jene nicht mehr in charakteristischer Eigentümlichkeit erkannt
werden können, giebt darum noch kein Recht, Beziehungen
zwischen Völkern zu leugnen, die aus anderen Beweisen hervorgehen
möchten. .Dem Chemiker ist es wohlbekannt, dass
in dem Körper eines Vergifteten sich ein Narcoticum finden
möchte, obwohl er es nicht mehr herzustellen vermag, und in vielen
Fällen kann er auch aus Gegenwart anderer Körper ableiten,
weshalb es sich nicht mehr nachweisen lässt. Wenn ein organisches
Salz durch allmälige Ersetzung gleichwe rtiger Aequi-
valente seines kennzeichnenden Typus verlustig gegangen ist, so
hat es für den Chemiker seine praktische Bedeutung als solches
verloren, und so bestimmt er vorher die n o tw en d ig en Säuren
oder Basen für seine Fixirung angeben konnte , so wenig wird
er sich dann weiter bemühen, noch etwas zu suchen, das nicht
mehr existirt, obwohl dies negative Resultat keinen genügenden
Grund abgeben würde, das früher mögliche Vorhandensein zu
verneinen, wenn andere Folgerungen auf die Annahme desselben
hinführen sollten. Ebenso darf eine wissenschaftliche Verwendung
der Linguistik nicht die Grenze derjenigen Gesetze
überschreiten, die in der vergleichenden Sprachwissenschaft als
für sie allgemein gültig niedergelegt s in d ; bleiben diese nicht
mehr anwendbar, so ist das Resultat einfach ein negatives, das
weder für noch gegen entscheidet, das aber allerdings von demjen
ig en , der, obwohl dieser Beihülfe ermangelnd, dennoch eine
Hypothese aufbauen wollte, verlangt, dass er für sein positives
Urtheil desto sicherere Stützen auf anderen Wegen der Beweisführung
herbeibringe. In der Wissenschaft lassen sich nur Ver-
hältnisswerthe verstehen, und nur die aus diesen abgeleiteten
Gesetze unendlicher Progressionen werden diejenigen Fragen zu
lösen im Stande sein, die man bisher an einen Anfang und an
ein Ende teleologisch anzuknüpfen dachte.
Entwicklung ist ein subjectiver Begriff, indem der zur Vollheit
gereifte Mensch, wenn die Vorstellungen sich fest zusammenordnen
und am entschiedensten in das Bewusstsein eintreten,
auf die durchlaufenen Stadien des Lebens als unvollkommene
zurückblickt, und den bis dahin ununterbrochenen Fortschritt
als eine Entwicklung auffasst. T ritt später die Epoche der
Rückbildung ein, so kann die Stärke der erschlaffenden Vorstellungen
sich nicht an Lebhaftigkeit mit den zur Periode der
Mannheit dominirenden messen, die letzteren bewahren die Herrschaft
in dem, den Culminationspunkt der einen Generation mit dem
der nächsten verbindenden, Gedankenkreis, und als Entwicklung
wird fortan ein Hinaufsteigen zu höherer Vollendung aufgefasst,
indem der im irdischen Stoffwechsel nothwendig damit verbundene
Anhang des welkenden Sinkens übersehen wird. Eine
Entwicklung im eigentlichen Sinne, als Fortschritt ohne späteren
Fall, lässt sich nur denken, wenn der irdische Kreislauf durchbrochen
ist und das Geistige in seine Domäne des Ewigen und
Unendlichen eingetreten, wie es Plato poetisch beschreibt, und
wie es den philosophischen Grundgedanken des Buddhismus
bildet.
In der Ethnologie sind es die Grundgedanken der Gesellschaftskreise,
die psychologischen oder, wenn man will, die
völkerpsychologischen Elemente, die die Basis für das Einthei-
lungsprincip *) abgeben müssen, und zwar nach zwei Richtungen
hin, einmal, indem man sie, nach Art der Embryologie, in ihrem
Wachsthumsprocesse aus einfachster Zellbildung im ahnenden
Träumen zum complicirten Organismus geistiger Schöpfungen
verfolgt, und dann, indem man ihre analogen Formen vergleichend
neben einander stellt, wie die comparative Anatomie ihre aus
*) Appliquons aux sciences politiques et morales la méthode, fondée sur
1 observation et sur le calcul, méthode qui nous a si bien servi dans les sciences
naturelles (Laplace).
O