des Pflanzenwachsthums haben, so würde ein directer Erklärungsversuch
dieser aus jenen doch nur zu den Missverständnissen
überwundener Phantastereien führen. Erst nachdem man die
Pflanzenphysiologie als selbstständigen Studiengegenstand erforscht
und ihre Gesetze festgestellt h a t, d arf man die daraus
gewonnenen Resultate in Vergleichung mit den anorganischen
zusammenstellen und sieh berechtigt fühlen, weitere Folgerungen
zu ziehen. So müssen auch im Gebiete des Geistigen die psychologischen
Manifestationen als unabhängiges Naturobject
durchstudirt und geordnet sein, ehe man es wagen könnte, sie
den physiologischen Processen anzunähern und an den vorhandenen
Berührungspunkten zu verknüpfen, und diese objective
Betrachtung*) des Geisteslebens muss von der Ethnologie ausgehen,
da sie allein den geeigneten Ansatzpunkt dafür zu liefern
vermag.
Weit entfernt, einen secundären Anhang des Leiblichen zu
bilden, eine unmittelbare Fortsetzung aus gegebenen Ursachen
folgender Wirkungen, stellt das Geistige eine unabhängig selbstständige
Wesenheit dar, auf deren Seite der wahre Schwerpunkt
des Menschen liegt. Den organischen Zusammenhang zwischen
Geistigem und Leiblichem wird kein Naturforscher leugnen
wollen, der individuelle Geist kann eben so wenig ohne die
körperliche Grundlage existirend gedacht we rden, wie die
Pflanze ohne das mineralogische Substrat, auf dem sie steht,
aber die Pflanze ist trotz dieses Zusammenhanges ein unabhängig
selbstständiges Naturproduct, und so ist es der Geist
dem Körper gegenüber. Wir können in der Botanik die Pflanze
für sich allein, abgelöst von jedem ändern Zusammenhänge,
*) Die Psychologie „findet ihren eigenen vorwärts eilenden Schritt gerade da
gehemmt, wo das eigenthümliche Feld der Culturgeschichte beginnt,“ meint
Th. Waitz, aber sie hat sich dann, nm auch jenes zu beherrschen, in der Ethnologie
zur vergleichenden Psychologie zu erweitern.
Vorwort. L I
| zum abgeschlossenen Gegenstände der Studien machen, wir
können die in ihr regierenden Gesetze als solche untersuchen,
und können die chemischen Bodenanalysen meistentheils ausser
Acht lassen, ausser eben in dem für sie bestimmten Hülfsgebiete
der Pflanzenkunde, wo sie dann ergänzend und erläuternd hinzutreten
müssen. Ebenso bietet die Physiologie für gewisse
Zweige des psychologischen Studiums ergänzende Erläuterungen,
Erläuterungen, die für Aufhellung dieser besonderen Zweige
ganz und gar unerlässlich sind, die im Verhältniss zum Ge-
! sammtbegrifi der Psychologie aber nur nebensächliche Ergänzungen
bilden. Wie der Kunstgärtner nichts (oder doch nur
sehr wenig) von geologischen Schichtungen zu wissen braucht,
um die Blume ihrem ästhetischen Werthe nach zu cultiviren, wie
der Technologe oder Mediciner die für ihn wichtigen Erzeugnisse
des Pflanzenreichs gründlich erörtern kann, ohne auf das Gebiet
der Geologie zurückzugreifen, so kann das Studium der Physiologie
zwar nicht dem Psychologen erlassen werden, der den
genetischen Wachsthumsprocess des Geistes zu durchdringen
wünscht, wohl aber dem Dichter, der im Schwünge der Poesie
emporsteigt, oder dem Moralisten, der die sittliche Schönheit
herstellenden Regeln zusammenordnet.
So reich die Hülfe ist, die die Ethnologie verspricht, so
wenig vermag sie freilich für den Augenblick zu leisten, da die
Kürze der Zeit, seit welcher sie ihre factisch gesicherte Begründung
erlangte, für den Aufbau eines naturwissenschaftlichen
[Systems noch nicht ausreichte. Die Stärke der Naturwissenschaften
liegt darin, ihre Schwächen zu kennen.
Erst seit den letzten Jahren ist es uns möglich geworden,
einen vollständigeren Ueberblick über den Globus und die ihn
bewohnenden Völkerschaften zu gewinnen, erst seitdem haben
also unsere Anschauungen diejenige Totalität erhalten, die als
erste Vorbedingung in der Naturwissenschaft vorausgesetzt wird.