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kraft zu schwellen begann. Das durch den Glanz einer Cultur-
Epoche geblendete Auge glaubt in der Civilisation eine hauptgeborene
Athene Koryphasia zu erblicken und übersieht leicht
die langen Vorstadien, die vor Erreichung des Sieges zu durchlaufen
waren. Hier findet die Ethnologie ein weites Brachfeld,
das des Anbaues wartet. Die Materialien sind roh und vernachlässigt,
aber desto mehr sind sie einer Bearbeitung bedürftig,
desto dringender heischen sie kritische Sichtung und
Scheidung durch die Hülfsmittel der Ethnologie. Bei ungewissem
Dämmerlichte, auf schlüpfrigem Boden hat sie ihre Entdeckungen
zu machen, und auch bei allseitigster Vorsicht werden
ihr Fehltritte kaum erspart bleiben. Doch je härter der
Kampf, desto reicher der Lohn. In jenen Tiefen, wo mit
schwachen Fäden und Fäserchen die primitiven Wurzeln der
Geschichte zusammentreten, hat die Ethnologie die psychologischen
Gesetze zu erklären und sie in ihrer Entwicklung bis an
die Schwelle des Bewusstseins zu verfolgen, wo die historischen
Wissenschaften sie in die Hand nehmen. Wenn sie dann zu
jenem mächtigen Stamme der Civilisation emporwachsen, der
die Humanität in seinem Blüthenschmucke trä g t, so vergesse
man nicht, dass die Ethnologie ihre in der Erde begrabenen
Wurzeln gepflegt und begossen h a t, dass der Baum nur durch
seine Wurzeln lebt. Diese hochstrebenden Culturpflanzen, die
Pracht der Weltgeschichte, sind aber nur eine vereinzelte Erscheinung
auf dem Erdenrunde. Die grössere Menge der Völkerstämme
verbleibt für immer auf den Stadien des Naturzustandes
(d. h. dem vorgeschichtlichen Stadium), in denen die Geschicke
des Mikrokosmos noch von dem überwiegenden Einflüsse des
Makrokosmos beherrscht werden, und bei diesen Naturstämmen
fällt demnach ihre Gesammtgeschichte, so weit sie überhaupt
eine Entwicklung durchlaufen hat, in das Bereich der Ethnologie.
Begabtere Zöglinge pflegt sie ihrer Aufsicht zu entlassen und
den eigentlich historischen Disciplinen, der höheren Akademie
der Weltgeschichte zu übergeben, aber immer leitet sie die
früheste Erziehung auch bei solchen Völkern, die berufen sind,
in den Jahren ihres Mannesalters auf der Bühne nationaler Weltkämpfe
eine weltgeschichtliche Rolle zu spielen.
Die frühere Etymologie tra f mit Recht der Vorwurf, dass
sie in willkürlichen Tändeleien Alles aus Allem zu machen verstehe,
und die neuere Philologie hat deshalb dankenswerthe Bemühungen
angestellt, die Grenzen erlaubter Veränderungen
enger zu ziehen, obwohl im Princip immer noch eine unbedingte
Möglichkeit zuzugeben ist, wie sich schon aus dem nächst-
liegenden Beispiel, der Bildung der romanischen Sprachen, genugsam
durch Beweise belegen liesse. Il n’y a aucun fonds à
faire, soit pour affirmer soit pour nier une étymologie, sur la
simple apparence, sur des rapprochements fortuits, sur des comparaisons
superficielles (Ampère). Ce qui aide surtout à connaître
l’origine d ’un m o t, c’est de connaître son histoire. Die
linguistischen Elemente gleichen nicht den anorganischen Ur-
substanzen, über welche die Chemie und ihre Reagentien weiter
keine Macht besitzen, und die eben, weil sie sich beständig unverändert
zeigen, als Elemente angenommen werden ¡sondern den
organischen Alkaloiden, die unter einem bestimmten Cyclus von
Operationen gleichfalls fest und unwandelbar dieselben bleiben,
bei weitergehenden Eingriifen aber ihren Typus verlieren und
durch Zersetzung wieder in die vier Grundstoffe aufgelöst werden.
Diese Annahme raubt den glänzenden Resultaten, die
die Linguistik seit Kurzem errungen und festgestellt hat, nichts
von ihrem Werthe, warnt jedoch, die Entwicklung der Forschung
schon jetzt als beschlossen anzusehen. So lange die nachgewiesenen
Gesetze des grammatischen Baues sich verfolgen lassen,
so lange dürfen historische Folgerungen abgeleitet und zu weiteren
Schlüssen benutzt werden; aber das negative R esultat, dass