Wegesäulen wird der Anthropolog nur Weniges geschrieben
finden, was ihn speciell anginge. Beachtenswerther sind dagegen
manche Abhandlungen des Aristoteles, seine Physiognomik, über
Alter und Ju g en d , über Kürze und Länge des Lebens, sowie
auf dem medicinischen Grenzgebiete die Arbeiten des Celsus
und Galen. Die scharfsinnigen Beobachtungen des Hippokrates
streifen schon direct in die Ethnologie hinüber und bilden neben
zerstreuten Nachrichten bei Herodot, Strabo, Tacitus, Ammianus,
Procopius u. A. m. die wenigen, aber desto werthvolleren Goldkörner,
die die Ethnologie auf dem Felde des classischen Alterthums
zu sammeln vermöchte. Reichlicher, freilich auch weniger
lauter, fliessen ihr (in Avitus, Ennodius, Paulus Diaconus, Jor-
nandes u. s. w.) vielfache Quellen aus dem bei dem Getobe
der Völkerwanderung überall durchbrochenen Boden hervor,
aber auch hier noch bleibt es schwer, einen geordneten Ueber-
blick zu gewinnen, weil eben die Ethnologie nie ihr wissenschaftliches
Fach zuertheilt erhielt, sondern immer nur nebenher
gelegentliche Behandlung fand, bis zum Zeitalter der Entdeckungen.
Nachdem später Wolff die Psychologie in ihre seit Aristoteles
verlorenen Rechte wieder eingesetzt, Haller die somatische
Anthropologie begründet, Vicq d’Azyr die Physiologie zur vergleichenden
Experimentalphysiologie (und vergleichenden Anatomie)
erweitert, Bell die Vorgänge in der Nervenphysiologie
erforscht, Kant den Anschluss an das Ich zur Geltung gebracht,
begann mit Bichat’s Entwickelung der Gewebelehre der Einblick
in die Genesis des Dinges, als auf dem von Berzelius in
der Chemie gelegtem Fundamente die Zellentheorie factisch gesichert
wurde. Bei den Culturvölkern verliert die Craniologie
den grössten Theil ihres Werthes, und als Ersatz muss die
Philologie eintreten. Diese aber würde uns bei einer Menge
in ihren Namen erhaltener Völkern im Stich lassen, bei allen
schriftlosen sowohl, wie bei denjenigen, deren Literatur in politischen
Katastrophen zu Grunde gegangen ist. Bei ihnen
bieten sich als werthvollstes und oft genug einziges Hülfsmittel
die Ueberreste ihrer Händewerke, ihre Monumente, ihre Kunsterzeugnisse,
ihre Instrumente und Werkzeuge, die ihres dauerhaften
Materials wegen den Verwüstungen der Zeit oder denen
zerstörender Kriege widerstanden. Die Fülle des ganzen reichen
Geisteslebens, das Uber lange Geschichtsepochen geschwebt haben
mag, kann oft genug nur aus diesen steinernen und metallenen
Zeugen einer fernen Vergangenheit herausgelesen werden, und
ohne sie würden höchst bedeutungsvolle Stücke aus der Menschengeschichte
ausfallen und für immer verloren sein. Diese
Reste reden klar und deutlich von den Geschicken einst beglückter
Völker, die sonst nur als haltlose Schemen in unserer
Anschauung schwanken würden; sie erzählen von all’ den
Wechselfällen, unter denen sich der Menschengeist die Freiheit
erkämpft und je nach der meteorologisch-geologischen Umgebung
sowie seinen politischen Beziehungen, die Gedankenschöpfungen
mit typischer Färbung tingirte. In dem Stil*) der Bauwerke
stehen die architektonischen Gedanken in versteinerten
Photographien vor unseren Augen; aus den Musikinstrumenten,
aus dem Schmuck der Tänzer, aus den theatralischen Masken
schallt uns ein freudiger Jubel entgegen, der längst schon verhallt
ist; in den Thränenkrügen, den Verzierungen der Sarcophage
lesen wir die Gefühle des Leids und Wehes, die einst,
wie heute, die Menschenbrust bewegten. In den ethnologischen
*) In den wirr verschlungenen Sculpturea der Mexicaner spiegelt sich der
amerikanische Volksgeist, in den wir uns erst hineinzudenken haben, um ihn
aus seinen Mythen zu verstehen. L’esprit analytique est étranger aux cerveaux
du nouveau monde. Au lieu de chercher à dégager leur pensée de la conception
confuse, sous laquelle elle s’était d’abord produite, les Indiens n’ont fait que
renchérir sur une première tendance. Les mots se sont non seulement agglutinés,
mais ils sont subi en vue de cette agglutination des changements, qui les
ont complètement défigurés (Maury).