungsverhältnisse zwar an ihrer Oberfläche
verschiedentlich gefärbt, aber dem centralen Achsenkreuze nach
unverändert dieselben; wir haben sie ihren einfachsten Formen
nach unter den Naturvölkern festzustellen, und dann in der
Physiologie des Geschichtsorganismus die psychologischen Gesetze
zu erforschen, unter welchen sie sich zu den chinesischen,
japanischen, indischen, mexicanischen, peruanischen und anderen
Civilisationen entfaltet haben. Die aus denselben gewonnenen
Yergleichungspunkte werden dem Studium unserer eigenen Civili-
sation des Westens bedeutungsvolle Aufklärungen gewähren und
werden es auch der Culturgeschichte ermöglichen, aus Compa-
rationen, die sich gegenseitig controliren, ähnliche Vortheile zu
ziehen, wie sie die übrigen Naturwissenschaften so mächtig
gefördert haben, seit ihnen die Reform der Geographie eine ausreichend
genügende Basis für ihre Operationen vorbereitet hat.
Ferner müssen die ethnologischen Wurzeln der Geschichtsvölker
aufgegraben werden, soweit sie sich in der Archäologie nach
ihren historischen Werthen fixiren lassen. Hiezu werden die
schätzbarsten Anhalte durch die Monumente des ägyptischen und
assyrischen Alterthums geboten, durch die Entzifferung ihrer
Räthselschrift, die uns Aussichten in neue Vergangenheiten von
noch unbegrenzter Tragweite geöffnet haben. Zugleich sind die
aus dem Studium des fossilen Menschen, für die Vorgeschichte
Europas besonders, gewonnenen Forschungsresultate zu ver-
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werthen, und schliesslich ist das schlüpfrige Feld der Traditionen
zu betreten, deren verführerische Phantasieschöpfungen aus allen
Continenten dem Alterthumsforscher entgegenwinken, aber freilich
leicht durch ihre trügerischen Masken verwirren und den Unbedachtsamen,
der keinen sicheren Fusstritt, keinen schwindelfreien
Kopf für seine Entdeckungsreisen mitbringt, mit gefährlichem
Falle bedrohen. Durch behutsame und umsichtige Behandlung
der phantasiereichen Mythen mag dagegen manche
schwankende Schattengestalt mit Fleisch und Blut durchgossen
I werden und einen festen Kern gewinnen, um den Reflex des Geschichts-Lichtes zu vertragen, das sie sonst nur um so mehr
verflüchtigen würde.
Die letzten Decennien haben deshalb die Ethnologie in’s I Dasein gerufen, und ihr Panier träg t jenes delphische Orakelwort,
das vom Menschen zunächst seine Selbsterkenntniss fordert,
ein Wort, das Goethe*) bei u ns, das Pope**) und Hume***)
in England durch ihren Beifall geadelt, ein Wort, das
v. B a e e r,f) der Veteran auf dem Felde der Anthropologie,
in der ganzen Weite seines Begriffes umschrieb, das Linné zu
seinen Charakterisirungen benutzte und das jüngst wieder Paul
Broca, der Begründer der anthropologischen Gesellschaft in Paris,
an die Spitze seiner Ansprache stellte.
Erst wenn es uns gelungen ist, in den einfacheren Erscheinungsformen,
wie sie durchsichtig und klar in den Denkverhältnissen
der Naturvölker vorliegen, einen zuverlässigen Anhalt zu ge-
*) Das eigentliche Studium der Menschheit ist der Mensch.
* * ) The proper study of mankind is man.
***) Human science is the only science of man and has been hitherto the
most neglected.
f ) Das- Studium vom Menschen ist Ausgangspunkt und Ziel aller Forschung.
I So sagt Sebastian Frank : Erkenntniss seiner Selbst schliesst Gottes-Erkenntniss
in sich, und Justin: Qui se ipsum novit, cognoscet deum.