sie einzuwirken wünschen. Die vergleichende Sprachwissenschaft
kann nur auf der breiten Grundlage der Ethnologie ihre philosophischen
Formeln in natürlichen Classificationen zusammenordnen.
Dem Historiker ist die Ethnologie eine unentbehrliche
Htilfswissenschaft, die Psychologie muss au f der Ethnologie ihren
Boden finden, und mit der Psychologie jede Geistes Wissenschaft,
deren Träger sie ist.
Auf der Basis einer beschreibenden Anthropologie würde
die Ethnologie es wagen können, die Embryologie des Menschengedankens
ihrem Studium zu unterwerfen und die organischen
Wachsthumsgesetze zu erforschen, unter denen die schon
im Naturmenschen keimende Idee zu den erhabenen Anschauungen
der Culturvölker emporsteigt. Aus der Methode
einer vergleichenden Psychologie wird die Ethnologie zur Aufklärung
des staatlichen Organismus dieselben Hülfen ziehen,
wie die Medicin der Physiologie entnahm und erst durch sie in
das Innere des individuellen Organismus eingedrungen ist. Früher
glaubte man, wie Droysen bemerkt, dass die Geschichte wesentlich
politische Geschichte sei, jetzt aber ist die Einsicht erwacht,
„dass man auch die Künste, die Rechtsbildungen, jedes menschlichen
Schaffen, alle Gestaltungen der sittlichen Welt historisch
erforschen kann und erforschen muss, um das, was ist, zu verstehen
aus dem, wie es geworden ist.* Der genetische Schlüssel
hat schon manches Wissensfeld dem Yerständniss geöffnet, und
die Ethnologie wird den ihrigen gebrauchen lernen, wenn
sie streng inductiv aus den Anfängen einfachster Rassenstämme,
die ärmlich und niedrig am heimathlichen Boden kleben, zu
den im Schmuck ihrer Culturen strahlenden Geschichtsvölkern
emporsteigt.
So oft Völker in ähnliche Conjuncturen ihrer politischen
Umgebung eintreten, werden aus der zur Existenzwahrung nöJ ;j
thigen Beantwortung gleicher Anforderungen auch gleiche odery
doch unter localen Nüancirungen ähnliche Institutionen folgen,
um einen geordneten Zustand herzustellen. Während wir nun
im römischen und griechischen Alterthum die Grundsätze der
Staatsverfassungen schon als fixirte überliefert erhalten und als
solche anzunehmen haben, während wieder bei den unstäten
Wandlungen der Völkerwanderungen in der geringen Zahl der
Quellenschriftsteller die nöthige Fülle der Details fehlt, um die
complicirten Processe richtig zu verstehen, können wir in einer
Menge afrikanischer oder asiatischer Umwälzungen, durch welche
noch heute (oder doch zu Z eiten , wo europäische Augen schon
darauf gerichtet waren) Völker zu Grunde gehen und neue
Staaten angewachsen, den ganzen Verlauf auf das Genaueste
und unter Abwägung aller einwirkenden Neben-Ursachen in
seinen Einzelnheiten verfolgen und weitere, durch Thatsachen
controlirbare Schlüsse ziehen, da hier, wie überall, das Gewordene
sich neu im Werdenden versteht und das als Seiende
schon fest Gewordene erst in der Analyse wieder aufgelöst
werden muss, um Denkresultate zu gewähren.
In unseren fertig dastehenden Staatenbildungen kann der
genetische Process der Völkerbildung nicht länger verfolgt werden,
und die geschichtlichen Ueberlieferungen, aus denen wir
ihn kennen zu lernen h a b e n , sind oft nur unvollständig und
bruchstückweise erhalten. Die Ethnologie dagegen zeigt uns
dieselben Schauspiele sich in hundertfach verschiedenen Wandlungen
noch direct vor unseren Augen entrollen, sie liefert uns
alle die wünschenswerthen Specialitäten, um die einzelnen Phasen
in den mannigfaltigsten Combinationen zu studiren. Die Verhältnisse
der Wanderungen und Völkerverschiebungen, neue
Staatengründungen, Stammesmischungen wiederholen sich noch
heute beständig in Afrika, in Polynesien, in Asien, und wie
Bannister bemerkt, zeigen z. B. die Rohillas in Indien eine g e treue
Copie der Gothen unter dem Kaiser Valens, oder das